Die Formel 1 erlebte bei den Boxenstopps mit dem Start des neuen Reglements 2022 einen signifikanten Umbruch. 18-Zoll-Felgen, Radkappen, komplett neue Aufhängungs-Designs - das alles mussten die Teams mit sehr wenig Vorbereitungschancen meistern. Die Chance für die Konkurrenz, die Boxenstopp-Dauerchampions Red Bull erstmals auszubremsen.

Hat man es geschafft? Die kurze Antwort ist nein. Red Bull führt auch 2022 in vielen Statistiken und gewann am Ende zum fünften Mal in Serie den DHL Fastest Pit Stop Award, wo in jedem Rennen für die schnellsten Stopps Punkte vergeben werden. Aber die Zeit der alleinigen Dominanz ist vorbei. Die Konkurrenz hat aufgeschlossen. Mit einer Überraschung: Der schnellste Boxenstopp des Jahres 2022 gehört den davor viel gescholtenen Mechanikern von McLaren.

Schnellster Boxenstopp 2022: McLaren schlägt Red Bull

Nicht nur seit dem Saisonstart, sondern sogar seit der Sommerpause 2021 - eineinhalb Jahre - hatte die Formel 1 vor Mexiko 2022 keinen Boxenstopp unter 2 Sekunden gesehen. Nach dem Ungarn-GP 2021 waren neue Regeln zur Sicherheit eingeführt worden. Die zielten darauf ab, das teilweise Automatisieren der Freigaben zu unterbinden und so das Risiko zu minimieren, dass das Auto mit losem Rad losfährt.

McLaren hatte zu den größten Unterstützern der Regel gehört. Wir haben uns immer korrekt verhalten, maulte man in Woking. Bei einem Team, das seit Jahren Probleme mit den Boxenstopps hatte. Langsam und fehlerbehaftet. Für die neue Saison investierte man viel Arbeit. Ingenieure, Produktion, Rennteam, Fahrer - bei allen relevanten Bereichen wurde nachgeschärft. Es zahlte sich aus. "Das gibt dir das Vertrauen, dass es nicht unmöglich ist, zu den Top-Teams aufzuschließen", meint Teamchef Andreas Seidl.

Formel 1 2022: Die 10 schnellsten Boxenstopps

P.TeamFahrerRennenZeit
1McLarenRicciardoMexiko1,98
2Red BullPerezBrasilien2,04
3Red BullPerezNiederlande2,09
4Red BullPerezItalien2,10
5AlphaTauriTsunodaBrasilien2,10
6AlphaTauriTsunodaBrasilien2,13
7Red BullPerezUSA2,13
8AlphaTauriTsunodaUSA2,14
9AlphaTauriGaslyBrasilien2,17
10Red BullPerezItalien2,17

Der Boxenstopp-Weltrekord liegt bei 1,82 Sekunden, aufgestellt von Red Bull 2019 in Brasilien.

Mit 1,98 Sekunden holte sich McLaren den schnellsten Stopp des Jahres. Davor war monatelang theorisiert worden, dass Stopps unter 2 Sekunden überhaupt nicht mehr möglich seien. Red Bull, um die Ehre des schnellsten Stopps mit den neuen Regeln beraubt, wird nicht traurig sein. Mit 10 Tagessiegen gegen McLarens 5 stand man am Ende im Kampf um die DHL-Boxenwertung obenauf.

McLaren 2022 größter Gewinner bei Boxenstopps

Doch die schnellsten Stopps sind kaum repräsentativ für die Qualität der Arbeit eines Teams. Teammanager sind fast unglücklich darüber, dass die Mechaniker nach jedem Rennen gespannt auf die Ergebnisse des DHL Fastest Pit Stop Award warten. Das Wichtigste ist nämlich nicht nur das Tempo - sondern dass man möglichst viele Stopps berechenbar und ohne Fehler absolviert.

Red Bull führt hier trotzdem. Als einziges Team schafften es die Mechaniker aus Milton Keynes im Saison-Gesamtschnitt unter die 3-Sekunden-Marke. Und nur 7 Stopps waren ohne erkenntlichen Grund länger als 4 Sekunden.

Die durchschnittliche Standzeit betrug in der Formel 1 2022 3,36 Sekunden. Red Bull war im Schnitt 0,41 Sekunden schneller, Bestwert. Die Verfolger sind jedoch nähergekommen. Etwas überraschend taucht AlphaTauri als erster Verfolger auf, dann McLaren.

McLaren war über den Winter der größte Gewinner. Als einziges Team ist hier die durchschnittliche Bestzeit trotz aller regelbedingten Widrigkeiten besser als im Vorjahr. Im Verbesserungs-Ranking rutscht Red Bull tatsächlich sichtbar ab, ein Reifenwechsel dauerte im Schnitt 0,18 Sekunden länger als im Vorjahr. Bloß war der Vorsprung so groß, dass es im Gesamt-Vergleich noch immer für den ersten Platz reichte.

Boxenstopps machen Teams 2022 mehr Probleme

Die Fehlerquote war besonders zu Beginn des Jahres immens. Insofern beeindrucken McLaren und AlphaTauri. Fehler waren die Krux von Ferrari. Nimmt man Totalversagen von 4 Sekunden oder mehr aus, wäre die Scuderia im Spitzenfeld mit dabei. Doch es zeigte sich ein besorgniserregender Hang zu Patzern. Wenn der erste Handgriff schiefging, konnte es schnell passieren, dass das Auto stand. Und stand.

12 Prozent der Ferrari-Stopps waren Totalausfälle. Bei AlphaTauri, McLaren und Red Bull waren es 4, 5 und 6 Prozent. Auf der anderen Seite waren 64 Prozent der Ferrari-Stopps 3 Sekunden oder schneller, der zweitbeste Wert hinter Red Bulls 72 Prozent. Genau davor haben die Teams Angst - dass man schnell stoppt, aber dann plötzlich etwas kapital schiefgeht.

Die Sicherheit der Exekution ist dafür bei Mercedes das einzig Positive, was man der Saison 2022 abgewinnen kann. Die Fehlerquote ist gering, die Stopps sind aber langsam. Nur in 45 Prozent der Fälle standen die Silberpfeile 3 Sekunden oder kürzer. Nur 3 Stopps waren überhaupt schneller als 2,5 Sekunden.

AlphaTauri & Ferrari größte Stopp-Gewinner seit der Pause

Das Boxenstopp-Bild der Saison 2022 verlangt aber auch nach einem Blick auf die Verbesserungen im Saisonverlauf. Die Teams sagten früh vorher, dass es mit den vielen Umstellungen eine lange Eingewöhnungszeit brauchen würde. Die Autos waren erst spät fertig, die Mechaniker konnten kaum trainieren. Ab dem Saisonauftakt ging es mit hoher Schlagzahl von Rennen zu Rennen.

Da überrascht es nicht, dass seit der Sommerpause fast alle Teams ihre Konstanz verbessert haben. AlphaTauri legte dabei den Grundstein für den Sprung ins Spitzenfeld. Seit der Sommerpause hatte man nur mehr einen Stopp, bei dem man länger als 4 Sekunden stand. Die Anzahl der Stopps von 2,5 Sekunden oder weniger wuchs von 2 auf 15, machte nun 50 Prozent der Stopps des Teams aus. Damit führt AlphaTauri seit der Sommerpause sogar in fast allen Wertungen.

McLaren stabilisierte seinerseits ebenfalls die Stopps und reduzierte die über 3,5 Sekunden deutlich. Damit näherte man sich wieder dem Vorjahresniveau. Früher galten 3,5 Sekunden als die Benchmark, alles darüber als fehlerhaft. Auch Ferrari legte nach, halbierte die Horror-Stopps. Auch wenn das teils nur bedeutete, dass man Fehler wie einen falschen Handgriff schneller korrigieren konnte, trotzdem aber über 3,5 Sekunden stand.

Boxenstopp-Pleitentruppen Haas und Alfa Romeo

Ferrari hat noch Arbeit vor sich, doch es geht auch viel schlimmer. Etwa bei Alfa Romeo. Dort ist die Exekution teils richtig übel. Zu oft geht etwas schief. Und nicht nur das. Wenn irgendwo im Verlauf der Stopp-Entscheidung etwas schiefgeht, dann ist man oft überhaupt nicht in der Lage, das Problem aufzufangen. Dann steht das Auto, und zwar sehr lange.

Wer fundamental schlechte Stopps sucht, wird außerdem bei Haas fündig. Dort läuft gar nichts. Als einziges Team hat es die zweifelhafte Ehre, keinen einzigen Stopp von 3 Sekunden oder besser geschafft zu haben. Nur 68 Prozent der Stopps dauerten überhaupt 4 Sekunden oder weniger. Totalausfälle sind an der Tagesordnung.

Damit ist Haas aber nicht der größte Verlierer seit dem Vorjahr. Die Stopps sind schon lange schlecht. Auffällig verloren hat Williams. Die Mannschaft investierte vor ein paar Jahren viel in gute Stopps. Als man am Ende des Feldes unterwegs war. Doch das Niveau konnte man nicht halten, ist 2022 ins Hinterfeld abgerutscht.