Adrian, wie viel Ingenieur steckt heutzutage in einem modernen Formel-1-Rennfahrer?
Adrian Sutil: Die Formel 1 ist schon recht technisch geworden. Auch sehr kompliziert. Man lernt immer mehr dazu und muss immer mehr technisches Verständnis mitbringen, um alles auf Befehl abrufen zu können. Okay, eigentlich muss man nur zuhören und funktionieren. Aber gewisse Dinge sind beim Verständnis wichtig, um alles richtig einschätzen zu können.

Wie viel Spaß macht dir dieser Teil deiner Arbeit?
Adrian Sutil: Das gehört zur modernen Formel 1 dazu. Veränderungen sind gut. Jetzt haben wir eine Formel 1 in der sehr viel Wert auf das Benzinsparen gelegt wird. Als Rennfahrer möchte man immer Vollgas fahren, immer schnell sein, nicht auf den Benzinverbrauch achten. Das könnte schon ein bisschen besser sein.

Gibt es spezielle Kenntnisse, die du dafür benötigst?
Adrian Sutil: Das meiste habe ich in meiner Formel-1-Karriere gelernt. Davor fährt man mit Autos, die technisch nicht ganz so kompliziert sind. Diese Fahrzeuge versteht man recht schnell. Sie sind die Basis. Bei mir waren das die Formel BMW und die Formel 3. Mein Aufstieg ging ohnehin ein bisschen schneller vonstatten. Ich bin vor der Formel 1 fast nur zwei Autos richtig gefahren.

Du hast bereits das Benzinsparen angesprochen. Das ist ein großes Thema in diesem Jahr. Dies führte bis Singapur zu einem Anstieg der Funksprüche von der Box an die Fahrer. Bist du jemand, der im Funk gerne wie ein Wasserfall quasselt oder hast du lieber deine Ruhe?
Adrian Sutil: Ich höre dem Team zu, aber ich rede nicht viel. Das bringt ja nichts. Zuhören, machen und dann läuft es. Man muss seinem Team vertrauen. In einem neuen Team harmoniert das am Anfang vielleicht nicht ganz perfekt. Aber das spielt sich schnell ein. Es ist wichtig, dass man seinem Ingenieur vertraut. Wenn er etwas sagt, bedeutet das für mich als Fahrer: Okay, machen, fertig.

Beim Benzinverbrauch kann der Fahrer nur schwer mitreden. Aber oft gibt es auch Funksprüche über die Abstände zum Vorder- oder Hintermann. Oder Infos in welcher Kurve ein Fahrer Zeit verliert, wo er später bremsen soll. Willst du solche Informationen haben?
Adrian Sutil: Es ist immer gut, wenn man ab und zu solche Informationen erhält. Aber wenn man im Rennen voll am Limit fährt, kann man nicht großartig in einer Kurve etwas anderes probieren. Das endet meistens in einem Fehler. Diese Infos sind besser im Training aufgehoben. Wenn man klar sieht, dass man an einer Stelle Zeit verliert, kann man ein bisschen etwas ausprobieren. Aber im Rennen muss es sitzen. Da gibt es keine Zeit, um zu üben.

Sutil fährt künftig nicht mehr für Sauber, Foto: Sutton
Sutil fährt künftig nicht mehr für Sauber, Foto: Sutton

Die Fahranweisungen im Funk haben bei vielen Fans zu dem Eindruck geführt, dass der Fahrer ferngesteuert ist und gar nichts mehr selbst machen muss. Jetzt hast du die Chance, dem zu widersprechen und zu zeigen, dass du durchaus im Cockpit einiges zu tun hast...
Adrian Sutil: In der Onboard-Kamera sieht es immer recht einfach aus, wie wir auf der Strecke herumfahren. Es sieht ganz leicht aus. Wir machen nur ganz geringe Lenkbewegungen. Aber wenn man am Limit fährt, ist es absolute Schwerstarbeit. Das Auto bewegt sich wie auf der Rasierklinge. Dabei müssen wir gefühlt hundert Knöpfe drücken. Auf jeder Runde müssen wir drei Knöpfe betätigen. Das summiert sich. Hochschalten, runterschalten. Konzentrieren. Das Rennen fahren. Vor und hinter dir sind Autos. Wir haben wirklich viel zu tun und das alles bei Geschwindigkeiten über 300 km/h.

So gesehen machen die Funkanweisungen deine Arbeit ja sogar noch anspruchsvoller...
Adrian Sutil: Genau, man hat einfach noch mehr zu tun als letztes Jahr schon. Umso wichtiger ist es, die Konzentration über das Rennen hinweg zu halten. Das ist das Schwierige daran.

Siehst du dir hinterher die Rennen als Aufzeichnung an?
Adrian Sutil: Ja, eigentlich schon. Die meisten Rennen sehe ich mir hinterher noch einmal an. Das ist in meinen Augen wichtig, denn man kann auch dabei noch etwas lernen, zum Beispiel wie die anderen Fahrer gefahren sind.

Paul Hembery hat mir gesagt, dass die Fahrer für seinen Geschmack in diesem Jahr im Funk etwas zu viel jammern. Der eine beschwert sich, dass er abgedrängt werde, der andere beklagt, dass ein Gegner die Strecke verlassen habe. Teilst du diese Ansicht?
Adrian Sutil: Es gibt nun einmal Regeln. Gäbe es diese nicht, würde man wahrscheinlich weniger jammern. Aber es ist wie auf dem Fußballfeld. Wenn ein Spieler einen anderen streift, fliegt er gleich hin. Im ersten Moment sieht es ganz schlimm aus, aber dann steht er wieder auf als wenn nichts gewesen wäre. Man probiert, den anderen ein bisschen ins schlechte Licht zu drücken. Man versucht, überall alles herauszuholen und die Grenzen auszuloten. Jeder macht es. Also muss man es selbst auch machen. Somit gibt es oftmals wegen einer Kleinigkeit ein Riesentheater und es wird aus einer Fliege ein Elefant gemacht. So ist der Sport. Es geht um sehr, sehr viel. Jeder will gewinnen. Da muss man auch mit allen Tricks spielen, die zur Verfügung stehen.

Würde es dir als Fahrer gefallen, wenn du ohne Funk, Telemetrie und all diesen Schnickschnack fahren könntest?
Adrian Sutil: Ja, ein bisschen Einsparungen auf diesem Gebiet wären ganz gut. Dagegen hätte ich nichts einzuwenden. Es ist schon sehr, sehr kompliziert. Manchmal wäre es schön, mal rauszufahren und in der Lage zu sein, drei, vier Runden am Stück die gleiche Rundenzeit zu erzielen, weil die Reifen halten. Es ist alles sehr limitiert. Wir müssen den Motor schonen, Benzin sparen, auf die Reifen achten - und dann ist man plötzlich schon im Qualifying. Auf einmal muss man die beste Runde der Welt hinzaubern.

F1 ist wesentlich einfacher geworden

Einige deiner Fahrerkollegen haben gesagt, dass die Formel 1 in diesem Jahr physisch nicht mehr so anstrengend sei. Stimmst du dem zu?
Adrian Sutil: Absolut. Im Vergleich zu meinen ersten Formel-1-Jahren ist es wesentlich einfacher geworden. Besonders in diesem Jahr ohne den höheren Grip herrschen geringere Fliehkräfte vor.

Hat sich dadurch dein Trainingsprogramm verändert?
Adrian Sutil: Man muss die Muskeln verlieren, die man in den vergangenen Jahren aufgebaut hat. Je leichter, desto besser. Dadurch ist das Training schwieriger geworden. Man trainiert nur noch Ausdauer. Für große Fahrer ist es umso schwieriger geworden. Ich bin nur noch ganz selten beim Krafttraining. Stattdessen mache ich eigentlich nur noch Kardio-Training. Hauptsächlich laufen. Selbst Radfahren muss man sich zweimal überlegen, weil die Oberschenkel sehr schwer sind.

Trotzdem haben viele Fahrer gesagt, dass zum Beispiel Eau Rouge nun wieder eher eine Mutkurve gewesen ist. Also haben die neuen Autos auch ihre Vorzüge...
Adrian Sutil: Oh ja, die Eau Rouge war spannend. Man konnte nicht einfach voll durch fahren. Für uns ging sie im Qualifying geradeso mit Vollgas. Im Rennen mussten wir immer mal lupfen, andere sind voll durchgefahren - das war schon eine Mutkurve und hat definitiv wieder mehr Spaß gemacht.

Macht es allgemein noch so viel Spaß, mit den modernen Autos zu fahren?
Adrian Sutil: In Spa hat es auf jeden Fall viel Spaß gemacht. Unser Auto lag sehr gut. Die Grip-Verhältnisse waren auch okay. Natürlich könnte man mehr haben. Jeder Fahrer wünscht sich mehr Grip. Aber es war ein schönes Rennen.

Kommen wir zurück zu den Ingenieurskünsten, die ein Fahrer heutzutage besitzen muss. Dabei gehört es auch zu deinen Aufgaben, dem Team bei der Weiterentwicklung des Autos zu helfen. Welchen Einfluss hast du auf diesem Gebiet als Fahrer?
Adrian Sutil: Du bist der erste, der dazu befragt wird. Du musst deine Einschätzung abgeben und dem Team ständig Feedback geben. Jedes Training, jedes Qualifying wird analysiert. Die Tendenzen sind recht einfach herauszuhören. Wichtig ist, dass das Team in der Fabrik den richtigen Weg einschlägt. Ich bin der Mann, der einen Weg befürwortet oder eben nicht. Ich muss sagen, wo das Auto noch Schwierigkeiten bereitet. Wenn wir uns dort verbessern, werden auch die Rundenzeiten besser. Danach muss ich es wieder aus meiner Hand geben. Ich bin eben kein Aerodynamiker. Dann kommt es auf die Spezialisten an. Sie müssen umsetzen, was ich benötige, um schneller zu fahren. Die Schwierigkeit ist, da genau den richtigen Fühler zu haben, um den besten Weg einzuschlagen. Über die Zeit bastelt man sich das Auto natürlich nach seinen Bedürfnissen zurecht. Jeder Fahrer braucht etwas anderes. Wenn ein Fahrer lange bei einem Team fährt, kann es durchaus auch sein, dass ein Auto sehr auf ihn zugeschnitten ist. Wenn dann ein neuer Fahrer hinzustößt, kommt er damit vielleicht nicht so gut zurecht. Dann muss das Auto wieder etwas spezifischer geändert werden.

Dieses Interview stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Rund um Weihnachten veröffentlichen wir die besten, unterhaltsamsten und spannendsten Geschichten aus unserem Heft. Auf den Geschmack gekommen? Probiere das Motorsport-Magazin als Hochglanzmagazin aus! Unter folgendem Link kannst du unser Heft für 3 Ausgaben zum Sonderpreis bestellen:

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