Mercedes wird im WM-Kampf 2021 gefordert wie noch nie in der Hybrid-Ära. Red Bull hat aktuell wohl das schnellere Auto. Mercedes muss auf die eigenen Stärken bauen - nur das klappt zuletzt immer schlechter. "Es nervt: Monza und Sotschi sind Rennen, bei denen wir wussten, dass wir stark sind - und dann maximieren wir da unsere Punkte nicht", ärgert sich Mercedes Motorsportchef Toto Wolff.

In Monza stand für Lewis Hamilton nach der Kollision mit Max Verstappen ein Nuller, in Sotschi kann der amtierende Weltmeister bislang noch nicht von der Verstappen-Strafe und der eigenen Stärke profitieren. Hamilton dominierte das gesamte Qualifying zum Russland GP 2021 - bis auf die letzten Minuten des entscheidenden Q3.

Während die Konkurrenz erkannte, dass die Strecke zur Mitte von Q3 bereit für Trockenreifen war, wartete Mercedes zu lange mit dem Wechsel von Intermediates auf Soft-Pneus. Das löste bei Hamilton eine regelrechte Kettenreaktion aus.

"Ich wusste, dass ich die Zeit maximieren muss und habe die Boxeneinfahrt schnell genommen", schildert Hamilton den Anfang vom Ende seiner Pole-Hoffnungen. "Ich wusste, dass es dort zuvor nass war, deshalb bin ich auch immer vorsichtig gefahren. Aber ich dachte, auch die Boxeneinfahrt wäre etwas abgetrocknet." War sie aber nicht.

Hamilton doppelt chancenlos

Hamilton verlor das Auto in der Rechtskurve der Einfahrt leicht und schlug an. Die Mercedes-Mechaniker mussten neben einem Reifenwechsel auch noch einen Flügelwechsel absolvieren. Der kostete Hamilton weitere Zeit. "Aber er das war egal, er hätte auch ohne keine weitere Runde geschafft", verteidigt Toto Wolff.

Doch das war nicht Hamiltons größtes Problem. Die Mercedes-Garage befindet sich direkt hinter der Boxeneinfahrt. Die Mechaniker waren auf einen Flügelwechsel nicht vorbereitet. Hamilton musste lange auf einen neuen Frontflügel warten.

Beim Warten auf den neuen Frontflügel kühlten Lewis Hamiltons Reifen aus, Foto: LAT Images
Beim Warten auf den neuen Frontflügel kühlten Lewis Hamiltons Reifen aus, Foto: LAT Images

"In der Zeit sind meine Reifen ausgekühlt", ärgert sich der Weltmeister. "64 Sekunden oder so stand ich da", rechnet Hamilton vor. "Das erklärt auch, warum meine Reifen so viel kälter waren als die von Valtteri."

Dadurch war Hamilton gleich doppelt chancenlos. Während Lando Norris, Carlos Sainz und Co. zwei Runden hatten, die Soft-Reifen auf Temperatur zu bekommen, hatte Hamilton nur noch eine Runde. Gleichzeitig sanken die Temperaturen beim Warten in der Boxengasse ohne Heizdecken schon eklatant.

"Der Fehler hatte nichts mit Druck zu tun", stellt Hamilton klar. "Das ist peinlich und ich bin sehr enttäusch von mir, aber shit happens. Wir alle machen Fehler. Das ist natürlich nicht das, was man von einem Weltmeister erwarten würde. Das ist das Problem, wenn man so viel Erfolg hat wie ich: Man erwartet nur Perfektion. Ich bin aber auch nur ein Mensch."

Auf seiner schnellen Runde versuchte Hamilton dann zu retten, was nicht mehr zu retten war. Dabei unterlief ihm der nächste Fehler. Am Ausgang von Kurve 16 verlor er das Heck und schlug rückwärts in die Streckenbegrenzung ein. "Der erste Unfall war nur eine leichte Berührung, der zweite war super leicht Das Auto sollte soweit okay sein", so Hamilton.

Mercedes nach Qualifying-Schlappe überzeugt: Strategie richtig

Anfang allen Übels war dabei die späte Entscheidung, auf Trockenreifen zu wechseln. "Ich glaube aber, es war die richtige Entscheidung", verteidigt Toto Wolff. "Wir hatten unsere Position auf der Strecke, weil wir als Erstes rausgegangen sind. Wir hätten eine Runde früher stoppen können, aber das wäre viel zu riskant gewesen. Das war einfach nur unglücklich", verteidigt der Boss.

Mercedes hat in Russland eigentlich Big Points eingeplant, Foto: LAT Images
Mercedes hat in Russland eigentlich Big Points eingeplant, Foto: LAT Images

Hamilton macht seinem Team ebenfalls keinen Vorwurf. "Das Management des Teams war perfekt. Niemand von uns dachte, dass es das Risiko wert wäre. Wenn du auf Platz sieben oder acht bist, kannst du das Risiko eingehen, aber wir hatten kein Interesse daran."

Von Platz vier sollte aber noch nicht alles verloren sein. Mercedes hofft auf den langen Sprint zu Kurve zwei. Allerdings ist Hamilton einmal mehr umgeben von Fahrern, die weniger zu verlieren haben als er. "Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht hart race", stellt der Titelkandidat klar. "Man braucht hier eine Balance. Und in der Vergangenheit war ich sehr gut darin, das Risiko gegen den möglichen Lohn abzuschätzen."

Weil Titelrivale Max Verstappen von ganz hinten startet, könnte Hamilton dennoch Big Points machen. Oder nicht? Schließlich steht auch bei Mercedes noch ein Motorenwechsel im Raum. Bei Valtteri Bottas gab Wolff offen zu, nach Startplatz sieben eine weitere Motorenstrafe in Erwägung zu ziehen.

Auch bei Hamilton? Wolff gibt sich geheimnisvoll auf die Frage von Motorsport-Magazin.com: "In meinem ganzen Leben habe ich dich noch nicht angelogen, da werde ich dich heute auch nicht anlügen, deswegen kann ich das zu dem Zeitpunkt diese Frage leider nicht kommentieren, wie das der Politiker sagen würde."