Kimi Räikkönen sollte bei Ferrari bleiben. Kimi Räikkönen ist gut für Ferrari. Aber als Nummer zwei. Meinte diese Woche zumindest Alain Prost. Der Nachsatz des Franzosen versetzte die zahlreichen Anhänger des Finnen natürlich in helle Aufregung: Von wegen! Nix da Nummer zwei! Ihr Iceman, Mr. Leave me Alone, der bis heute letzte Ferrari-Weltmeister als Wasserträger? Niemals.

Und tatsächlich: Die bisherige Bilanz Räikkönens in der Saison 2016 gibt seinen 'Groupies' zum Großteil recht. Der Finne fährt gegenwärtig auf Augenhöhe mit Sebastian Vettel, deutlich mehr als 2016. Nicht nur gefühlt, sondern auch auf dem Papier.

Kam Räikkönen 2015 nach acht Rennen noch auf 72 Zähler und damit 48 Rückstand auf Vettel, sind es für den Iceman zum gleichen Zeitpunkt ein Jahr später neun Punkte mehr - bei nur 15 Rückstand auf den Deutschen. Noch dazu egalisierte Räikkönen mit drei Podien seine gesamte Ausbeute der 19 Rennen des Vorjahres bereits nach fünf Grands Prix.

Räikkönen verbessert Qualifying-Schwäche

Selbst seine wohl größte Schwäche, das Qualifying, läuft bislang erheblich besser als vor Jahresfrist. Um Defekt-bedingte Strafen bereinigt kommt der Finne 2016 im Schnitt bislang auf Startplatz 4,4 (2015: 7,0), ist damit sogar besser als Vettel 2015 (4,8). Allerdings hat sich der Deutsche 2016 seinerseits auf eine 3,5 verbessert.

"Um auf dasselbe Level wie Sebastian zu kommen, braucht Kimi immer 100 Prozent. Aber ich würde sagen, dass Sebastian dieselben 100 Prozent braucht, um Kimi zu schlagen", analysierte Heikki Kulta, finnische Reporter-Koryphäe in einem Kollegengespräch mit Motorsport-Magazin.com - siehe Video oben - den Aufschwung Räikkönens.

Genau das wird jedoch noch besser ersichtlich, betrachtet man mehr als nur die nackte Statistik: Deren Zustandekommen liefert mindestens genauso wichtige Erkenntnisse - ein Rückblick auf die acht Rennwochenenden des ersten Saisondrittels und die Frage: Wie eng liegen Iceman und Lausbub tatsächlich zusammen?

Australien GP: Strategie- und Defekt-Pech

In Australien fackelte Räikkönens Ferrari ab, Foto: Sutton
In Australien fackelte Räikkönens Ferrari ab, Foto: Sutton

Gleich zum Saisonstart stattete der Defektteufel Kimi Räikkönen einen unliebsamen Besuch ab. In Melbourne sah zunächst alles ausgesprochen gut für den Finnen und Ferrari insgesamt aus: Direkt am Start katapultierte sich das Scuderia-Duo vorbei an den Mercedes. Doppelführung Ferrari. Doch in der Rennunterbrechung durch den heftigen Crash Fernando Alonsos leistete sich der Rennstall einen dramatischen Strategie-Patzer. Beide Mercedes zogen wieder vorbei.

Für Räikkönen jedoch kam es jedoch noch dicker als für Vettel: Mit defektem Turbolader an seinem Boliden musste der Finne seinen Flammen lodernden Ferrari abstellen. Mindestens 12 Punkte waren futsch. "Dieser Kimi scheint einfach der größte Pechvogel in der Formel 1 zu sein", twitterte da selbst Mercedes. Vielleicht wären sogar noch drei Punkte mehr drin gewesen. "Im ersten Stint hat man gesehen, dass zwischen mir und Kimi kein großer Unterschied war", sagte Vettel. Von den verpassten Aussichten durch die miese Strategie erst gar nicht zu sprechen.

Bahrain GP: Mr. Rosenwasser schlägt zu

Ort SaisonPlatzierungTeam
Bahrain 2016 2Ferrari
Abu Dhabi 2015 3Ferrari
Bahrain 2015 2Ferrari
Bahrain 2013 2Lotus
Abu Dhabi 2012 1Lotus
Bahrain 2012 2Lotus
Bahrain 2008 2Ferrari
Bahrain 2007 3Ferrari
Bahrain 2006 3McLaren
Bahrain 2005 3McLaren

Während die Technik diesmal Sebastian Vettel schon vor dem Start im Stich ließ, fuhr Kimi Räikkönen in Bahrain bereits zum achten Mal in seiner Karriere auf das Podium. Genauer gesagt auf Rang zwei, nur knapp hinter Nico Rosberg. Vielleicht wäre ohne einen schlechten Start - zunächst hieß es, Räikkönen sei von der Kupplung gerutscht, später stellte sich das Gegenteil heraus - sogar der Sieg drin gewesen.

Denn: "Was er danach getan hat, war unglaublich", schwärmte Maurizio Arrivabene. "Wie Kimi im Rennen gefahren ist, war absolut spektakulär - wie er auf der äußeren Seite des Kerbs überholt hat, hat mich an die Fahrer in den alten Zeiten erinnert", jubelte der Ferrari-Teamchef über das insgesamt zehnte Podium, bei dem Räikkönen mit Rosenwasser vorlieb nehmen musste.

China GP: Von Vettel torpediert

Nachdem im Qualifying beide Ferrari-Piloten nur suboptimale Runden erwischt hatten, Räikkönen erst im letzten Sektor gar auf Pole-Kurs liegend Zeit eingebüßt hatte, setzte sich das Debakel am Start nahtlos fort. Vettel, hinter Räikkönen von P4 gestartet, schoss seinen Teamkollegen in Kurve eins ab! Nicht absichtlich natürlich. Vettel hatte sich vor einem anderen Crash - der berüchtigte Kvyat-Torpedo - gefürchtet, Räikkönen daraufhin schlicht übersehen.

In China pflügte Räikkönen durchs Feld, Foto: Sutton
In China pflügte Räikkönen durchs Feld, Foto: Sutton

Während Vettel ohne grobe Schäden davonkam, musste der Finne mit abgerissenem Frontflügel an die Box. Platz 20 statt drei nach einer Runde. Trotz einer folgenden - und gegenüber Bahrain noch furioseren - Aufholjagd bis auf Rang fünf ein deprimierendes Resultat: Ein weiterer zweiter Platz hinter Rosberg, aber vor Vettel, wäre relativ sicher gewesen.

Russland GP: 700. Podium für Ferrari

Im Renntrimm hatte Williams keine Chance gegen den Ferrari von Kimi Räikkönen, Foto: Sutton
Im Renntrimm hatte Williams keine Chance gegen den Ferrari von Kimi Räikkönen, Foto: Sutton

Erneut Aufregung um Vettel und Kvyat, doch diesmal ein Kimi auf dem Podium. Während der Deutsche durch den unverschuldeten Crash ausschied, musste Räikkönen die Ferrari-Kohlen alleine aus dem Feuer holen. Und das tat er manierlich. Nach einem kleinen Fehler im Qualifying und Startplatz drei hinter Valtteri Bottas, setzte der Finne im Rennen eine ungewöhnliche, aber clevere, Scuderia-Strategie perfekt um. Im kaum Reifen fressenden Sochi Autodrom schleuste ihn ein Overcut vorbei am Williams. Platz drei und noch dazu ein Jubiläum: Das 700. F1-Podium für Ferrari durch ihren bis heute letzten Weltmeister. Die optimale Ausbeute: In Russland war Mercedes eine Nummer zu groß.

Spanien GP: Hauchdünn am Sieg vorbei

Erneutes Podium für Kimi Räikkönen! Diesmal sogar wieder Rang zwei. Nachdem sich Mercedes durch einen teaminternen Crash selbst aus dem Rennen genommen hatte, entwickelte sich zwischen Ferrari und Red Bull eine regelrechte Strategie-Schlacht. Zwei Duelle bildeten sich heraus: Die Zweistopper Verstappen und Räikkönen kämpften um den Sieg, die Dreistopper Vettel und Ricciardo um Rang drei.

Im letzten Renndrittel gelang Räikkönen jedoch keine Attacke auf den Bullen-Neuling während Ricciardo einen ambitionierten Angriffsversuch auf Vettel lancierte. Beide Ferrari litten unter der starken Traktion des Red Bull aus der letzten Kurve, was Räikkönen ein Überholmanöver trotz der langen Geraden in Barcelona unmöglich machte und Vettel die Verteidigung erschwerte. Zusätzlich die in Katalonien generelle Problemstellung der Dirty Air. Auf einer anderen Strecke wäre an diesem Sonntag der ersten Saisonsieg für Ferrari durch Räikkönen mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgt.

Monaco GP: Fahrfehler im Regen

Im ungeliebten Monaco beendete Räikkönen sein Rennen in den Leitplanken, Foto: Sutton
Im ungeliebten Monaco beendete Räikkönen sein Rennen in den Leitplanken, Foto: Sutton

Mit WM-Rang zwei im Gepäck ging es für Kimi Räikkönen nach Monaco. "Eine Strecke, die Kimi nicht mag. Kimi ist sehr fokussiert. Aber Monaco ist ein Rennen, dass er sehr gerne aus dem Kalender entfernen würde", nahm Maurizio Arrivabene den Finnen nach dem Rennen in Schutz. Warum? Gerade hatte sich Räikkönen den bislang einzigen groben Schnitzer in dieser Saison geleistet. Auf nasser Fahrbahn war der Iceman in der Haarnadel einfach in die Leitplanke geschlittert. Klarer Fahrfehler.

Viel drin gewesen wäre aber ohnehin nicht: Durch einen Getriebewechsel musste Räikkönen ausgerechnet im engen Monaco nur von P11 starten. Dennoch: Das gesamte Wochenende war Räikkönen mit seinem Ferrari in Monte Carlo nicht richtig warm geworden. Das gilt jedoch genauso für Sebastian Vettel, der nach Rang vier noch hinter dem Force India von Sergio Perez seine eigene Performance gleich mal selbst kritisierte.

Kanada GP: Strategie-Fail in Montreal

Kimi in Kanada: Kein Vertrauen und Pech dazu, Foto: Sutton
Kimi in Kanada: Kein Vertrauen und Pech dazu, Foto: Sutton

Das Saisontief des Kimi Räikkönen setzte sich in Kanada nahtlos fort. Und ja: Wie schon in Monaco kam der Finne auf der Île Notre Dame so richtig nie in Fahrt. Doch das größte Problem war nicht Räikkönen selbst, sondern die Strategie seines Teams. Als Ferrari in einer frühen VSC-Phase gleich beide Piloten zum Stopp zitierte, kostete das Raketen-Starter Vettel den Sieg im Duell mit Hamilton.

Räikkönen verlor durch das schlechte Gamblen Ferraris jedoch weitaus mehr - satte fünf Sekunden. Weil die Abstände so früh im Rennen noch klein waren, fiel der Finne bis auf P15 zurück, musste sich erneut durch Feld kämpfen. Das gelang gar nicht mal so schlecht, kostete jedoch Reifen. Keine Chance mehr gegen den von hinten heran preschenden Nico Rosberg. Kurzum ein verlorenes Podium - mit einer normalen Strategie wäre P3 durchaus realistisch gewesen.

Europa GP: Absurdistan Aserbaidschan

Zurück in Europa ging es wieder aufwärts für Kimi Räikkönen. Das angebliche Formtief war zweifelsohne überwunden, die Setup-Probleme deutlich geringer. Im Qualifying fehlte nicht allzu viel auf Teamkollege Vettel, auch im Rennen war die Pace auf einem Niveau. "Wenn du dir die Überholmanöver von ihm ansiehst, und in gewissen Sektoren war er heute der schnellere, musst du sagen, dass er seinen Job macht", sagte Teamchef Arrivabene.

Einzig das Resultat stimmte mit P4 am Ende nicht (Vettel P2). Allerdings waren dafür erneut besondere Umstände verantwortlich. So kassierte Räikkönen eine 5-Sekunden-Zeitstrafe wegen Überfahrens der Linie am Boxeneingang ohne in die Boxe gefahren zu sein. Nach Einschätzung der Rennleitung verboten, für Räikkönen ein schlechter Witz. "Für mich ist das einfach dumm. Du profitierst nicht davon, wenn du diese Linie überfährst und wenn ein anderes Auto dasselbe machen würde, wäre es nicht bestraft worden", wetterte der Finne. Den Stewards dürfte es jedoch eher um eine Gefährdung gegangen sein.

Ob das der Fall ist, darüber kann sich jeder anhand der Onboard eine Meinung bilden. Noch dazu wird dadurch ersichtlich, dass sich Räikkönen im direkten Duell mit einem Red Bull befunden hat. Dass er dem im Windschatten folgt, ist das normalste auf der Welt. Dass Ricciardo aber derart früh (Runde sechs) zum Stopp kommt, eher nicht. Einfach unglücklich also.

Jedoch mit fatalen Folgen: Nur wegen der Strafe ließ Räikkönen Vettel wegen dessen besserer Vettel Aussichten freiwillig passieren und Perez am Ende ohne große Gegenwehr überholen. Zuvor hatten Räikkönen problematische Überrundungen um die Chance gebracht, den nötigen Vorsprung von fünf Sekunden zu managen.

Mit der Performance seines Ferrari geht es auch mit den Leistungen von Kimi Räikkönen wieder aufwärts, Foto: Sutton
Mit der Performance seines Ferrari geht es auch mit den Leistungen von Kimi Räikkönen wieder aufwärts, Foto: Sutton

Fazit: Abschiedstournee sieht anders aus

Insgesamt lässt sich damit festhalten: Vor allem die Summe mehrerer unglücklicher Umstände, aber nur ein eigener Fehler (Monaco) haben dazu geführt, dass Räikkönen in der WM nicht ein ordentliches Stück weiter vorne liegt. Mindestens 12 Punkte aus Australien, 8 aus China, 7 aus Kanada und wenigstens 3 aus Baku sind Kimi unglücklich durch die Lappen gegangen. Mit dieser Ausbeute würde der Finne mit 111 Punkten nur knapp hinter Hamilton rangieren.

Vettel hingegen würde mit mehr Rennglück zusätzlich auf vielleicht 18 aus Bahrain, 12 aus Russland und 7 aus Kanada kommen. Die entsprechenden Positionsverschiebungen mit Räikkönen in Bahrain und China wiegen sich nach Punkten genau auf. Entsprechend käme Vettel auf 37 Extra-Zähler - macht 133. Die Differenz zwischen Kimi und Seb würde also um sieben Punkte größer (von real 15 auf 22 Punkte), jedoch ist das alles andere als ein Klassenunterschied, zumal konservativ gerechnet.

Noch dazu stünden bereits so sechs Podien in acht Rennen für Räikkönen zu Buche. Das ist nicht die Bilanz einer Nummer zwei, schon gar nicht eines Racers auf Abschiedstournee. "Die Saison ist sehr gut gestartet - er war besser als sein Ergebnis in Australien. Nach Spanien war er Zweiter in der Meisterschaft!", erinnert Heikki Kulta. Dann seien Monaco und Kanada schlecht gelaufen, in Baku habe es aber wieder klar besser ausgesehen. Entsprechend ist sich Kulta ziemlich sicher, was Kimis Zukunft bei Ferrari 2017 betrifft: "Ich denke schon. Ganz Finnland setzt darauf!"

Und jetzt ist eure Meinung gefragt: Hat der Iceman noch sein Feuer? Seht ihr Kimi als Nummer zwei bei der Scuderia? Ist Räikkönen auch 2017 die ideale Besetzung für Ferrari? Es gibt genug zu diskutieren. Tobt euch in den Kommentaren aus!