7 Grand-Prix-Siege, 4 Sprinterfolge, 28 Podiumsplatzierungen, 7 Pole Positions, 3 schnellste Rennrunden und insgesamt 467 Punkte über 20 Rennwochenenden: Francesco Bagnaia war im Jahr 2023 schlicht und einfach der erfolgreichste und damit auch beste MotoGP-Pilot im Fahrerfeld - und zwar zum zweiten Mal in Folge! Schließlich galt das auch schon im Vorjahr, als sich der gebürtige Turiner zum ersten Mal zum MotoGP-Weltmeister gekrönt und damit eine 15-jährige Leidenszeit von Arbeitgeber Ducati beendet hatte. Die Folge dessen war, dass 'Pecco' Bagnaia in dieser Saison zum ersten Mal in seiner Karriere auf die Mission Titelverteidigung gehen durfte. Ein Privileg, welches bislang nur 27 anderen Motorrad-Rennfahrern auf dem höchsten Level zu Teil wurde. Damit einher geht die besondere Ehre, die Startnummer '1' an der Front seines Motorrads anbringen zu können. Sie zeigt: Hier sitzt der Beste!

Das Problem dabei: Zu selten galt dieser Status im Jahr nach dem Titelgewinn auch tatsächlich noch. Neben Bagnaia konnten nur zwölf andere Fahrer ihren WM-Titel in der Königsklasse erfolgreich verteidigen. Es geht schließlich auch ein enormer Druck mit dem Privileg Titelverteidigung einher. Nicht jeder schafft es, diesem Druck standzuhalten. Im Gegenteil: Viele Weltmeister sind daran zerbrochen. Nicky Hayden oder Joan Mir etwa, die in der Saison nach ihrem Titelgewinn nie auf die oberste Stufe des Podiums zurückkehren sollten. Wie schwierig das erste Jahr nach dem Titelgewinn tatsächlich werden kann, musste auch Bagnaia in der abgelaufenen Saison eindrucksvoll erfahren. Auch seine Titelverteidigung musste zwischenzeitlich stark angezweifelt werden, das Momentum lag zum Schluss klar auf Seiten des Herausforderers Jorge Martin. Im entscheidenden Moment behielt Bagnaia aber die Oberhand - wie schon im Vorjahr. Und so darf sich Bagnaia auch 2023 wieder MotoGP-Weltmeister nennen. Der Ducati-Pilot hat seine Meisterprüfung erfolgreich bestanden.

Francesco Bagnaia feiert seinen Titelgewinn beim MotoGP-Finale in Valencia
Francesco Bagnaia behauptete sich in einem packenden WM-Kampf, Foto: LAT Images

Francesco Bagnaia: Weltmeisterlicher Start ins Jahr 2023

Doch beginnen wir von vorne: Für Bagnaia startete das MotoGP-Jahr 2023 nach knapp drei Monaten Partystimmung Anfang Februar auf dem Sepang International Circuit nahe Kuala Lumpur. Dort fanden die ersten Testfahrten des Jahres statt. Dass der Titelverteidiger über den Winter nichts verlernt hatte, zeigte sich gleich bei seiner ersten Ausfahrt mit der brandneuen Ducati Desmosedici GP23. Anders als im Vorjahr, als Ducati das Motorrad generalüberholte und lange brauchte, um auf Touren zu kommen, hatte das Team um Technikguru Gigi Dall'Igna diesmal aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Ducati lieferte seinem Starpiloten ein Motorrad, welches trotz vieler kleiner Veränderungen sofort funktionierte. An keinem der drei Testtage war ein Vorbeikommen an den Italienern, im Endklassement landeten sieben Fahrer einer Ducati Desmosedici in den Top-Ten. Früh war damit klar, dass der WM-Titel 2023 wieder nur über die Roten gehen würde.

Mitte März bestätigte sich diese Vermutung bei den zweitägigen Abschluss-Testfahrten in Portimao. Und dabei war es eben der amtierende Weltmeister, der seine Ambitionen deutlichst klarmachte. Bagnaia dominierte den Test von Beginn an nach Belieben und fuhr Bestzeit an beiden Tagen, dazu gelang ihm auch noch eine absolute Rekordrunde in 1:37.968 Minuten. Damit lag er ganze siebeneinhalb Zehntel unter dem bisherigen Bestwert. Da konnte kein anderer Pilot mithalten. Und auch bei Renn- und Sprint-Simulationen fuhr Bagnaia in einer eigenen Liga. "Ich bin sehr glücklich. Wir haben an diesen fünf Tagen hart und gut gearbeitet. Jetzt bin ich mir sicher genug, um zu sagen, dass wir für das erste Rennen bereit sind", zog der amtierende Weltmeister selbst ein positives Resümee. Zu kritisieren gab es, anders als im Vorjahr, eigentlich nichts: "Alles ist nach Plan verlaufen. Wir haben das Rennen und den Sprint mit jeweils beiden Reifenmischungen geübt. Mein Gefühl war mit beiden ziemlich gut. Auch die Time-Attack war konkurrenzfähig. Ich bin happy."

Zumindest auf dem Papier gab es vor dem Saisonstart dennoch eine lange Liste an potenziellen Herausforderern: Vizeweltmeister Fabio Quartararo oder Marc Marquez, der erstmals seit Jerez 2020 wieder bei voller Fitness angekommen war. Aleix Espargaro und Maverick Vinales, die bei den Testfahrten einen guten Eindruck machten. Oder natürlich Enea Bastianini, der schon im Vorjahr als WM-Dritter nah am Titelgewinn dran war. "Es gibt viele Fahrer, die schnell sein werden", ahnte auch Bagnaia. Speziell der teaminterne Zweikampf mit 'La Bestia' wurde gespannt erwartet, hatten sich die beiden doch 2022 schon mehrere packende Rad-an-Rad-Duelle geliefert. Explosionspotenzial war definitiv vorhanden, obwohl Bagnaia vor Saisonstart noch beschwichtigte: "Unsere Zweikämpfe im vergangenen Jahr haben für viel Aufsehen gesorgt, weil wir beide Italiener sind und die Leute solche Duelle regelrecht suchen. Diese Aggressivität kam aber eher von außen. Wir hatten immer ein gutes Verhältnis und konnten ganz normal miteinander sprechen. Natürlich bin ich frustriert, wenn mich Enea schlägt, aber das ist mit jedem anderen Fahrer gleich." Trotzdem war natürlich klar: "Wir haben beide das gleiche Ziel und werden unser Maximum geben, um es zu erreichen." Alles war angerichtet für eine aufregende MotoGP-Saison.

Vor dem Saisonstart hatte Pecco Bagnaia zahlreiche Herausforderer, Foto: Tobias Linke
Vor dem Saisonstart hatte Pecco Bagnaia zahlreiche Herausforderer, Foto: Tobias Linke

Francesco Bagnaia: Zwischen Galavorstellungen und schweren Patzern

Ende März war die Zeit der Spekulation endlich vorbei und die Königklasse startete im Autodromo Internacionale do Algarve in ihr Rekordjahr mit insgesamt 40 Rennen. 2023 waren schließlich die Sprints neu eingeführt worden, um für zusätzliche Würze und Unterhaltung zu sorgen. Die Premiere des neuen Formats am 25. März ging dabei gleich - wie sollte es anders sein - an den amtierenden Weltmeister. Bagnaia behielt in einem chaotischen Auftaktrennen den kühlsten Kopf und setzte sich gegen die versammelte Konkurrenz durch. Nur einen Tag später war er auch im Hauptrennen nicht zu stoppen. Zwei Siege und 37 von 37 möglichen Punkten zum Auftakt: Dem Titelverteidiger gelang der perfekte Start ins Jahr 2023. Eine weltmeisterliche Antwort auf sämtliche Spekulationen vor dem Saisonbeginn.

Und doch zeigte sich nur eine Woche später in Termas de Rio Hondo, dass der Weg zum zweiten WM-Titel kein Spaziergang werden würde. Dort kam Bagnaia nie richtig in Fahrt und beendete den Sprint nur auf Platz sechs. Was einen Weltmeister in solchen Momenten normalerweise ausmacht? Er bleibt 'cool' und nimmt mit, was möglich ist. Genau das tat Bagnaia an diesem verregneten Sonntag in Argentinien allerdings nicht. Bei schwierigen Bedingungen bewegte er sich eigentlich auf einem ungefährdeten zweiten Platz, kam in der 17. Runde aber in der vorletzten Kurve zu Sturz. Ihm war die Front eingeklappt - ein Fehler, der sich 2023 noch häufiger wiederholen sollte. Etwa beim Gastspiel in den Vereinigten Staaten nur zwei Wochen später: Dort führte der Ducati-Pilot sieben Runden und zwei Kurven, ehe er im schnellen Rechtsknick von Turn 2 die nächsten Big Points wegschmiss. Das zweifelhafte Image des Crashpiloten war zurück. "Ich bin wirklich wütend, aber nicht auf mich selbst, denn das heute war zu 100 Prozent nicht mein Fehler. In Argentinien war ich etwas über dem Limit, aber heute nicht", rätselte Bagnaia anschließend. Seine bemerkenswerte Theorie: Die Ducati Desmosedici GP23 sei zu stabil, gebe ihm ein falsches Gefühl von Sicherheit. Seine Verfolger widerlegten das jedoch. Somit wirkte diese Aussage vielmehr wie eine Ausrede, anstatt sich den Fehler einfach einzugestehen. Wenig weltmeisterlich!

Francesco Bagnaia sorgte 2023 für Glanzlichter und Kopfschütteln, Foto: Ducati
Francesco Bagnaia sorgte 2023 für Glanzlichter und Kopfschütteln, Foto: Ducati

Der Titeltraum war zu diesem Zeitpunkt ohnehin ins Wanken geraten, hatte Bagnaia die Führung im Gesamtklassement doch an seinen aufbrausenden VR46-Academy-Kollegen und guten Freund Marco Bezzecchi abtreten müssen. Die Leichtigkeit des Saisonstarts war plötzlich weg, in Jerez fand sich der amtierende Weltmeister überraschend in Q1 wieder. Bagnaia war angezählt, lieferte dann aber: Platz zwei im Sprint, Sieg im Hauptrennen. Schon war die WM-Führung wiederhergestellt. Auch das war ein Bild, welches sich 2023 noch häufiger wiederholen sollte. Wann immer Bagnaia am Boden lag, fand er sofort die passende Antwort.

Allerdings ließ auch der nächste Rückschlag nicht allzu lange auf sich warten. Im Frankreich Grand Prix kollidierte Bagnaia mit Maverick Vinales, beide Piloten schieden aus. Bezzecchi gewann und war wieder bis auf einen Punkt an seinen Landsmann herangerückt. Besonders unschön war jedoch, was sich zwischen Bagnaia und Vinales im Kiesbett abspielte: Es kam zum Handgemenge. Ausgelöst wurde dieses zwar vom Aprilia-Piloten, aber auch Bagnaia hatte sich im Anschluss nicht unter Kontrolle und lieferte ein Bild ab, dass eines amtierenden Weltmeisters eigentlich nicht würdig ist. Ohnehin hätte er den gesamten Vorfall verhindern können, wenn er Vinales auf der Innenbahn etwas mehr Raum gelassen hätte. So aber stand der dritte Nuller in den letzten vier Grands Prix, der WM-Kampf war weit offen. Bagnaia hatte es durch seine Fehler verpasst, bereits früh im Jahr einen komfortablen Vorsprung herzustellen. Er ließ seinen Herausforderern alle Möglichkeiten, lieferte allerdings auch genau dann wieder ein Statement, als er es am meisten benötigte.

Beim Heimspiel in Mugello war er klarer Favorit und hätte dieser Rolle kaum besser nachkommen können: Erst Pole Position, dann Sieg im Sprint und schließlich auch im Grand Prix, schnellste Runde in beiden Rennen. Wer ernsthaft an Bagnaias Fähigkeiten gezweifelt hatte, wurde mal wieder eines Besseren belehrt. Der Ducati-Pilot schien nun endgültig im MotoGP-Jahr 2023 angekommen zu sein. An den folgenden vier Rennwochenenden sollte Bagnaia siebenmal in die Top Zwei fahren, einzig beim Sprint in Silverstone verpasste er die Punkte deutlich. Davon abgesehen standen am Sachsenring, in Assen und am Red Bull Ring in Spielberg drei Siege und vier zweite Plätze, ein weiterer folgte im Sprint von Barcelona. Nach seinem Ausfall in Frankreich sammelte Bagnaia somit sagenhafte 166 von 194 möglichen Punkten. Der amtierende Weltmeister hatte die Hackordnung im MotoGP-Feld endgültig wiederhergestellt und der Saison 2023 zur Saisonmitte seinen Stempel aufgedrückt. Der WM-Titel befand sich mit 66 Zählern Vorsprung auf den ersten Verfolger Jorge Martin in greifbarer Nähe - wäre da nicht der Große Preis von Katalonien gewesen.

Zur Saisonhalbzeit hatte Francesco Bagnaia die MotoGP-WM klar im Griff, Foto: LAT Images
Zur Saisonhalbzeit hatte Francesco Bagnaia die MotoGP-WM klar im Griff, Foto: LAT Images

Horror-Highsider in Barcelona sorgt für Spannung im WM-Kampf

Dort wendete sich das Blatt nämlich wieder: Bagnaia startete von der Pole Position zwar ausgezeichnet, stürzte dann aber am Ausgang von Kurve zwei heftig per Highsider. Er hatte das Heck seiner Ducati Desmosedici GP23 verloren und blieb mitten auf der Strecke liegen. Der nachfolgende Brad Binder konnte nicht mehr ausweichen und überrollte den Italiener an beiden Beinen. Ein Schreckmoment, der nur wie durch ein Wunder glimpflich ausging. Bagnaia kam ohne Knochenbrüche davon und startete völlig überraschend nur fünf Tage später in seinen zweiten Heim-Grand-Prix in Misano. Was er dort ablieferte, war nichts anderes als bemerkenswert. Trotz großer Schmerzen kämpfte sich der gebürtige Turiner in beiden Rennen auf den dritten Platz und betrieb damit Schadensbegrenzung. Das Problem war nur, dass Martin in beiden Rennen gewann. Er verkürzte seinen Rückstand auf 36 Punkte und begann, nun auch mentalen Druck auf Bagnaia auszuüben.

Der WM-Kampf war neu entzündet, Martins Psychospielchen zeigten Wirkung. In Indien war Bagnaia um eine Antwort bemüht, leistete sich aber genau dann, als er wieder die Oberhand gewonnen zu haben schien, den nächsten schweren Patzer. Er stürzte auf Platz zwei liegend über die Front und schied aus. Spätestens jetzt war klar, dass der rätselhafte Barcelona-Highsider tiefergehende Probleme beim Italiener ausgelöst hatte. "Auf der Bremse fühle ich mich nicht mehr wohl, das muss mechanisch sein", klagte Bagnaia nach dem Indien-Desaster. Wochenlang konnte er seine Stärken im Bereich des Kurveneingangs nicht mehr ausspielen, auch der Speed auf eine Runde war völlig abhandengekommen. Bagnaia musste zugeben: "Wir wissen nicht, woran das liegt. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, wird es sehr schwierig, gegen Bezz zu kämpfen, der im Moment sehr stark ist, und gegen Martin, der besser ist als ich."

Das Ducati-Team stand vor der Härteprüfung. Es dauerte, ehe die Bremsprobleme final gelöst waren, zwischenzeitlich machte auch noch die Elektronik zu schaffen. Erst beim drittletzten Rennwochenende in Malaysia hatte der amtierende Weltmeister seinen Speed aus der Saisonmitte wiedergefunden. Das Entscheidende: Bagnaia war zu diesem Zeitpunkt noch immer WM-Führender, obwohl Martin zwischenzeitlich klar schneller war. Bagnaia war es nämlich endlich gelungen, nun auch in schwierigen Situationen bestmöglich zu punkten. Während sein Herausforderer in Indonesien und Australien folgenschwer patzte, landete Bagnaia trotz seiner Probleme nur in den Sprints von Mandalika und Buriram außerhalb der Top Drei. Speziell in den Hauptrennen, wo es die 'dicken' Punkte zu holen gibt, behielt zumeist der Ducati-Werkspilot die Oberhand. Er musste sich Martin in dieser Phase nur zweimal geschlagen geben, landete in beiden Fällen aber direkt hinter seinem Herausforderer auf Platz zwei.

Jorge Martin und Francesco Bagnaia duellieren sich im Japan-GP
Jorge Martin hatte im Saison-Schlussspurt die Oberhand über Francesco Bagnaia, Foto: MotoGP.com

Der WM-Schaden blieb in dieser schweren Phase dadurch gering, nach Malaysia führte der Titelverteidiger noch mit 14 Punkten Vorsprung. "Es hat einige Zeit gedauert, bis wir uns vom Barcelona-Crash erholt hatten, weil das ein schwerer Sturz war. Zudem ist Martin in der Zwischenzeit sehr gewachsen. Aber in Malaysia hat Pecco gezeigt, dass er wieder der Alte ist", freute sich Ducati-Teammanager Davide Tardozzi beim vorletzten Rennwochenende in Katar. Dort musste sein Schützling im Sprint zwar einen weiteren Rückschlag verkraften, schlug aber mit Platz zwei im Hauptrennen zurück. Martin erwischte zeitgleich einen defekten Hinterreifen und konnte sich nur als Zehnter ins Ziel retten, wodurch Bagnaia mit 21 Punkten Vorsprung zum Saisonfinale nach Valencia reiste.

Francesco Bagnaia vs. Jorge Martin: MotoGP-Entscheidung im Finale

Aufmerksame MotoGP-Zuschauer dürften sich damit an das Vorjahr erinnert gefühlt haben. Damals startete der spätere Weltmeister mit 23 Zählern Vorsprung auf Titelrivale Fabio Quartararo in das letzte Rennwochenende. Und doch war die Ausgangslage diesmal eine gänzlich andere: Während es im Vorjahr nur noch 25 Punkte zu holen gab und der WM-Titel damit Formsache war, standen 2023 durch die Einführung der Sprints noch 37 Zähler zur Verfügung. Das ermöglichte Martin eine realistische Chance, Bagnaia den Titel auf den letzten Metern noch wegzuschnappen - und der Spanier versuchte alles, um das auch zu tun. Der erste Schlagabtausch im Qualifying ging zwar an Bagnaia, im Sprint jubelte dann aber Martin. Er siegte nach einer starken Vorstellung, während der WM-Führende nur Fünfter wurde. Die Entscheidung sollte damit erst im allerletzten Saisonrennen fallen, 14 Punkte trennten die beiden Titelanwärter vor dem Finale.

Der Druck auf Bagnaia war groß, wäre eine Niederlage gegen den Kundenpiloten Martin doch besonders schmerzhaft gewesen, auch wenn beide Fahrer genaugenommen über identisches Material verfügen. Ein weiteres Mal lieferte Bagnaia aber im entscheidenden Moment eine weltmeisterliche Reaktion. Anders als im Sprint am Tag zuvor führte er im Hauptrennen vom Start weg und zwang Martin damit zur Attacke. Diese misslang, er fiel weit zurück und stürzte schließlich nach Kontakt mit Marc Marquez. Das WM-Duell war entschieden. Bagnaia ließ aber nicht locker und versüßte sich die Titelverteidigung mit einem letzten Sieg. "Es ist unglaublich. Ich fühle mich, als wäre ich am Höhepunkt angelangt, ich war nie glücklicher. Das Ding ist, dass ich heute auch das Rennen gewonnen habe. Durch die Umstände war das zwar völlig nutzlos, aber das war schon immer mein Ziel, mein Traum. Ich wollte den Titelgewinn unbedingt mit einem Sieg klarmachen, daher bin ich verdammt glücklich", strahlte der Italiener anschließend.

Luca Marini und Aleix Espargaro gratulieren Francesco Bagnaia zum Titelgewinn
Francesco Bagnaia gewann das Saisonfinale in Valencia, Foto: LAT Images

Er weiß die Bedeutung seiner Titelverteidigung richtig einzuordnen: "Letztes Jahr hat Fabio stark losgelegt. Als ich angefangen habe zu gewinnen, bekam er aber Probleme. Sein Bike war nicht gut genug, um gegen mich um den Titel zu kämpfen. Dieses Jahr waren wir beide stark. Jorge hatte viel Selbstvertrauen und durch meinen Sturz in Indien habe ich ihm noch mehr Hoffnung gegeben. Dieses Jahr war der Titelgewinn daher schwerer, mein Rivale war konkurrenzfähiger." Tatsächlich musste sich Bagnaia 2023 in einer neuen Situation behaupten. Während das Momentum im Vorjahr ganz klar auf seiner Seite lag, hatte er in dieser Saison die schwere Aufgabe, einen bereits sichergeglaubten WM-Titel bis zum Schluss gegen einen schnelleren Konkurrenten zu verteidigen. Das gelang ihm erst auf den letzten Metern, aber mit Erfolg. Und unterm Strich zählt nur das!

Dank Titelverteidigung: Francesco Bagnaia in elitärem MotoGP-Kreis

Bagnaia ist damit in einen elitären Kreis vorgestoßen: Nur zwölf andere Fahrer konnten ihren WM-Titel in der Königsklasse erfolgreich verteidigen. In der MotoGP-Ära schafften das zuvor einzig die Superstars Valentino Rossi und Marc Marquez. Ein Ducati-Fahrer durfte sich noch nie zweimal in Folge Weltmeister nennen. "Ich fühle mich gut damit, das ist fantastisch", scherzte Bagnaia in Valencia auf diese historischen Erfolge angesprochen, nur um dann gleich wieder ernst zu werden: "Ich könnte nicht zufrieden damit sein, Zweiter zu werden. Die Startnummer 1 bedeutet, dass du auch zeigen musst, dass du die Nummer eins auf der Strecke bist. Das ist uns dieses Jahr bestens gelungen, im zweiten Teil der Saison vielleicht sogar noch mehr. Wir konnten letztes Jahr schon stolz auf uns sein, dieses Jahr können wir aber noch stolzer sein. Wir haben viele Fehler gemacht, hatten auch Pech und haben den Titel trotzdem verteidigt. Darauf können wir sehr stolz sein!"

Die Mission Titelverteidigung ist also geglückt, Francesco Bagnaia hat seine Meisterprüfung erfolgreich bestanden. Auf dem Weg zur MotoGP-Legende wartet aber schon die nächste Herausforderung am Horizont. Im kommenden Jahr wird sich Bagnaia gegen keinen geringeren als den besten MotoGP-Piloten der Neuzeit behaupten müssen: Marc Marquez. Dieser wechselt 2024 bekanntlich ins Ducati-Lager zu Gresini Racing und hat dort wieder WM-fähiges Material zur Verfügung. Er wird auf Bagnaias Meistermaschine Platz nehmen. Will der Italiener seinen Titel auch ein zweites Mal erfolgreich verteidigen, sind Fehler im kommenden Jahr nicht mehr erlaubt. Ein 'Killer' wie Marquez wird diese gnadenlos ausnutzen. Besteht Bagnaia aber auch diese Prüfung, steht seinem Aufstieg in den MotoGP-Olymp nichts mehr im Weg.

Dieser Artikel über MotoGP-Weltmeister Francesco Bagnaia wurde ursprünglich in Ausgabe 94 unseres Print-Magazins veröffentlicht. Auf den Geschmack gekommen? Hier kannst du dir unser neuestes Heft sichern!