Die Fassungslosigkeit ist vielen Fans von Lewis Hamilton auch einen Tag nach dem Strategie-Fauxpas von Mercedes ins Gesicht geschrieben. Der für jeden offensichtliche Fehler, Lewis Hamilton zu einem zweiten Stopp an die Box zu beordern, brachte sowohl den Engländer als auch das Team um wichtige Punkte und so manchen Hamilton-Anhänger um den Verstand. Trotz des Sieges wird für Nico Rosberg eine mächtige Analysearbeit bevorstehen, denn bis zum unrühmlichen Boxenstopp fuhr Hamilton ihm um die Ohren.

Bis zum Crash von Max Verstappen ging das Rennen seinen gewohnten (langweiligen) Gang. In den ersten zehn Runden erarbeitete sich Hamilton ein Polster, bevor beide Mercedes-Fahrer in einen Schongang schalteten, um Reifen zu sparen. Nach 15 Runden im Schongang legte Hamilton ein paar Kohlen nach und schaltete in den berühmten Hammer-Modus: In nur fünf Runden verdoppelte er den Vorsprung von viereinhalb auf neun Sekunden. Rosberg reagierte erst ab Runde 28 auf die schnellere Gangart, als er die Mitteilung bekam, dass Vettel mit einem Undercut eine Gefahr darstellen könnte. An die schnellen Runden seines Teamkollegen kam er aber nicht heran. Dieser hatte seine Arbeit getan und zehrte ab Runde 30 von dem Vorsprung.

Die Rundenzeiten zeigen, dass Rosberg im Reifen noch Reserven hatte, schließlich war er noch kurz vor seinem Boxenstopp in der Lage, 19er-Zeiten zu fahren. Das Potenzial in seinen Pneus gegenüber Hamilton konnte er aber nicht mehr abrufen, da er den Boxenstopp von Sebastian Vettel covern musste. Auf dem Soft-Reifen schließlich hatte er seinem Teamkollegen gar nichts mehr entgegenzusetzen und sich wohl bereits mit dem zweiten Platz abgefunden.

Hamiltons Boxen-Debakel

Kurz zusammengefasst: Diese Faktoren sind schuld:

  • Die Angst vor einem Wechsel von Sebastian Vettel auf Supersoft
  • Ein irreführender Abstand von 25 Sekunden durch VSC-Bedingungen
  • Die Aufhebung der VSC-Bedingungen zugunsten von SC-Verhältnissen mit neuer Delta-Time
  • Ein Problem bei Mercedes, dass die neue Delta-Zeit nicht angezeigt wurde
  • Das Auflaufen Hamiltons auf das Safety Car auf seiner Inlap

Irreführender Abstand durch VSC

Plötzlich nur noch Dritter: Lewis Hamilton verstand die Welt nicht mehr, Foto: Sutton
Plötzlich nur noch Dritter: Lewis Hamilton verstand die Welt nicht mehr, Foto: Sutton

Als Max Verstappen Romain Grosjean über den Haufen fuhr, kam es zur kompletten Verwirrung an der Box. Zunächst wurde ein virtuelles Safety Car ausgerufen, kurze Zeit später kam es dann zum "realen" SC. Viele Teams machten sich zum Boxenstopp bereit, und Hamilton bog ab, während der Rest der Top-5 draußen blieb. Hamilton war nach dem Stopp plötzlich nur noch Dritter. Wie kam es zu diesem fatalen Fehler? "Wir hatten einen Hund in unserem Algorithmus, deshalb hat die Rechnung nicht gestimmt", sagte Toto Wolff. Wo genau lag der Wauwau also begraben?

Eine Antwort darauf gibt die Rundentabelle: Lewis Hamilton hatte in der Runde vor dem Boxenstopp 25,727 Sekunden Vorsprung auf Rosberg - eigentlich genug für einen Boxenstopp, der ungefähr 21 Sekunden dauert - dachte sich auch das Team. Doch wie kam dieser Abstand zustande? Durch das virtuelle Safety Car! Da alle Fahrzeuge gleichzeitig verlangsamen müssen, war die Rundenzeit von Nico Rosberg in Runde 64 deutlich langsamer als die von Lewis Hamilton, weil er mehr Meter mit Delta-Zeit fahren musste. Das gilt übrigens auch für alle Fahrer dahinter. Die Tabelle zeigt, wie sehr der Abstand anwuchs, weil die Fahrer in der 64. Runde mehr Weg unter VSC-Bedingungen zurücklegen mussten, je weiter hinten sie sich befanden.

RundeAbstand RosbergAbstand VettelAbstand KvyatAbstand Räikkönen
6319,19620,98132,51733,759
6425,72726,90444,25544,795

Wäre das Rennen ohne SC wieder freigegeben worden, hätte sich schnell alles wieder auf die Abstände aus Runde 63 ausgeglichen, da Rosberg und alle Fahrer hinter ihm in der Startrunde mehr Meter mit voller Geschwindigkeit hätten fahren können als Hamilton. Merke: Ein VSC lässt die Abstände kurzfristig in große Höhen anwachsen. Das hatte Mercedes in der Hektik nicht bedacht.

Die Strategie wäre dennoch aufgegangen, wenn das Rennen unter VSC-Bedingungen weitergelaufen wäre. Dann wäre Hamilton wieder vor Rosberg auf die Strecke gekommen. Doch es wurde auf ein "reales" Safety Car umgeschaltet. Das hatte Folgen: Die Delta-Zeit, also die Zeit, die die Fahrer unter diesen Bedingungen fahren dürfen, ist unter SC-Bedingungen deutlich schneller als unter VSC. Wäre Hamilton nicht an die Box gekommen, hätten plötzlich wieder weniger als 20 Sekunden auf der Uhr gestanden. Hamilton hat also nie "wirkliche" 25,7 Sekunden Vorsprung gehabt. Mercedes jedoch hatte ein Problem mit der Anzeige der Delta-Zeit, die sich angeblich nicht mehr aktualisierte und so auf VSC-Niveau verharrte. Das ist der Hauptgrund.

Zweiter Stopp hätte Vettel Platz gekostet

Als zusätzlicher Faktor kam hinzu, dass Hamilton gegen Ende seiner Runde auf das Safety Car auflief. Dadurch verlor er weiter an Zeit. "Er [Hamilton] ist auf das Safety Car aufgefahren und hat dadurch auch verloren", erklärte Wolff. "Das hat vermutlich auch eine Rolle gespielt, dass er letztlich so knapp hinter Nico und Sebastian herausgekommen ist." Mercedes untersucht noch, ob das Safety Car womöglich zu langsam durch Rascasse gefahren sei. Ändern kann man das aber auch nicht mehr.

Wozu überhaupt ein zweiter Boxenstopp? Mercedes befürchtete, dass Sebastian Vettel einen Boxenstopp einlegen und auf Supersoft gehen könnte. Die Aufholjagd von Max Verstappen und auch der Sturmlauf von Daniel Ricciardo in der Schlussphase zeigten, dass diese durchaus berechtigt war. Sogar Rosberg gab zu: "Ich dachte erst, Hamilton kriegt mich noch mit frischen Reifen." Vettel jedoch hätte seinerseits einen Platz an Kvyat abgegeben, wenn er an die Box gekommen wäre - ohne Opfer wäre das also nicht gegangen. Im Gegensatz zu Mercedes rechnete Ferrari aber mit dem richtigen Abstand.

Sebastian Vettel errichtete in den letzten Runden ein Bollwerk gegen den amtierenden Weltmeister. Wie wichtig Track Position gegen Nettospeed in Monaco ist, zeigte sich schon 2001, als David Coulthard im McLaren den fünf Sekunden langsameren Enrique Bernoldi in einem Arrows nicht überholen konnte. Es spricht für Hamilton, dass er keine Wahnsinns-Aktion geritten hat, sondern die Punkte mitnahm.

Red Bull überlistet Räikkönen

Auch Red Bull wusste seine Track Position zu nutzen: Nachdem Daniil Kvyat beim Start an Daniel Ricciardo vorbeizog, nutzte Red Bull den Australier als Blocker gegen den Iceman, während Kvyat früh zum Stopp kam. Zwar schaffte es Räikkönen, mit Hilfe eines Undercuts an Ricciardo vorbeizugehen, doch Kvyat hatte man bei Red Bull somit gerettet. Beim SC kam Ricciardo wiederum rein, da er genug Luft nach hinten hatte und nutzte die Supersofts, um sich mit etwas Vorbande gegen Kimi Räikkönen durchzusetzen.