Pirelli reagierte auf die zahlreichen Reifenplatzer in Silverstone für den Deutschland GP mit neuen Hinterreifen, die in ihrem Inneren aus Kevlar statt Stahl aufgebaut waren. Das hatte zum einen zur Folge, dass auf dem Nürburgring kein einziger Reifenplatzer auftrat, sich zum anderen aber auch ein verändertes Kräfteverhältnis zeigte. Mercedes etwa musste trotz der Pole für Lewis Hamilton einen herben Rückschlag einstecken. "Es hat mit den Reifen zu tun", stellte Rosberg fest. "Nun haben wir ja wieder neue Reifen und andere als in den letzten Rennen - diese Änderung hat uns aber wohl mehr geschadet, denn andere Teams kommen jetzt viel besser damit zurecht, wie etwa Lotus."

In der Tat ist Lotus einer der Gewinner, auch wenn das auf den ersten Blick überraschend ist, denn die Mannen von Eric Boullier waren zunächst gegen die Einführung der Reifen mit Kevlar-Gürtel und wollten dies nur aus Sicherheitsgründen zulassen. In Deutschland stellte sich jedoch heraus, dass sie mit den neuen Pneus bestens zurechtkamen, denn sie feierten ein Doppel-Podest und verpassten den Sieg nur knapp. "Ich denke, wir müssen Pirelli darum bitten, die Reifenspezifikation von diesem Wochenende für den Rest der Saison zu behalten", scherzte Boullier.

Auch dem gebeutelten McLaren-Team schienen die veränderten Reifen entgegenzukommen, da sie so viele Zähler holten wie noch nie in dieser Saison. Teamchef Martin Whitmarsh spielte den Einfluss der Pneus jedoch herunter. McLaren habe durch eine gute Strategie und die richtige Umsetzung dieser das starke Resultat erzielt. Insgesamt wollte Whitmarsh den Reifen keinen zu großen Einfluss auf die Performance einräumen, denn in Bezug auf die Reifen, die ab Ungarn kommen sollen, meinte er: "Ich hoffe, dass es uns helfen wird. Aber wie die anderen Teams haben auch wir uns an die neuen Reifen angepasst. Ja, ich hoffe - aber glaube ich auch daran? Nein."

Der größte Profiteur der neuen Hinterreifen war Red Bull. "Glückwunsch an Pirelli", erklärte Sebastian Vettel nach seinem Heimsieg. "Sie wurden nach dem letzten Rennen viel kritisiert, aber sie scheinen das bei diesem Rennen wiedergutgemacht zu haben." Der Heppenheimer betonte jedoch, dass es Red Bull vorrangig um die Sicherheit ging und sie daher eine Veränderung der Reifen befürworteten. "Ob das unserem Auto liegt oder nicht ist zweitranging."

Neues Reglement schmerzt Mercedes

Zu den Verlierern der Reifenänderung zählen Force India und Toro Rosso, die ungewohnterweise in Deutschland ohne Punkte blieben. "Die Hinterreifen lösten in Sachen Performance bekanntermaßen bei Force India und Toro Rosso größere Probleme aus, bei anderen Teams eigentlich keine", erklärte Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner.

Red Bull und Lotus kamen die veränderten Reifen entgegen., Foto: Red Bull
Red Bull und Lotus kamen die veränderten Reifen entgegen., Foto: Red Bull

Auch Ferrari verfiel ob der neuen Reifen nicht gerade in grenzenlosen Jubel, auch wenn sie mit Fernando Alonso immerhin Rang vier sicherten. "Die Reifen haben sich gut verhalten, aber wir müssen sie noch besser verstehen, denn wann immer sich die Temperatur auch nur ein bisschen ändert, ändert sich auch gleich die Performance der Reifen", berichtete er. Bei heißeren Temperaturen kam Ferrari besser mit den Pneus zurecht als bei milderen.

Am härtesten traf es jedoch das Mercedes-Team, das sich in alte Zeiten zurückversetzt fühlte und wieder mit Überhitzung der Pneus zu kämpfen hatte. Dabei hatten sie darauf gehofft, dass der Kevlar-Gürtel genau dies verhindern würde. Nach dem neuen Reglement musste Mercedes allerdings auf das sogenannte tyre swapping, also das Vertauschen der Hinterreifen, verzichten, was sich negativ bemerkbar machte. "Wir konnten die Belastung der Reifen minimieren, indem wir sie nach dem Qualifying von der einen auf die andere Seite montierten. Das war hier aber nicht mehr möglich", meinte Teamchef Ross Brawn.

Polesetter Lewis Hamilton klagte, dass er im Rennverlauf Schwierigkeiten hatte, an einem Sauber-Boliden vorbeizukommen, während er im Qualifying noch mehr als eine Sekunde schneller war als die Konkurrenz aus der Schweiz. "Ich muss mich zurückhalten - ich kann über die Reifen nichts Positives sagen." Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff ging es nicht anders. "Es ist irgendwie seltsam, dass aus einem Siegauto innerhalb einer Woche eines wird, dass nur noch um Platz fünf oder sechs fährt", erklärte er gegenüber Sky.

Pirellis Motorsportdirektor Paul Hembery war angesichts derartiger Kritik alles andere als begeistert. "Wir sind in diesem Sport in dieser Saison eine Art Sündenbock für einige Probleme geworden. Die Formel 1 sollte etwas höflicher mit seinen Reifenherstellern umgehen."

Wie es genau weitergeht, ist noch unklar. Fest steht, dass bei den Young Driver Tests Reifen getestet werden sollen, doch welche Folgen das haben wird, darüber wird im Paddock noch gerätselt. "Pirelli wird sich dann entscheiden", meinte Vettel. "Daher wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, welche Reifen wir in Ungarn fahren werden." Auch Lotus-Teamchef Gerard Lopez war sich nicht sicher, ob es beim nächsten Grand Prix tatsächlich vollkommen neue Reifen geben wird. "Wir werden schauen, in dieser Saison wird man ja immer überrascht", erklärte er gegenüber Motorsport-Magazin.com.