Lewis Hamilton, Valtteri Bottas und Daniel Ricciardo heißen die großen Gewinner des Großbritannien GP auf der Kultstrecke in Silverstone. Während Lokalmatador Hamilton seine abertausende von Anhängern mit seinem brillanten Sieg von Startplatz sechs in Ekstase versetzte, zauberte Bottas seinen FW36 nach der Qualifying-Schmach am Samstag von Platz vierzehn auf den zweiten Rang. Bei seinem zweiten Podestplatz in Folge profitierte der Finne dabei von einer cleveren Ein-Stopp-Strategie, mit der auch Ricciardo von Rang acht auf Platz drei nach vorne pirschte. Die Haltbarkeit der Pirelli-Pneus erwies sich dabei als schlichtweg überragend: Sieben der ersten Zehn benötigten lediglich einen Stopp, Ricciardo legte gar 37 der 52 Runden auf dem Medium-Reifen zurück.

Wo Gewinner sind, sind üblicherweise auch Verlierer nicht fern. Nico Rosberg büßte durch seinen Getriebedefekt nicht nur seine Siegchance ein, sondern zudem auch nahezu seinen gesamten Vorsprung in der WM. Sebastian Vettel verpasste trotz Startplatz zwei den Sprung aufs Podium und unterlag einmal mehr Ricciardo, während Alonso nach seinem Husarenritt von Rang 16 auf Platz 6 das Qualifying-Desaster Ferraris nur noch mehr bedauern dürfte. Doch wie kam es zu den beeindrucken Aufholjagden? Wie verpatzte Vettel Strategie und Podestchance? Und hätte Hamilton auch ohne Rosbergs Ausfall triumphiert? Motorsport-Magazin.com liefert die Antworten:

Hamilton oder Rosberg? Das Duell der Silberpfeile

Bereits im Vorfeld war klar: Bei normalem Rennverlauf kommt niemand außer einem der beiden Mercedes-Piloten als Sieger des Großbritannien GP in Frage. Zu perfekt passen die Stärken des F1W05 Hybrid auf die Charakteristika und Anforderungen der englischen Traditionsstrecke. Nachdem Hamilton als großer Favorit auf die Pole-Position durch eine Fehleinschätzung der Wetterverhältnisse im Qualifying quasi noch in letzter Sekunde von Startplatz eins auf Grid-Position sechs abrutschte, machte sich Pole-Setter Nico Rosberg automatisch zum Siegfavorit.

Schlich nach seinem verpatzten Qualifying enttäuscht davon: Lewis Hamilton, Foto: Sutton
Schlich nach seinem verpatzten Qualifying enttäuscht davon: Lewis Hamilton, Foto: Sutton

Bereits beim Start schob sich Lewis Hamilton um zwei Plätze auf Rang vier nach vorne, hatte dabei jedoch Glück, dass eine Rad-an-Rad-Berührung mit Sebastian Vettel ohne weitere Folgen blieb. Nach Kimi Räikkönens heftigem Unfall wurde das Rennen noch in der ersten Runde per Roter Flagge gestoppt, was eine interessante strategische Komponente ermöglichte. So war es den Piloten gestattet, bei der knapp einstündigen Wartezeit in der Startaufstellung die Reifen zu wechseln. Theoretisch war so kein Fahrer mehr gezwungen, noch einmal die Box anzusteuern - ein Szenario, das allerdings von vorneherein höchst unrealistisch erschien. Während sieben Piloten tatsächlich die Pneus austauschten, blieben sowohl Rosberg als auch Hamilton auf angefahrenen Medium-Reifen.

"Ich erwarte, dass Hamilton bis spätestens Runde zwölf auf dem zweiten Platz liegt, und dann wird man sehen, wie weit Rosberg vorne ist und ob Lewis noch aufschließen kann", hatte Niki Lauda noch vor dem Start prognostiziert. Nachdem Hamilton jedoch bereits beim ersten Start Nico Hülkenberg und Vettel kassiert hatte, überholte er in den zwei Umläufen im Anschluss an den Re-Start hinter dem Safety Car ohne große Probleme die beiden McLarens von Kevin Magnussen und Jenson Button. Zu diesem Zeitpunkt lag Hamilton bereits gut fünf Sekunden hinter Rosberg zurück. Bis Runde zehn wuchs der Rückstand gar auf knapp 5,8 Sekunden an.

Furiose Aufholjagd von Hamilton

Bereits in der Einführungsrunde hatte Rosberg kleinere Probleme am Getriebe seines Boliden bemerkt. "Es waren erst ganz kleine Anzeichen", erklärte er. "Ich habe nicht gedacht, dass es ein totaler Getriebeschaden sein wird." Doch weder Fahrer, noch Team konnten das Unvermeidliche verhindern - in Runde 30 rollte Rosberg auf der Strecke aus. "Bis dahin hatte ich alles unter Kontrolle", war Rosberg siegesgewiss. Doch war dem wirklich so? In den acht Umläufen vor Rosbergs erstem Stopp in Runde 18 holte Lewis Hamilton plötzlich massiv auf, schob sich bis auf 2,8 Sekunden an den Führenden heran. Während Rosberg zu dieser Zeit keine Runde unter 1:39.00 Minuten gelang, blieb Hamilton bis zu seinem ersten Stopp in Runde 25 elf Mal in Folge in den 1:38ern.

"Ich musste zu Beginn des Rennens die Reifen schonen, konnte dann jedoch aufdrehen", verriet Hamilton nach seinem beeindruckenden Sieg. War er ursprünglich also nur auf einer Ein-Stopp-Strategie unterwegs? Auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff hatte angekündigt, dass seine Piloten möglicherweise erst am Ende des Rennens durch ihre Strategien aufeinandertreffen könnten. Bei seinem ersten Stopp in Runde 18 wechselte Rosberg erneut auf gebrauchte Medium-Reifen. Somit war klar, dass er auf jeden Fall noch ein weiteres Mal zum Reifenwechsel hereinkommen musste. Ein Stopp in Silverstone mit durchschnittlich knapp 29 Sekunden bringt einen Netto-Zeitverlust von rund 20 Sekunden gegenüber einem gleichschnellen Auto auf der Strecke.

Hamilton bei allen Bedingungen der Schnellere

Die Runden nach Rosbergs erstem Reifenwechsel dienen als erster Hinweis darauf, dass Hamilton den Deutschen - womöglich aufgrund der bis dahin kleinen Getriebeprobleme - so oder so kassiert hätte. In fünf Runden auf den deutlich frischeren Reifen reduzierte Rosberg den Rückstand gerade einmal um 1,6 Sekunden auf knapp 14,5 Sekunden bis zu Hamiltons erstem Stopp. Dieser hatte sogar noch Pech, als seine Mechaniker Probleme hatten, den linken Hinterreifen schnell aufzuziehen, was Rosberg einen zusätzlichen Zeitgewinn von 1,6 Sekunden brachte. Boxenstopp-bereinigt lag Rosberg in Runde 25 knapp sechs Sekunden vor Hamilton, der sich bei 52 Gesamtrunden durch seinen langen ersten Stint jedoch theoretisch in das Fenster für eine Ein-Stopp-Strategie gebracht hatte.

Lewis Hamilton holte nach seinem Stopp mit Riesenschritten auf Nico Rosberg auf, Foto: Sutton
Lewis Hamilton holte nach seinem Stopp mit Riesenschritten auf Nico Rosberg auf, Foto: Sutton

Bereits in Runde 22 hatte Rosberg größere Probleme am Getriebe seines F1W05 Hybrid bemerkt, fuhr auf den frischen Reifen jedoch acht Runden am Stück konstant niedrige bis mittlere 1:38er Zeiten. Sein Problem: Hamilton drehte auf der härteren Mischung etwas überraschend mächtig auf, brannte drei niedrige 1:37er Runden in den Asphalt - darunter den schnellsten Umlauf des Rennens mit 1:37.176 Minuten. Bis eineinhalb Runden vor Rosbergs Ausfall war er so bereits auf vier Sekunden an den Deutschen herangekommen. Nun machten sich jedoch massive Getriebeprobleme bei Rosberg bemerkbar: In Runde 28 verlor er zwei Sekunden auf Hamilton, rollte in der nächsten Runde aus.

RundeRückstand Hamilton auf Rosberg
255,955
265,040
274,059
281,976

Zwar stoppte Hamilton aus Sicherheitsgründen bei großem Vorsprung von rund 41 Sekunden auf Valtteri Bottas zehn Runden vor dem Ende noch einmal, jedoch ist angesichts des langen ersten Stints auf der weicheren Mischung klar: Hamilton hätte das Rennen ohne Probleme mit einem Stopp zu Ende fahren können. Angesichts der Tatsache, dass der Engländer in der Runde vor seinem ersten Reifenwechsel (Runde 23) noch schnellere Zeiten fuhr als zu Beginn seiner ersten Aufholjagd auf Rosberg (Runde 11), legt dies den Verdacht nahe, dass auch auf den harten Pneus trotz eines Stints von 28 Umläufen kein zeitlicher Einbruch zu erwarten gewesen wäre. "In diesen Reifen ist noch sehr viel Leben - ich könnte ewig auf ihnen fahren", hatte Hamilton noch vor seinem Sicherheitsstopp am Funk bekanntgegeben.

Da Hamilton selbst auf den harten Reifen schneller war als Rosberg auf den weichen, seine Rundenzeiten zudem deutlich unter Rosbergs Longrun auf den Prime-Pneus im zweiten Freien Training am Freitag lagen, kann mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden: Rosberg hätte auch ohne den Ausfall niemals die Zeit für den zusätzlichen Stopp herausgefahren - und wäre somit wohl als Zweiter ins Ziel gekommen. Ob Hamilton auch ohne Rosbergs Getriebeschwäche deutlich schneller gewesen wäre, kann hingegen nicht beantwortet werden.

Vettel verschenkt Podium - Ein Stopp die bessere Strategie

Der Rennabbruch in Runde eins bot für Ricciardo, Vettel und Alonso die Chance zum Pokern. So wechselten die beiden Red-Bull-Piloten von gebrauchten Medium-Reifen auf nagelneue Prime-Pneus, während Alonso die entgegengesetzte Richtung einschlug und von neuen harten auf neue Option-Reifen wechselte. Jenson Button und Magnussen blieben hingegen auf angefahrenen Medium-Reifen, während Bottas nach dem frühen Aus in Q1 des Qualifyings auf einem frischen Satz der weicheren Mischung startete. Nachdem Vettel nach schwachem Start bereits früh von Rang zwei auf Rang fünf zurückgefallen war, änderte er die Rennstrategie und beging auf Platz vier liegend zusammen mit seinem Team in Runde zehn einen folgenschweren Fehler.

Sebastian Vettel verlor in 14 Runden hinter Fernando Alonso massiv Zeit, Foto: Sutton
Sebastian Vettel verlor in 14 Runden hinter Fernando Alonso massiv Zeit, Foto: Sutton

Im Irrglauben, eine Zwei-Stopp-Strategie würde vor allem gegen Ende des Rennens Vorteile bringen, tauschte der Weltmeister bereits nach knapp neun Umläufen auf den nagelneuen Prime-Reifen diese wieder gegen benutzte Medium-Pneus aus. Dabei war Vettel sogar auf den harten Reifen bis dato nur unwesentlich langsamer als Bottas hinter ihm auf den frischen Mediums. Teamkollege Ricciardo auf demselben Reifentyp war sogar zeitweise bis zu eine Sekunde langsamer als Vettel. "Ich habe vier Plätze verloren, was die Strategie beeinflusst hat. Wir haben die Reifen gewechselt und sind auf hart weitergefahren. Wir hätten eine andere Strategie wählen sollen", konstatierte er. Weder in Sachen Haltbarkeit noch Rundenzeit lieferten die verschiedenen Reifentypen große Unterschiede, was Vettel im Kampf um das Podium also letztlich zum Verhängnis wurde.

Zwar hatte er nach dem ersten Stopp freie Fahrt und zeigte als einer von nur fünf Piloten mit Zeiten unter 1:40 eine beeindruckende Long-Run-Pace, jedoch waren Bottas und Ricciardo bis zu Vettels zweitem Stopp annähernd auf demselben Zeitenniveau. Nach seinem zweiten Reifenwechsel in Runde 34 - Vettel wechselte erneut auf angefahrene Option-Reifen - kam er direkt hinter Alonso wieder auf die Strecke. Trotz beinharten Zweikampfes über 14 Runden verlor Vettel in diesem Zeitraum nur rund 1,5 Sekunden auf Ricciardo.

Bei letztlich sieben Sekunden Rückstand im Ziel auf den Australier wäre bei freier Fahrt also möglicherweise doch noch ein Angriff auf das Podest möglich gewesen. Allerdings brachte die Zwei-Stopp-Strategie stets das Risiko mit sich, auch gegen Ende im Verkehr der schnellen Autos zu stecken. Dies kostete ihn vor allem gegenüber Bottas massiv Zeit, der in der Zeit nach Vettels zweitem Stopp bis zur Zieldurchfahrt rund sieben Sekunden herausfuhr. "Wir wussten, dass wir ein schnelles Auto haben und vielleicht hat es uns etwas überrascht, dass es so schnell war", freute sich der Bottas. Letztlich landete Vettel zwar knapp 24 Sekunden hinter dem Finne, hätte ohne den zusätzlichen Stopp und den vielen Runden hinter Alonso aber mit Sicherheit einen Angriff auf den Williams starten können.