"Wir haben nicht das Budget, aber wenn wir alles richtig hinbekommen und konstant und zuverlässig sind, dann können wir uns selbst wahrscheinlich in eine Position bringen, in der wir zumindest eine Chance haben", so Kimi Räikkönens Ausblick auf die WM-Ambitionen seines Lotus-Teams. Alles richtig hinbekommen? Konstanz? Zuverlässigkeit? Wenn diese drei Tatsachen auf ein Team während der Wintertests nicht zutrafen, dann war es Lotus.

Der E21 war öfter an der Box, als das den Verantwortlichen bei Lotus lieb war, Foto: Sutton
Der E21 war öfter an der Box, als das den Verantwortlichen bei Lotus lieb war, Foto: Sutton

Die Hoffnung in den E21 war bei der Präsentation groß. Schnell, innovativ - wenn auch nicht auf den ersten Blick - und mindestens so zuverlässig wie sein Vorgänger, der zumindest Kimi Räikkönen bei 19 von 20 Rennen 2012 in die Punkte brachte. Letztendlich: Pustekuchen. Telemetriedaten defekt, Elektronik hinüber und die wohl größte Achillesferse: das Getriebe. Lediglich 3.527 Kilometer spulte die Truppe aus Enstone während der drei Testfahrten in Spanien ab und hatte damit die rote Laterne - von 'Flugeinlagen' durch Romain Grosjean und Magenverstimmungen bei Räikkönen einmal ganz zu schweigen. Dennoch stimmen die Zeiten - ungeachtet möglicher Programme - durchaus positiv und auch die Fahrer sind mit ihrem Arbeitsgerät zufrieden.

Das Team: Alles Friede, Freude, Eierkuchen, möchte man denken. Tatsächlich wirkt bei Lotus alles an der richtigen Stelle und Dinge, die in anderen Mannschaften Sorgenfalten bereiten, werden in Enstone locker, aber keineswegs gleichmütig angegangen. Während Lotus als einziges Top-Team noch ohne Hauptsponsor dasteht, gibt es dennoch keine Geldsorgen. Momentan sucht der Teameigentümer Genii nach neuen Investoren und rechnet noch in diesem Jahr mit einem Vertragsabschluss. "Genii hat seine gesamte Plattform um die Formel 1 herum aufgebaut. Sie haben in der Vergangenheit ihr Engagement gezeigt und dieses Engagement wird auch in Zukunft bestehen", beruhigt auch Teamchef Eric Boullier die Gemüter.

Nicht nur in finanzieller, auch in sportlicher Hinsicht herrscht in Enstone Harmonie. Die Teamführung ist seit Jahren mehr oder weniger konstant, es fallen keine bösen Worte und das entscheidende steht im Vordergrund. "Lotus ist ein richtiges Racing-Team - sie wollen Rennfahren und machen sich keine Sorgen über anderes Zeug", so die Lobeshymne von Räikkönen auf seine Mannschaft. Genau mit diesem System scheint das ehemalige Renault-Team sich wieder langsam an die Weltspitze heranzuarbeiten - vielleicht ist es auch schon mittendrin. "Ich kann nicht hier stehen und sagen, dass wir definitiv ab dem Start Rennen gewinnen werden - so sehr ich es natürlich auch wollen würde -, aber ich glaube, dass wir ein gutes Paket haben", verriet Boullier.

Die Fahrer: 2012 kurz zusammengefasst: Die Rückkehr eines Champions und das Crashkid im Scheinwerferlicht. 2013 geht Lotus erneut mit Räikkönen und Grosjean an den Start. Während den Weltmeister jeder auf der Rechnung hat, muss sich Grosjean in seinem zweiten vollen Jahr in der F1 beweisen. "Wenn ich meinen Job mache, gute Rennen fahre, keine Zwischenfälle habe und nach vier oder fünf Rennen ordentliche Resultate verbucht habe, werden sie sehen, dass ich okay bin", hofft der 26-Jährige auf Besserung.

Kimi Räikkönen sieht sich nicht als Lehrer für seinen jungen Teamkollegen Romain Grosjean, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen sieht sich nicht als Lehrer für seinen jungen Teamkollegen Romain Grosjean, Foto: Sutton

Wie gut er sich neben seinem Teamkollegen Räikkönen schlagen wird, ist allerdings eine andere Frage. Wenn es nach Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner geht, entscheidet nur der E21 über Erfolg oder Niederlage. "Wenn der Lotus gut ist, kann Kimi wieder Weltmeister werden", war Danner überzeugt. "Kimi ist für mich das unfassbarste Talent, das ich jemals in einem Rennauto gesehen habe. Er setzt sich ins Auto und ist schnell. " Dabei sieht es der ehemalige F1-Pilot auch nicht als Problem an, dass Räikkönen nach technischen und gesundheitlichen Problemen bei weitem nicht die erwartete Test-Rundenzahl abspulen konnte. Das würde seine Erfahrung und sein Talent wieder wettmachen.

Das Auto: Lotus präsentierte als erstes Team seinen neuen Boliden der Öffentlichkeit. Und die staunte nicht schlecht: weil die Briten beim E21 weder die neugeschaffene Möglichkeit des Vanity Panels nutzten, noch an anderer Stelle großartige Neuigkeiten präsentierten, mussten sowohl Fans als auch Experten zwei Mal hinsehen, um den E20 von seinem Nachfolge zu unterscheiden. Lediglich der Auspuff unterscheidet sich grundlegend von der Vorjahresvariante, Lotus kopierte als erstes Team Red Bull und ersetzte die Semi-Coanda-Variante durch einen Voll-Coanda-Auspuff.

Lotus wandelt auf Red Bulls Spuren - zumindest in Sachen Auspuff, Foto: Sutton
Lotus wandelt auf Red Bulls Spuren - zumindest in Sachen Auspuff, Foto: Sutton

Trotz der wenigen Änderungen hatte die Mannschaft von Eric Boullier große Probleme mit der Zuverlässigkeit des neuen Boliden. Neben Schwierigkeiten mit dem Sitz und der Elektronik sorgte später das Getriebe für Ärger. Zwar musste die Truppe dieses Jahr nicht wieder aus Barcelona abreisen, doch die Tests stellen dem E21 kein gutes Zeugnis aus: kein Team absolvierte an den zwölf Tagen weniger Kilometer als Lotus. Für Ärger sorgte zudem das Motoren-Mapping von Renault, das der britische Rennstall zunächst einsetzte, schließlich aber wieder zurückrüstete. Nach der Rückrüstung fehlte es dem Auto an Performance, allerdings ist diese aufgrund der wenigen Testkilometer und der äußeren Bedingungen ohnehin wenig aussagekräftig.

Saisonziel: Siege holen und die Außenseiterchancen in der WM nutzen.

PRO Ja, Lotus war bei den Testfahrten, was die reine Laufleistung betrifft, das Schlusslicht, und ja, es gab zahlreiche technische Defekte. Aber dafür sind die Tests ja auch da - um diese Fehler zu machen und dann auszumerzen. Das Entscheidende ist doch, dass Lotus für den Saisonauftakt perfekt aufgestellt ist. Mit Kimi Räikkönens Expertise und Talent sowie Romain Grosjeans reinem Speed und Besserungswillen nach einer Chaos-Saison, kann sich die Truppe aus Enstone erneut zum Favoritenschreck mausern. (Annika Kläsener)

CONTRA Kimi Räikkönens Talent hin oder her. Der Lotus ist schnell, daran besteht kein Zweifel. Die Eindrücke, die er in Sachen Zuverlässigkeit hinterlassen hat, waren allerdings mehr als mau. Der Finne konnte 2012 nur den dritten Platz in der WM einfahren, weil sein E20 ihn stets ins Ziel brachte. Wenn der Wagen nun auf einem Level mit den Top-Mannschaften ist, dafür aber immer wieder die Segel streicht, ist man bei Lotus keinen Schritt weiter. Normalerweise heißt es zwar: schlechte Generalprobe, gute Premiere, aber um wirklich um die WM fahren zu können, müssen die Kinderkrankheiten des Boliden erst noch richtig auskuriert werden - und das braucht in der Regel Zeit. (Marion Rott)