Wenn die Formel 1 am kommenden Wochenende traditionell im Albert Park von Melbourne die 70. Saison ihrer Geschichte eröffnet, dann heißt der große Favorit dieses Mal Ferrari. Im Ansatz war das vielleicht schon im Vorjahr so. Zumindest für den Sieg beim Saisonstart in Australien.

Formel 1 2019: Der große Saisonausblick (35:58 Min.)

Doch 2019 bezieht sich die Favoritenrolle für viele Beobachter auch auf die ganze Saison. Trotz erster Probleme in Woche zwei der Wintertestfahrten - Ferrari hatte beim Test aus der Garage hinaus den mit Abstand stärksten Eindruck erweckt. "Die Ferraris sind rausgefahren, haben durchgeladen, einen Schuss abgegeben und sind wieder heim - es hat gepasst", sagte zuletzt etwa Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner.

Mercedes rechnet nach: Ferrari in Australien vorne

Hinzu kommt die extrem gute Laune von Sebastian Vettel und Charles Leclerc. Die Ferrari-Piloten hörte man nichts als schwärmen von ihrem neuen SF90, Vettel sprach sogar vom besten Testwinter seiner Karriere. Doch von jenen Kilometern, die am Ende für die WM-Punkte sorgen, ist noch keiner gefahren. "Man darf nicht ernsthaft glauben, dass man Mercedes abschreiben kann", mahnt auch Danner.

Und die Silberpfeile selbst? Sehen sich gefordert. "Am Ende der vergangenen Testtage haben wir unser Auto immer besser verstanden und im Hinblick auf unseren Speed gegenüber Ferrari vernünftig ausgesehen", sagt Teamchef Toto Wolff jetzt im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten (SN). "Doch aufgrund unserer Kalkulationen hinsichtlich der Spritmengen in den Autos sehen wir Ferrari vorne."

Der Österreicher bezieht sich also auf Fakten, betreibt somit kein reines Tiefstapeln des Tiefstapelns willen. Eine Kunst, die Wolff in den vergangenen Jahren durchaus zu perfektionieren schien. Eine Kunst, die der Mercedes-Leitwolf(f) auch 2019 nicht zu verlernt haben scheint.

Formel 1 2019: Bilanz der Wintertestfahrten in Barcelona (29:15 Min.)

"Im vergangenen Jahr mussten wir alles geben, um uns durchzusetzen. Soweit wir es bislang sehen können, wird diese Saison sogar noch härter. Sie wird uns an unsere Grenzen treiben", so Wolff in der offiziellen Mercedes-Vorschau auf Australien. "Angesichts der Eindrücke aus Barcelona erwartet uns in Melbourne ein harter Kampf."

Toto Wolff: Geht in Formel 1 nicht nur um besten Saisonstart

Doch dann kommt etwas, was mit Understatement nicht mehr viel gemein hat. Vielmehr mit einer Kampfansage. Wolff: "Aber in einer Formel 1-Saison kommt es nicht nur darauf an, wer am besten aus den Startblöcken kommt. Unter einem neuen Reglement wie in diesem Jahr geht es auch darum, wer sich am besten an die neuen Regeln, die neuen Reifen und die neuen Herausforderungen anpasst, die wir in dieser Saison meistern müssen."

Der klassische lange Atem also. Und die Fähigkeit, zu reagieren, an Problemen zu wachsen. Auch das ist eine Eigenschaft, die Mercedes unter Wolffs Leadership in den vergangenen Jahren so stark gemacht hat. Erst 2018 leitete auch das die Trendwende im WM-Kampf ein, nicht nur, weil sich Ferrari bei der Entwicklung verrannt hatte und in andere Fallen getappt war.

Vorjahre zeigen: Nachjustieren kann Mercedes

Nicht nur Wolff setzt auf diesen Nimbus im silbernen Lager. "Mit den Regeländerungen - auch wenn sie nicht extrem sind - wie komplex die Autos sind, ist es zum Start der Saison bis zum Ende der Saison so, dass wir bei allen Team über die Saison größeren Verbesserungen sehen werden als vergangenes Jahr. Wenn wir da beim Entwicklungsweg die richtigen Entscheidungen treffen, dann werden wir stark sein", sagt auch Valtteri Bottas. "Es ist ein starkes Team. Wir können das", ergänzt der Finne motivierende Worte an seine Crew. "Auch Aufholen ist für uns nicht unmöglich."

Darauf baut auch Wolff für 2019. Eine Niederlage zum Saisonstart wäre für den Mercedes-Teamchef also längst nicht das Ende aller Tage. Kein verlorener Krieg, nur eine verlorene Schlacht. Wolff: "Am Ende wird das anpassungsfähigste und agilste Team an der Spitze stehen. Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir schnell und flexibel sind und dass wir gut mit Überraschungen umgehen können. Wir sind bereit für den Kampf!"

Ferrari will aus 2018er Verirrung lernen

In dem SN-Interview wiederum liefert Wolff für diese Wendigkeit ein potentielles Beispiel. Das Aerodynamik-Konzept, das die Formel 1 2019 speziell am Frontflügel in zwei Lager spaltet. "Wenn sich ein Konzept als das klar bessere herausstellt, kann es sein, dass beim fünften Grand Prix in Barcelona oder kurz danach alle mit veränderten aerodynamischen Entwürfen antreten", schildert Wolff.

Aber lässt sich Ferrari wieder derart überlisten? Neo-Teamchef Mattia Binotto ist sich der Thematik jedenfalls mehr als bewusst, will es besser machen als Ferrari unter Vorgänger Maurizio Arrivabene. "Wir kommen jetzt zur ersten einer langen Folge von Etappen", sagt Binotto über das erste Rennen. "Unsere Aufgabe ist es, unseren Rivalen, die sich vergangenes Jahr als stärker erwiesen haben, das Leben schwer zu machen. Diese Saison wird sehr fordernd. Es ist wichtig, dass wir stark beginnen, aber wir müssen uns bewusst sein, dass wir 21 gleichermaßen wichtige Läufe vor uns haben."

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