Das Silverstone-Wochenende glich für Lewis Hamilton einer emotionalen Achterbahnfahrt. Nach seiner Tagesbestzeit am Freitag lag der Lokalmatador bei seinem Heimspiel klar auf Pole-Kurs, beging quasi in letzter Sekunde des Qualifyings jedoch einen folgenschweren Fehler. Im Glauben, auf der nassen Strecke sei keine zeitliche Verbesserung mehr möglich, brach er seine fliegende Runde ab - und wurde von fünf Konkurrenten bis auf Rang sechs durchgereicht.

"Nach seinem krassen Fehler im Qualifying war ich ehrlich gesagt doch sehr besorgt um Lewis, denn er schien völlig durch den Wind", gesteht David Coulthard in seiner Kolumne bei der Bbc. So soll Hamilton auf der letzten Runde völlig in seinen eigenen Gedanken verloren gewesen sein - ein Zustand, der ihm schon des Öfteren Schwierigkeiten in der Formel 1 bereitet habe. "Ich dachte tatsächlich, der große Druck und der WM-Kampf hätten Lewis zu arg zugesetzt, aber als ich ihn am Sonntag wieder an der Strecke sah, war er plötzlich wie ein anderer Mensch."

Hamilton erfindet sich über Nacht neu

So ließ sich Hamilton von seiner Niedergeschlagenheit und seinem Fauxpas nichts mehr anmerken, interagierte in höchst-professioneller Manier gar mit seinen Fans, schüttelte Hände, lachte. "Ich bin mir sicher, dass er über Nacht seine Fehler und seine Einstellung reflektiert hat, und sich dann entschied, da raus zu gehen und jedem zu zeigen, dass er einfach der Beste ist", ist sich der Schotte sicher. Dabei beobachtete er ein lange verlorengegangenes Phänomen in Silverstone: "Mit ihrem gigantischen Support für Lewis haben die Fans ihn überwältigt und ihm die Selbstzweifel sowie das Bedauern seines Fehlers ausgetrieben. So habe ich das bisher nur bei Nigel Mansell hier erlebt."

Lewis Hamilton wollte unbedingt mit dem Goldpokal Silverstones vor seine Fans treten, Foto: Sutton
Lewis Hamilton wollte unbedingt mit dem Goldpokal Silverstones vor seine Fans treten, Foto: Sutton

Coulthard ist sich sicher: Egal was mit Rosberg im Rennen passiert wäre - der Sieger stand bereits vorher fest. "Hamilton ist ein Mysterium. Er hat sich in der Nacht auf Sonntag neu erfunden und war in einem Modus, in dem er nahezu unschlagbar ist. Ich habe absolut keine Zweifel: Egal wie die Strategien bei Mercedes aussahen, Hamilton hätte das Rennen definitiv gewonnen." Überrascht ist der Ex-McLaren-Pilot jedoch von der großen Diskrepanz zwischen den verschiedenen 'Hamiltons', die am Wochenende zum Vorschein kamen.

"Das war einfach Hamilton, wie er leibt und lebt. Auf der einen Seite hast du große Angst um ihn, und fürchtest, er könnte sich quasi selbst sein großes Talent kaputtmachen - und auf der anderen Seite kannst du ihn nur für seine Professionalität und sein Können bewundern", verrät Coulthard seine Gefühlslage. Eines sei jedoch sicher: "Egal was passiert, es gibt nur zwei Piloten, bei denen du das Gefühl hast, dass sie ihr Auto stets am Limit bewegen können - und das sind Hamilton und Alonso."

Ohne Goldpokal: Hamilton zeigt, was für ihn wirklich zählt

Coulthard, der am Sonntag die Ehre hatte, die Interviews mit den drei Piloten auf dem Podest durchzuführen, machte eine aus seiner Sicht interessante Entdeckung. Nachdem Hamilton auf dem Podest lediglich einen 'Ersatzpokal' aus Plastik bekam, insistierte er trotz Termindruck aufgrund der Pressekonferenz und weiterer Medientermine darauf, noch einmal mit dem Original vor die Fans treten zu dürfen. "Der goldene Pokal, der immer in Silverstone bleibt und auf dem die Namen aller Sieger eingraviert werden, wurde zum ersten Mal nicht auf dem Podest überreicht. Ich habe Lewis angesehen, wie es ihn gewurmt hat, denn bei allem Geld, Ruhm, etc. habe ich gemerkt, dass dieser Heimsieg für ihn das Größte war. Er wollte unbedingt mit dem goldenen Silverstone-Pokal vor seine Fans treten und so fotografiert werden", verrät Coulthard.

Für Coulthard steht trotz Hamiltons 'dunkler Seite' nicht erst seit Silverstone fest, dass der Engländer eine wahre Ikone des Motorsports ist. Mit fünf Siegen aus bisher neun Rennen steht Hamilton nach Rosbergs Ausfall wieder mit beiden Beinen im Meisterschaftskampf. "Sollte er es schaffen, seine Einstellung des Rennsonntags für den Rest der Saison zu zeigen, glaube ich kaum, dass Rosberg ihm den Titel streitig machen kann", prognostiziert Coulthard. "Jedoch wäre auch ein weiterer Auftritt wie im Qualifying am Samstag bei Lewis keine Überraschung..."