Die Presse war sich nach der Abbruch-Orgie beim Australien-GP 2023 uneins: Von Feuerwerk bis Farce war alles dabei. Drei Rote Flaggen hatte die Rennleitung in Melbourne gezückt, so viele wie noch nie zuvor in einem einzigen Rennen der Formel 1. Der Vorwurf kam auf, dass die Abbrüche teilweise unnötig waren und dank erneuter stehender Starts künstliche Spannung erzeugt werden sollte. Insbesondere die Dominanz von Red Bull macht der Formel-1-Saison 2023 in Sachen Unterhaltungswert zu schaffen.

Allgemein liegt seit Liberty Medias Übernahme der Königklasse im Jahre 2017 der Vorwurf im Raum, das US-Unternehmen wolle aus dem Sport immer mehr eine Show machen. In den amerikanischen Rennserien IndyCar und NASCAR gehören Rote Flaggen und Safety-Cars zum Inventar, um das Feld wieder zusammenzuschieben. Erlebt die Formel 1 nun auch so eine Entwicklung? Wir haben uns die historische Statistik der Rennabbrüche angesehen und machen den Check.

Rennabbrüche erst seit den 1970ern Praxis

Zunächst ein kurzer historischer Überblick. Die erste Rote Flagge in einem regulären Formel-1-Rennen gab es 1971 beim Kanada Grand Prix in Mosport. Es bleibt bis heute das einzige Rennen, das aufgrund von Nebel abgebrochen wurde. Insgesamt gab es seitdem 88 Rote Flaggen, die zu einem Abbruch oder einer Unterbrechung führten. Sieben Grands Prix wurden zweimal gestoppt. Australien 2023 war nun der erste mit ganzen drei Rotphasen.

Die Gründe für die Rote Flaggen sind in klarer Mehrheit Unfälle. 61-mal wurde nach einem Crash unterbrochen. Der zweite vermehrt auftretende Grund ist starker Regen. Dies war 21-mal der Fall. Die übrigen sechs Fälle sind unterschiedlicher Natur. Neben dem Nebel in Kanada gab es drei Startabbrüche aufgrund abgestorbener Autos, einmal funktionierte die Startampel nicht korrekt und einmal wurde aufgrund eines Fehlers im Computersystem der FIA die Rote Flagge gezeigt.

Formel-1-Abbrüche: Die Statistik

Beim Blick auf die Verteilung der Roten Flaggen seit 1971 sehen wir vier Phasen. In den 1970ern waren Rote Flaggen noch eine Seltenheit, ehe es in den 1980ern und 1990ern zu einer deutlich erhöhten Zahl von Roten Flaggen kam. Ab der Jahrtausendwende gab die Rennleitung hingegen kaum noch Rot. Nur 2014 und 2016 wurde davon mehr als zweimal gebrauch gemacht. Zumindest bis 2020, denn in den letzten vier Saisonen (inklusive der laufenden) gab es immer mindestens drei Grands Prix, in denen Rot gezückt wurde. Im Rekordjahr 2021 sogar deren sieben.

Die absoluten Zahlen können jedoch trügerisch sein, ist der Rennkalender im letzten Jahrzehnt doch deutlich angewachsen. Blicken wir auf die Roten Flaggen pro Rennen so sehen wir 1990 und 2021 quasi gleichauf als Rekordjahre. In diesen Saisonen gab es ca. 0,3 mal Rot pro Rennen, oder mit anderen Worten: Es wurde etwa jedes dritte Rennen mit einer Roten Flagge unterbrochen. An dieser Betrachtungsweise kann auch bei den weiteren Jahren deutlich erkannt werden, dass die Formel 1 seit 2020 keine deutlichen Rekordwerte aufgestellt hat. Die laufende Saison 2023 ist natürlich noch herausgenommen. Aktuell würde sie dank Melbourne den Rahmen komplett sprengen und einen Wert von einer Roten Flagge pro Rennen haben. Da noch 20 Wochenenden ausstehen könnte dieser Wert theoretisch aber auch noch auf 0,13 pro Rennen sinken.

Fazit: Mehr Rote Flaggen als zuvor, aber kein neues Rekordniveau

Die Daten zeigen eindeutig, dass es seit 2020 eine erhöhte Anzahl an Roten Flaggen gibt. Zwischen 1999 und 2019 hatten Rennunterbrechungen bzw. Abbrüche Seltenheitswert. In 17 dieser 21 Saisonen hatte es nur einen oder gar keinen Fall gegeben. Eine Neuheit in der Formel-1-Geschichte ist die Anzahl an Roten Flaggen in den letzten Jahren allerdings nicht. In den 1980ern und 1990ern gab es bereits acht Saisonen mit drei oder mehr Roten Flaggen. Drei Jahre hintereinander mit drei oder mehr Rotphasen kamen jedoch von 2020 bis 2022 das erste Mal vor. Und allein durch Melbourne hat auch die Saison 2023 dieses Niveau bereits erreicht.

Beim Australien GP 2023 gab es viel Schrott, Foto: LAT Images
Beim Australien GP 2023 gab es viel Schrott, Foto: LAT Images

Dennoch gilt es auch zu beachten, dass die Rennkalender von früher um die 16 Rennen hatten, während sie heutzutage auf 21 oder mehr Rennen angewachsen sind. Mehr Rennen ergeben logischerweise mehr Chancen auf Rote Flaggen. Der Vergleich mit den Werten pro Rennen macht also mehr Sinn und hier ist umso deutlicher zu sehen, dass es in den 1980ern und 1990ern bereits Saisonen mit ähnlich vielen Roten Flaggen gab. Vielmehr war seit den Jahren der Jahrtausendwende, in denen bei Unfällen immer mehr das Safety-Car genutzt wurde, ein deutlicher Rückgang eingetreten, der nun beendet worden ist.