Da war er wieder - so ein Moment, in dem der Fan am liebsten den gesamten Kommandostand entlassen und selbst die Fäden in die Hand nehmen möchte. Mercedes beging mit Lewis Hamiltons zweitem Stopp beim Großen Preis von Monaco einen der verheerendsten Strategiefehler aller Zeiten. Es war nicht das erste Mal, dass Zuschauer ihren Augen nicht getraut haben. Hier eine Liste der schlimmsten strategischen Fehlentscheidungen der Vergangenheit - ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Europa GP 1993: Alain Prost

Immer auf den falschen Gummis: Prosts 7-Stopp-Strategie ging nicht auf, Foto: Sutton
Immer auf den falschen Gummis: Prosts 7-Stopp-Strategie ging nicht auf, Foto: Sutton

In einer Zeit vor Regenradar und Strategiesimulationen wurde die Reifenwahl in der Regel über einen Blick in den Himmel bestimmt. Dumm nur, wenn man jedes Mal die falsche Wahl trifft. Alain Prost erlebte in Donington 1993 einen Alptraum. Während Ayrton Senna einen der letzten seiner berühmten magischen Siege einfuhr, verbrachte Prost fast mehr Zeit an der Box als auf der Strecke. Immer wieder versuchte er, auf die sich verändernden Bedingungen zu reagieren, doch jedes Mal traf er die falsche Wahl. Holte er Slicks, fing es an zu regnen, nahm er Regenreifen, hörte es auf. Dazu würgte er noch den Motor ab. Am Ende legte er rekordverdächtige sieben Boxenstopps ein und wurde überrundet Dritter.

Australien 1998: Mika Häkkinen

Stell' dir vor, du kommst an die Box und keiner geht hin, Foto: Sutton
Stell' dir vor, du kommst an die Box und keiner geht hin, Foto: Sutton

Nach Jahren der Williams-Dominanz staunte die Fachwelt nicht schlecht, als die McLaren-Mercedes im Zuge des neuen Reglements mit Rillenreifen und schmaleren Fahrzeugen in Australien plötzlich nach Belieben dominierten. Noch mehr staunte allerdings die McLaren-Crew von Mika Häkkinen, als der Finne unvermittelt in Runde 36 an die Box kam. Staunen dann auch im Cockpit, die Mechaniker standen nämlich nicht parat. Erst 2007 lüftete Ron Dennis das Geheimnis: Jemand hatte sich in den Funk gehackt und Häkkinen an die Box gerufen. McLaren stellte mittels Teamorder die Reihenfolge wieder her und Häkkinen gewann.

Europa GP 1999: Eddie Irvine

Der berühmteste Boxenstopp aller Zeiten: Ferrari findet das Rad für Irvine nicht, Foto: Sutton
Der berühmteste Boxenstopp aller Zeiten: Ferrari findet das Rad für Irvine nicht, Foto: Sutton

Eine der wohl legendärsten Pannen der Formel-1-Geschichte unterlief Ferrari auf dem Nürburgring 1999: Eddie Irvine hatte einen Stopp angekündigt und wollte auf Regenreifen wechseln. Zwischenzeitlich kam Teamkollege Mika Salo unerwartet zu einem Tausch seines Frontflügels an die Box. Irvine entschied sich um und verlangte nun Trockenreifen, doch in all dem Chaos hatten die Mechaniker den rechten hinteren Trockenreifen verlegt und konnten ihn nicht finden. Erst nach 48 Sekunden konnte der Ire wieder losfahren. Die italienische Presse zerfleischte die Scuderia wochenlang, in ganz Italien stellten Menschen rechte Hinterreifen in Schaufenster.

China GP 2007: Lewis Hamilton

Die Gedankengänge des McLaren-Kommandostandes werden wohl stets ein Geheimnis bleiben, Foto: Sutton
Die Gedankengänge des McLaren-Kommandostandes werden wohl stets ein Geheimnis bleiben, Foto: Sutton

Erst 2015 wurde das "Kiesbett des Grauens" endgültig beseitigt und durch eine asphaltierte Auslaufzone ersetzt. Acht Jahre zu spät für Lewis Hamilton, der 2007 eigentlich den WM-Titel in China holen sollte, als das Rennen noch am Ende des Kalenders lag. Was auch immer den McLaren-Verantwortlichen durch den Kopf ging: Sie ließen den Rookie so lange auf abgefahrenen Intermediates auf trockener Strecke draußen, bis er auf der Karkasse fuhr und das Auto kaum mehr lenken konnte. In der Boxeneinfahrt versenkte er den Boliden im Kies und verlor später die Weltmeisterschaft. Bis heute hält sich eine Verschwörungstheorie, dass McLaren wegen der Spionage-Affäre nicht Weltmeister werden durfte.

Deutschland GP 2008: Lewis Hamilton

Nochmal gutgegangen: McLaren ließ Hamilton härter für den Sieg arbeiten als nötig, Foto: Sutton
Nochmal gutgegangen: McLaren ließ Hamilton härter für den Sieg arbeiten als nötig, Foto: Sutton

Diesen Fehler konnte Hamilton durch fahrerische Klasse ausgleichen: Auf dem Hockenheimring führte der McLaren-Pilot überlegen das Rennen an, als das Safety Car aufgrund eines Crashs von Timo Glock ausrücken musste. Während alle anderen Fahrer an die Box kamen, ließ McLaren Hamilton auf der Strecke. Somit verlor er nicht nur seinen Vorsprung, sondern musste obendrein noch einen Boxenstopp unter grün einlegen. Er fuhr - von seinem kongenialen Sieg im Regen von Silverstone kurz zuvor beflügelt - wie entfesselt. Teamkollege Kovalainen ließ ihn durch, danach putzte Hamilton auch noch Felipe Massa und Nelson Piquet Jr. weg, um sich doch noch den Sieg zu holen.

Malaysia 2009: Kimi Räikkönen

Hätte ja klappen können: Räikkönen mit Regenreifen auf trockener Bahn, Foto: Sutton
Hätte ja klappen können: Räikkönen mit Regenreifen auf trockener Bahn, Foto: Sutton

Es hätte eine Meisterleistung werden können, doch am Ende standen die Ferrari-Mannen als Deppen da: Im letzten Jahr der Tankstopps war Kimi Räikkönen genötigt, kurz vor einem sich abzeichnenden Tropenschauer an die Box zu kommen. Ferrari gab ihm Regenreifen, da der Regen jeden Moment einsetzen würde. Dummerweise ließ sich der Schauer aber noch fünf Minuten auf sich warten. Als es losging, hatte Räikkönen in der tropischen Hitze seine Bridgestone-Wets bereits zu Slicks zusammengeschmolzen. Der Regen wurde so heftig, dass das Rennen abgebrochen werden musste. Es ist das bisher letzte Rennen, in dem halbe Punkte vergeben wurden.

Abu Dhabi 2010: Fernando Alonso

WM-Zerstörer: Vitaly Petrov hatte den berühmstesten Moment seiner Karriere, Foto: Sutton
WM-Zerstörer: Vitaly Petrov hatte den berühmstesten Moment seiner Karriere, Foto: Sutton

Die einzige Entscheidung, die die italienischen Medien Ferrari noch übler nahmen als das Irvine-Dreirad war die Entscheidung, Fernando Alonso beim Großen Preis von Abu Dhabi 2010 viel zu früh an die Box zu bringen. Ferrari hatte sich im WM-Kampf voll auf den WM-Führenden Webber konzentriert und versuchte, einen Boxenstopp des strauchelnden Australiers zu covern. Das gelang auch, aber die beiden Freunde fanden sich daraufhin mitten im Feld zwischen Piloten wieder, die bereits ganz zu Beginn die Reifen gewechselt hatten. Die Tatsache, dass dies das letzte Rennen ohne DRS war plus der ausgezeichnet funktionierende F-Schacht am Renault sorgten dafür, dass Alonso das ganze Rennen über Vitaly Petrov nicht überholen konnte. Zwar kam er vor Webber ins Ziel, doch Alonso verlor den Titel an Sebastian Vettel.

China 2012: Kimi Räikkönen

Selbst der reifenschonende Lotus half Räikkönen nicht mehr weiter, Foto: Sutton
Selbst der reifenschonende Lotus half Räikkönen nicht mehr weiter, Foto: Sutton

Nach der Debütsaison der Pirelli-Reifen glaubten die Teams, sie wären den italienischen Pneus auf die Schliche gekommen. Pirelli reagierte und brachte für 2012 nochmal deutlich weichere Gummis. Lotus hatte das scheinbar nicht mitbekommen und wagte eine irre Strategie, den Finnen das halbe Rennen auf einem Reifensatz fahren zu lassen. Zunächst schien die Strategie aufzugehen und Räikkönen hielt sich lange auf dem zweiten Platz, doch dann waren die Reifen am Ende und er stürzte wie ein Stein. In den letzten zehn Runden fiel er von Platz 2 bis auf Rang 14 zurück und blieb ohne Punkte.

Zwei Sonderfälle: Entscheidungen mit Imageverlust

Sportlicher Tiefpunkt: An diesem Moment knabbert Rubens Barrichello bis heute, Foto: Sutton
Sportlicher Tiefpunkt: An diesem Moment knabbert Rubens Barrichello bis heute, Foto: Sutton

Zwei berühmte strategische Entscheidungen stellten sich erst im Nachgang als verheerend heraus: In Österreich 2002 befahl Jean Todt mit den legendären Worten "Let Michael pass for the championship" Rubens Barrichello, den sicheren Sieg abzugeben. Im Vorjahr hatte Ferrari diese Entscheidung bereits schon einmal getroffen, damals für Platz zwei. Schumacher gewann, doch Ferrari wurde von der ganzen Welt für die Unsportlichkeit abgestraft. Der Deutsche revanchierte sich am Ende der Saison unfreiwillig in Indianapolis, und die Scuderia war ein zweites Mal blamiert.

Nelson Piquet Jr riss aus der Mauer in Singapur mehr als in seiner gesamten F1-Karriere, Foto: Sutton
Nelson Piquet Jr riss aus der Mauer in Singapur mehr als in seiner gesamten F1-Karriere, Foto: Sutton

Den wohl unglaublichsten Unfall aller Zeiten legte Nelson Piquet Jr. in Singapur 2008 hin, als er auf Befehl Flavio Briatores seinen Renault mit voller Absicht in die Wand steuerte. Das löste ein Safety Car aus, wodurch Fernando Alonso in Führung gespült wurde, der den Grand Prix gewann. Piquets Leistungen in der Folgesaison waren schwach, doch er nutzte den Vorfall als Druckmittel, um weiterfahren zu dürfen. Erst nach seiner Entlassung brachte er offiziell ans Licht, was jeder wusste. Für Briatore bedeutete dies das Ende seiner Aktivitäten in der Formel 1.