Am Dienstag veröffentlichte Marussia im Auftrag von Jules Bianchis Familie und zusammen mit dem Mie General Medical Center in Japan ein Statement zum schweren Unfall des Franzosen. Darin heißt es, dass der Zustand weiterhin kritisch, aber stabil ist. Doch wie ist dieses Statement einzuschätzen und wie stehen die Heilungschancen des Franzosen? Motorsport-Magazin.com hat mit Universitätsprofessor Dr. Gerhard Wolf gesprochen, der in der Allgemeinchirurgie des Landeskrankenhaus Graz arbeitet und seit 1997 Mitglied der Medical Commission der FIA ist.

In dem offiziellen Statement heißt es, dass Jules Bianchi eine weitschweifige, axonale Schädigung erlitten hat. Können Sie erklären, was man darunter versteht?
Dr. Gerhard Wolf: Das ist die medizinische Ausdrucksweise für eine sehr schwere Hirnverletzung, wo auch Hirnmasse verloren geht und zwar durch den Bluterguss, der bereits operiert werden musste. Das heißt, es ist wohl auch Hirn zugrunde gegangen. Dieser Befund klingt leider nicht sehr erfreulich.

Wie stehen seine Chancen?
Dr. Gerhard Wolf: Solche Verletzungen kann man schon überleben. So traurig es klingt, doch das Gehirn ist für das Überleben nicht notwendig. Der Mensch kann mit entsprechenden Maschinen am Leben erhalten werden, ohne dass es Hirnfunktionen gibt. Wie gesagt, dieser Befund ist eine traurige Mitteilung. Das lässt vermutlich - da ich ja nicht die genauen Details des Befundes kenne - auf bleibende Schäden am Gehirn schließen.

Wie sehen die nächsten Behandlungsschritte aus?
Dr. Gerhard Wolf: Bianchi befindet sich in einem künstlichen Koma. Die intensivmedizinische Behandlung bei Gehirnverletzungen ist sehr ähnlich zu denen, die es bei Michael Schumacher gab. Der erste Schritt ist immer eine künstliche Beatmung.

Bianchis Zustand wird als kritisch, aber stabil beschrieben. Wie ist dieses Statement einzuschätzen?
Dr. Gerhard Wolf: Das ist natürlich immer ein Widerspruch in sich. Ärzte sprechen von einem kritischen Zustand, wenn akute Lebensgefahr besteht. Stabil bedeutet, dass sich der Zustand in den letzten sechs bis zwölf Stunden nicht verschlechtert hat.

Akute Lebensgefahr bedeutet, dass wir die nächsten 48 Stunden abwarten müssen?
Dr. Gerhard Wolf: 48 Stunden ist durchaus der Zeitrahmen, wobei man in solchen Fällen sich nicht nach der Uhr richten kann. Ich würde sagen, die nächsten 48 bis 72 Stunden sind sicherlich die kritische Zeit, wo wir von Lebensgefahr sprechen.

Könnte es sich positiv auswirken, dass Jules Bianchi erst 25 Jahre alt und körperlich topfit ist?
Dr. Gerhard Wolf: Absolut. Ein junger, sportlicher Mensch hat größere Überlebenschancen als ein älterer Mensch mit Begleiterkrankungen. Das wirkt sich mit Sicherheit günstig aus.