Rückblick Russland GP 2014. Nico Rosberg leistet sich gleich am ersten Bremspunkt nach dem Start einen kapitalen Verbremser, muss sich noch in Runde eins neue Reifen holen. Das Rennen gegen Lewis Hamilton ist verloren, doch wird Rosberg zumindest noch Zweiter - weil er trotz seines extrem frühen Wechsels auf Pirellis Soft-Mischungen durchfahren kann.

Gewaltiger Performance-Sprung dank Ultrasoft

Möglich macht es eine Besonderheit des Sochi Autodroms. Der Streckenbelag in Russland sorgt für einen absolut marginalen Reifenverschleiß. Drei Jahre später hat sich daran etwas, aber nicht allzu viel geändert. "Auch wenn die Strecke wegen der normalen Asphalt-Evolution etwas rauer als im vergangenen Jahr ist, ist es noch immer sehr eben und rutschig hier, was den Verschleiß gering hält", sagt Pirellis Mario Isola.

Deshalb habe sich Pirelli erstmals dazu entschieden, 2017 die drei weichsten Reifenmischungen im Sortiment überhaupt nach Sochi zu bringen, also auch den Ultrasoft. Auf den ersten Blick ein Erfolg. "Die Performance scheint gut zu sein, denn in Sachen Rundenzeit sind wir bereits schneller als die Pole Position vergangenen Jahres", sagt Isola. Tatsächlich war Sebastian Vettel im FP2 sogar satte 1,3 Sekunden schneller als die Rosberg-Pole 2016. "Aber wir sprechen hier natürlich über eine Nummer weichere Mischungen, weil wir den Ultrasoft vergangenes Jahr nicht hatten", relativiert Isola.

Der Ultrasoft ist in Russland der Reifen der Stunde, Foto: Mercedes-Benz
Der Ultrasoft ist in Russland der Reifen der Stunde, Foto: Mercedes-Benz

Supersoft und Ultrasoft klare Favoriten

Dennoch: Ideal sind die Mischungen für Sochi noch immer bei Weitem nicht. Inzwischen gilt als praktisch sicher, dass alle Teams im weiteren Verlauf des Wochenendes einen weiten Bogen um den härtesten, den soften Reifen machen werden. "Keine Ahnung" habe jeder, der Gegenteiliges behaupte, sagt Nico Hülkenberg sogar. Der Hauptrennreifen werde der Ultrasoft sein. "Ich wäre überrascht, wenn der Supersoft käme", sagt Hülkenberg.

Ähnliches erwartet auch Pirelli selbst. "Supersoft und Ultrasoft sind die Reifen, die wir im Qualifying und Rennen sehen werden. Deshalb erwarten wir ein einfaches Einstopp-Rennen, bei Start mit Ultrasoft und Wechsel auf Supersoft", sagt Isola. Zudem liegt zwischen jeder Mischung jeweils ein Delta von rund einer Sekunde, was die Wahl der langsamsten Mischung erst recht mehr als unwahrscheinlich macht - zumal die Rundenzeiten selbst nach langen Stints auf den weichsten Mischungen kaum nachlassen.

Es braucht schon veritable Verbremser, um die Reifen in Russland zu überhitzen, Foto: Sutton
Es braucht schon veritable Verbremser, um die Reifen in Russland zu überhitzen, Foto: Sutton

Reifenverschleiß geht gegen Null

So fuhr Mercedes' Valtteri Bottas erst im letzten Umlauf eines 17 Runden langen Ultrasoft-Stints sogar seine schnellste Zeit überhaupt während Williams-Pilot Felipe Massa dem ultraweichen Reifen sogar 18 Runden zumutete - ohne jede Kritik. "Ich bin ziemlich zufrieden damit, wie sich die Reifen verhalten haben. Der Verschleiß auf unserem Longrun war sehr gut - sehr gering, viel geringer als auf anderen Strecken", lobt Massa.

Sogar auf 22 Runden brachte es Carlos Sainz mit dem Ultrasoft, äußerte sich trotz guter Haltbarkeit aber viel negativer als Massa. Sein Kritikpunkt: "Es war schwierig, die Reifen auf Temperatur zu bekommen. Das macht dir das Leben auf den Outlaps und auch den schnellen Runden ziemlich schwer. Selbst wenn die Sonne herauskommt und es ein recht warmer Tag ist, stellt es sich als hart heraus", beschreibt Sainz. Genauso klingt Toro-Rosso-Kollege Daniil Kvyat.

Wissenswertes über den Russland GP: (00:46 Min.)

Aufwärmen dauert ewig: Zeitproblem im Qualifying?

Die Pirelli dürften auf dem sanften Sochi-Asphaltband aus Fahrersicht also gut und gerne noch eine ordentliche Nummer weicher ausfallen, befürchtet ein Großteil der Piloten doch massive Schwierigkeiten vor allem im Qualifying. "Ich denke, im Qualifying wird es interessant, was die Herausforderung, die Reifen aufzuwärmen, angeht", sagt etwa Max Verstappen noch recht diplomatisch.

Deutlicher wird Pascal Wehrlein. "Die erste schnelle Runde ist im Durchschnitt eine Sekunde langsamer als die letzte eines Runs", beschreibt der Sauber-Fahrer Motorsport-Magazin.com die große Problematik beim Aufwärmen der Pirelli in Sochi. "Wenn wir aus der Garage fahren, sind die Reifen auf der Outlap sofort 20 Grad zu kalt und nach ein paar Runden kommen wir gerade so ins Fenster rein." Genauso erging es Nico Hülkenberg. "In Bahrain war die Outlap eine Kaffeefahrt - noch weniger: Fahrradfahren. Hier ist man schon zügiger, damit man direkt ein bisschen Temperatur rein bekommt", sagt der Renault-Mann zu Motorsport-Magazin.com.

So erging es selbst den dominanten Ferrari-Piloten. Auch Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen erzielten ihre absoluten Bestzeiten erst mit mehreren Runden Anlauf. Erst nach der dritten oder vierten Runden könne man seine schnellste Runde setzen, bestätigt Hülkenberg. Im Qualifying könne sich daraus ein sehr ungewöhnliches, aber veritables Problem ergeben, meint Wehrlein. "Irgendwann geht ja auch die Zeit aus", sagt der Deutsche. Angesichts des geteilten Modus mit drei kurzen Quali-Einheiten und der in Sochi viertlängsten Runde im Rennkalender tatsächlich kein zu vernachlässigendes Moment.

Lewis Hamilton sind die Reifen zu 'spitz', Foto: Sutton
Lewis Hamilton sind die Reifen zu 'spitz', Foto: Sutton

Rätselraten von Mercedes über Alonso bis Sauber

Eine Lösung sehe er aktuell nicht, sagt Wehrlein, fast schon ein wenig verzweifelt: "Wir versuchen jetzt ein bisschen, den Reifen entgegenzukommen. Aber wir tun uns sehr schwer irgendetwas zu finden, weil es nicht wirklich viele Optionen gibt."

Mit dieser mangelnden Zuversicht steht Wehrlein längst nicht allein. "Es ist definitiv nicht wie die normalen Strecken, wo du die eine schnelle Runde fährst und der Reifen dann abbaut. Es ist ein bisschen anders hier. Wir müssen sehen, was mit dem Ultrasoft morgen ist", sagt etwa Lance Stroll. Selbst ein zweimaliger Weltmeister wie Fernando Alonso wirkt ratlos. "Es scheint so, dass definitiv die erste Runde nicht die schnellste ist. Im Qualifying braucht es also vielleicht mehrere Runden, um das Maximum herauszuholen. Hoffentlich finden wir noch irgendetwas, um Temperatur hineinzubekommen", rätselt der McLaren-Pilot mehr als Zuversicht auszustrahlen.

Ähnliches vernimmt man aus dem Mercedes-Lager. "Es scheint, dass wir noch mehr Arbeit vor uns haben, um auf einer Runde das Maximum aus den ultraweichen Reifen herauszuholen", sagt Bottas. Lewis Hamilton ergänzt: "Die Reifen fühlen sich sehr spitz an. Dadurch gerät man leicht aus dem Performance-Fenster. Aber wenn sie funktionieren, scheinen sie gut zu sein."

Nur Daniel Ricciardo scheint mit dem Aufwärmverhalten der Pirelli zufrieden, Foto: Sutton
Nur Daniel Ricciardo scheint mit dem Aufwärmverhalten der Pirelli zufrieden, Foto: Sutton

Nur Ricciardo unbekümmert

Wirklich zuversichtlich klingt unterdessen nur ein Fahrer im ganzen Feld. Überraschung: Es ist Dauer-Strahlemann Daniel Ricciardo. "Am Nachmittag war es schon leichter, die Reifen auf Temperatur zu bekommen. Wenn das Wetter so bleibt, sollte es morgen kein großes Problem sein", meint der Australier in Red-Bull-Diensten so ziemlich exklusiv.