Das Schreckgespenst der letzten Jahre feiert ein Comeback in China: Für einmal stehen nicht Motoren, Benzindurchflusssensoren oder Teamduelle im Vordergrund, sondern die Pirelli-Reifen. "So viel Reifenabbau hatte ich noch nie!", stöhnt Formel-1-Rookie Kevin Magnussen. Doch damit war er bei weitem nicht alleine. Nahezu das gesamte Feld stöhnte am Freitag über Graining. Die oberste Gummischicht schält sich dabei vom Reifen ab und bleibt in Fransen an der Oberfläche kleben, wodurch der Reifen nicht mehr komplett aufliegt und der Grip fast völlig abreißt.

In China ist das nichts Neues. Bereits in den vergangenen beiden Jahren waren die Reifen das Hauptthema auf dem Shanghai International Circuit. Zwei Faktoren kommen zusammen: Kühle Temperaturen und der spezielle Streckenverlauf mit sehr lang gezogenen Kurven. "Turn 1 ist ein Reifenkiller. Der geht unendlich, eine ziemlich einzigartige Kurve, die wir sonst nirgendwo haben", erklärt Nico Rosberg. "Normalerweise machen die Hinterreifen als Erste Probleme, aber hier ist der Vorderreifen das Problem, weil die Kurven so lang sind. Man lenkt und lenkt und lenkt und die [Vorder-] Reifen arbeiten, arbeiten und arbeiten. Es ist eine komplett andere Welt auf dieser Strecke."

Neben der Schneckenhauskurve sind insbesondere die Sweeper Turn 7 und 8 sowie die auf die lange Gerade mündende Kurve 13 die Hauptbelastungspunkte. Die kühlen Temperaturen tun ihr übriges. Nicht immer bedeutet eine kältere Strecke weniger Probleme mit den Reifen. Im Gegenteil: Durch den kühlen Asphalt verliert der Reifen schneller an Grip und fängt an zu rutschen. "Ich muss mit den Reifen kämpfen, um diese überhaupt zum Arbeiten zu bringen", so Adrian Sutil. Doch genau an diesem Punkt wird es gefährlich: Überfährt der Fahrer den Reifen, um schnell Temperatur zu generieren, beginnt das Körnen, da sich die Oberfläche stärker aufheizt als der Rest des Reifens.

Turn 1 ist für den linken Vorderreifen ein Alptraum, Foto: Sutton
Turn 1 ist für den linken Vorderreifen ein Alptraum, Foto: Sutton

Viel Feingefühl beim Aufwärmen gefordert

Die Hinterreifen hingegen erfordern eine härtere Herangehensweise als auf anderen Strecken, da diese in den langen Kurven weniger longitudinaler Belastung ausgesetzt sind als beim Beschleunigen aus engen Kurven. Deshalb müssen die Fahrer beim Beschleunigen die Reifen härter als normal rannehmen - aber nicht zu hart, weil sonst der Verschleiß zu hoch wird.

Was kann der Fahrer also tun, um Graining zu verhindern? "Wir müssen das Setup anpassen, aber ich werde auch meinen Fahrstil darauf einstellen müssen, um das Graining zu kompensieren", gesteht Magnussen. Die Lösung liegt in der Outlap, beziehungsweise der Einführungsrunde im Rennen: Es gilt, den Reifen als Ganzes graduell aufzuheizen. Wildes Hin- und Herwedeln führt zu sofortigem Graining, ein zu vorsichtiger Approach sorgt dafür, dass der Reifen zu kalt bleibt und anschließend in der ersten schnellen Runde bei voller Belastung zu körnen anfängt.

Für das Rennen kommen zwei weitere Faktoren hinzu, die das gefürchtete Graining verstärken können: Verkehr und Regen. "Diese Strecke ist sehr hart zu den Vorderreifen, besonders wenn du im Verkehr steckst", führt Jenson Button aus und gesteht: "Wir können gegen das Graining mit dem Setup nur wenig ausrichten." Durch die verwirbelte Luft verliert die Vorderachse an Abtrieb, was zu Untersteuern führt. Dadurch wird die Oberfläche des Reifens überlastet und Graining tritt auf. Von da an geht es in eine Spirale: Mehr Untersteuern bedeutet mehr Verschleiß vorne, was zu noch mehr Untersteuern führt und so weiter.

Worst Case Scenario: Regen am Samstag

Der vorgewärmte Reifen muss auf richtige Weise angefahren werden, Foto: Sutton
Der vorgewärmte Reifen muss auf richtige Weise angefahren werden, Foto: Sutton

Die größte Sorge der Teams ist Regen am Quali-Tag. Einmal würde dadurch Trainingszeit auf trockener Strecke verloren gehen, zum anderen würde das Wasser den mühsam gelegten Gummiabrieb von der Strecke fegen und die Piste wäre wieder "green". Dadurch ist weniger Grip vorhanden und der Reifen beginnt schneller zu rutschen und damit zu körnen. Liegt eine Gummischicht, ist mehr Grip vorhanden und der Reifen wird als Ganzes belastet, wodurch die Gefahr des Abschälens minimiert wird.

Übrigens hatten nicht alle Fahrer Probleme mit dem Graining: "Wir haben die meisten Runden aus dem Option von allen geholt", strahlte Daniel Ricciardo. "Das ist sehr positiv, wenn man sich dadurch im Rennen einen Stopp sparen kann." Auch Nico Hülkenberg hatte nichts zu beklagen: "Die Arbeit an den Reifen lief heute gut und wir haben alle Daten, die wir brauchen." Felipe Massa gibt sich optimistisch und widerspricht Buttons Standpunkt, man könne mit dem Setup nicht gegensteuern: "Wir hatten etwas Graining, aber wir können Änderungen vornehmen, die dieses Problem beheben."

Es sind also einmal nicht die Motoren, die das Renngeschehen bestimmen. Ferrari-Testfahrer Pedro de la Rosa bringt es auf den Punkt: "Der Schlüssel zum Sieg in diesem Rennen ist, die Reifen richtig zu managen." Nach den Diskussionen um Benzindurchflussmengen und Spritsparen mag dies für so manchen gar eine nette Abwechslung darstellen.