Pro: Nicht reif genug für den Titel

von Kerstin Hasenbichler

"Vettel stellt bei jedem Rennen etwas an", beklagte La Repubblica nach dem Großen Preis von Belgien. Die britische Sun verspottete Sebastian Vettel sogar als "Crash-Kid-Dummy". Der Corriere della Sera sieht Vettel schon jetzt als den großen Verlierer der Saison an. "Um sich herum hat er wahrscheinlich zu viele Leute, die ihn als neuen Jesus anbeten, er begeht jedoch Fehler wie ein verantwortungsloses Kind", schrieb die italienische Zeitung.

Red-Bull-Teamchef Christian Horner wirft sich schützend vor Vettel: "Sebastian ist ein sehr talentierter Fahrer." Talentiert? Das ist Vettel auf jeden Fall und auch sein Speed ist unbestritten. Doch Talent und Speed reichen in der Formel 1 nicht aus - nicht, wenn man den Titel gewinnen will. Lewis Hamilton hat begriffen, dass es manchmal mehr bringt, etwas weniger zu wollen.

So wird man nicht Weltmeister..., Foto: Sutton
So wird man nicht Weltmeister..., Foto: Sutton

Der Brite ist wie Vettel talentiert und schnell, aber im Gegensatz zu Vettel kalkuliert er im Auto taktisch kühl seine Chancen und nutzt diese eiskalt aus. Vettels "Pleiten, Pannen, Strafen-Register" hingegen hat längst Ausmaße angenommen, die einen Titelgewinn in weite Ferne rücken lassen. Dabei besitzt der 23-Jährige mit dem RB6 das beste Auto im Feld und könnte längst uneinholbar an der Spitze stehen. Niemand stand 2010 sooft auf der Pole Position wie Sebastian Vettel.

Doch der Deutsche tut sich schwer, die Balance zu finden. Statt im Auto kühl zu rechnen, fährt er angetrieben von seinem unbändigen Ehrgeiz immer auf Sieg. Dabei passieren dem zu Karrierebeginn hoch gelobten Wunderknaben schlechte Starts wie in Hockenheim und Silverstone, Kollisionen mit dem Teamkollegen wie in der Türkei, Fehler wie hinter dem Safety Car in Ungarn oder zuletzt in Belgien. Klar können solche Dinge jedem passieren, aber im Titelkampf dürfen sie nicht passieren.

Contra: Die Zukunft gehört Vettel

von Stephan Heublein

Fehler sind menschlich, aber die Formel 1 ist manchmal unmenschlich. Das bekommt Sebastian Vettel gerade zu spüren. Seit Spa gehen zwei Kollisionen und eine Safety-Car-Dummheit auf seine Kappe. Damit hat er mit den Patzern seines Teams in dieser Saison gleichgezogen - schließlich verpatzte Red Bull Racing in der ersten Saisonhalbzeit so ziemlich jede Gelegenheit, die sich bot.

Vettel wird bald wieder jubeln, Foto: Sutton
Vettel wird bald wieder jubeln, Foto: Sutton

Tatsächlich hat Vettel Fehler begangen. Das ist unbestritten. David Coulthard glaubt nicht, dass es am erhöhten Druck liegt - obwohl Vettel schon früher im Titelkampf zu Fehlern neigte. 2006 verspielte er den Titel in der Formel-3-EuroSerie durch zu viele Fehler und Nullrunden in der Schlussphase an Paul di Resta. Das hatte aber einen Grund: Vettel war bereits als Testfahrer für BMW Sauber im Einsatz und musste mit der Doppelbelastung klar kommen.

Vettel ging trotzdem seinen Weg in die Formel 1, und zwar im Schnelldurchgang, ohne die eigentlich als obligatorisch angesehene GP2. Während di Resta erst in diesem Jahr halbwegs als Freitagstester bei Force India Fuß fassen konnte und noch immer bei jeder Gelegenheit darüber klagt, wieso Vettel und nicht er eine F1-Chance erhalten habe, gewann der Deutsche mit Toro Rosso sein erstes Rennen und fuhr in seiner ersten Red-Bull-Saison um den WM-Titel.

Der Werdegang beweist: Im Gegensatz zu seinen Titelkonkurrenten fehlt es Vettel an Erfahrung, die kommt mit der Zeit, Speed hingegen nicht mehr. Den hat er aber schon. Bei aller Kritik sollte nicht vergessen werden, dass auch der für seinen Spa-Sieg zurecht gelobte Lewis Hamilton in seinen ersten Saisons haarsträubende Fehler beging - unter anderem 2009 in Monza einen Podiumsplatz in der vorletzten Runde wegwarf.

Und wer sagt, dass nicht auch erfahrene Piloten Fehler machen? Fernando Alonso patzte in dieser Saison jedenfalls weitaus häufiger, als er in Siegnähe kam - und der Spanier ist immerhin zweifacher Weltmeister und wird als einer der besten Fahrer im Feld angesehen. Fehler sind eben menschlich.