Der Hintergrund

In Monaco schien alles klar. Lewis Hamilton führte das Rennen in der 63 Runde mit 19,196 Sekunden Vorsprung vor Teamkollege Nico Rosberg an. Dann passierte im Mittelfeld die dramatische Wendung. Max Verstappen verschätzte sich im Überholmanöver gegen Romain Grosjean und krachte in Sainte-Devote in die Streckenbegrenzung. Sofort wurde das virtuelle Safety Car aktiviert, kurze Zeit später das wirkliche Safety Car auf die Strecke geschickt. Zur Verwunderung aller Anwesenden wurde es plötzlich hektisch an der Mercedes-Box. Die Mechaniker bereiteten einen Boxenstopp vor und schließlich kam der Führende zum Reifenwechsel herein.

Als er schließlich wieder auf die Strecke ging war klar: Er hatte nicht nur Position eins, sondern auch den zweiten Rang verloren und fand sich hinter Sebastian Vettel auf Rang drei wieder. Vollkommenes Unverständnis machte sich bei allen Beteiligten breit. Tatsächlich verlor Hamilton auf diesem Wege seinen sicher geglaubten zweiten Sieg im Fürstentum. "Was zur Hölle habt ihr getan ist die richtige Frage", musste Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff ehrlich zugeben. "Die einfache Antwort ist, dass wir falsch kalkuliert haben." Motorsport-Magazin.com fasst die entscheidenden Punkte des Mercedes-Dramas in Monte Carlo nochmals zusammen.

Lewis Hamilton lag in Monaco klar in Führung, Foto: Sutton
Lewis Hamilton lag in Monaco klar in Führung, Foto: Sutton

Die Ausgangslage

Hamilton lag klar vorne und eigentlich gab es keinen Grund, den WM-Führenden zu einem zweiten Stopp an die Box zu zitieren. Doch bei Mercedes ging die Angst vor Sebastian Vettel um. "Das potenzielle Risiko hätte sein können, dass Sebastian hinter uns auf die superweichen Reifen wechselt und dann nah herankommt", erklärte Wolff die Gedankengänge des Teams.

Aus Sicht von Mercedes war der Abstand zum Zweitplatzierten Rosberg groß genug, um Hamilton einen Stopp zu ermöglichen - sogar, wenn dieser nicht perfekt gelaufen wäre. "Die Möglichkeit, dass Sebastian auf die superweichen Reifen geht und in den letzten zehn Runden nochmals eine finale Attacke reitet und der - vermeintlich - große Abstand waren genug, um diese Entscheidung zu treffen."

Da Vettel zu diesem Zeitpunkt weit hinter dem Briten lag, war es nicht möglich, die Ferrari-Strategie zunächst abzuwarten - es musste gehandelt werden. Dabei verteidigte Wolff, dass dieser Boxenstopp aufgrund von Daten und wider logischem Menschenverstand absolviert wurde. "Die logische Überlegung ist, dass er [Vettel] als Dritter rausgekommen wäre und es schwierig ist, hier überhaupt zu überholen - geschweige denn zwei Autos. Vielleicht hätten wir am Ende dann auch ein Ergebnis mit Platz eins und drei gehabt, aber in einer anderen Fahrer-Reihenfolge. Das kann man so sehen und vermutlich wäre es auch so gewesen, aber mit dieser simplen Denkweise werden wir auf Dauer keine Rennen gewinnen", verteidigte Wolff die Entscheidung.

Hamiltons Einfluss auf die Entscheidung

Bevor Mercedes sich Gedanken um einen zweiten Stopp bei Hamilton machte, hatte dieser über Funk verschiedene Probleme beklagt. Die Reifentemperatur war deutlich gefallen und er hatte auf der härteren der beiden Mischungen kaum mehr Grip. Als das Safety Car schließlich auf die Strecke ging, konnte Hamilton auf den Video-Leinwänden sehen, dass sich Teams für Boxenstopps bereit machten. Der Brite ging davon aus, dass auch andere Fahrer sich neue Reifen holen würden.

Wolff betonte aber mehrfach, dass Hamiltons Aussagen alleine nicht der Grund für den Boxenstopp waren. In der kritischen Phase versuchte das Team, so viele Informationen wie möglich von den Ingenieuren, dem Management und dem Fahrer selbst zu erhalten, um dann zu entscheiden. "Wir mussten innerhalb weniger Sekunden eine Entscheidung treffen. Lewis Aussagen waren eine Variable, aber sicher nicht das entscheidende Element", schilderte Wolff.

Die finale Entscheidung

Ob Hamilton zum zweiten Boxenstopp hereingerufen werden sollte oder nicht, wurde letztlich erst in Rascasse beschlossen. "Die finale Entscheidung wurde 50 Meter vor der Boxeneinfahrt getroffen", erklärte Wolff. Letztlich verdeutlichte der Motorsportchef aber, dass es keine einzelne Person gab, die schließlich den Ausschlag gegeben hatte. "Es war eine Teamentscheidung, in der wir alle mit drin hängen. Wir treffen Entscheidungen zusammen und es ist nicht eine Person dafür verantwortlich", nahm er seine Mannschaft in Schutz.

Das Safety Car wirbelte alles durcheinander, Foto: Sutton
Das Safety Car wirbelte alles durcheinander, Foto: Sutton

Der Faktor Safety Car

Nach dem großen Fehler der Strategen wurden Gerüchte um ein Problem mit dem Safety Car laut, dass Hamilton in Rascasse zusätzlich blockiert haben soll. Ein Fakt, den Wolff nicht komplett von der Hand weisen wollte. "Wir müssen uns ansehen, mit welchem Speed das Safety Car durch Rascasse gefahren ist. Aber er ist auf das Safety Car aufgefahren und hat dadurch auch verloren", erklärte Wolff. "Das hat vermutlich auch eine Rolle gespielt, dass er letztlich so knapp hinter Nico und Sebastian herausgekommen ist."

Erschwerend kam hinzu, dass ein technisches Problem vorlag. Die Anzeige der Delta-Zeit des Safety-Cars war eingefroren und aktualisierte sich nicht mehr. Das war ein weiterer Faktor, der Mercedes laut Wolff "in die Irre getrieben" hat. Da in Monaco kein GPS vorhanden ist, wurde die Aufgabe zusätzlich erschwert. "Als der Wechsel vom virtuellen Safety Car auf das Safety Car vollzogen wurde, haben wir es falsch gemacht."

Foto: Sutton
Foto: Sutton

Die Gedanken nach dem Fehler

Nach dem Boxenstopp war es schließlich passiert. In einem kurzen Duell gegen Vettel zog Hamilton den Kürzeren und fand sich hinter dem Safety Car nur noch auf Rang drei wieder. Doch was wäre gewesen, wäre Hamilton vor dem Deutschen wieder auf die Strecke gekommen und damit direkt hinter Teamkollege Rosberg. Genau diese Frage stellte Motorsport-Magazin.com dem Motorsportchef. Eine direkte Antwort gab es von Wolff dazu aber nicht.

Allerdings gab es mehrere Szenarien im Hinterkopf zu behalten. "Wir haben kurz diskutiert, war passiert wäre, wenn Lewis Sebastian überholt hätte", schilderte Wolff die Gedankengänge des Teams in der verzwickten Situation. Einen Eingriff von Teamseite hätte es in diesem Fall wahrscheinlich aber nicht gegeben, stellte er klar.

Hamiltons erste Kontaktaufnahme

Letztlich musste sich Hamilton mit dem dritten Rang zufrieden geben. Im Mediabereich traf er erstmals auf Wolff. Diesem blieb nur eine Reaktion: "Bei uns wird niemand Abbitte leisten. Ich bin hingegangen und habe gesagt, dass es mir leid tut", verriet Wolff. Für den Österreicher war es absolut verständlich, dass Hamilton nach diesem Ergebnis enttäuscht war. "Das Rennen war seines. Er hatte eigentlich gewonnen, es war nur noch eine Sache von 13 Runden. Für Lewis tut es mir unglaublich leid. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen, denn er hätte es verdient gehabt, dieses Rennen zu gewinnen."

Teamintern wird es keine personellen Konsequenzen geben, Foto: Sutton
Teamintern wird es keine personellen Konsequenzen geben, Foto: Sutton

Die Konsequenzen für die Zukunft

Mit diesem Strategie-Fehler ist Mercedes nun das Top-Thema aller Schlagzeilen - im negativen Sinn. Das Team warf durch die falsche Entscheidung einen klaren Doppelsieg weg und sorgte für viel böses Blut bei Fans, Medienvertretern und Verantwortlichen.

Trotzdem bezeichnete Motorsportchef Wolff personelle Konsequenzen als undenkbar. "Wir sind das Team, das die Meisterschaft anführt. Wir haben die richtigen Leute an den richtigen Stellen", untermauerte er. Lediglich müsse das Team überlegen, wo das System vielleicht verstärkt und die Algorithmen verbessert werden müssten. "Aber wenn wir jetzt beginnen würden in die Menge zu schießen, wären wir nicht da, wo wir sind und hätten als Team nicht so funktioniert wie bisher."