Das letzte Rennen in Brünn war Mal wieder ein gutes Beispiel: Die ganze MotoGP-Fangemeinde wurde Zeuge einer echten Machtdemonstration - und zwar über das gesamte Wochenende. Eine Demonstration eines fantastischen Fahrers. Ein Statement des im Moment vielleicht besten MotoGP-Fahrers auf diesem Planeten. Genau, ich rede von Jorge Lorenzo!

Wie er im Rennen in Brünn Marc Marquez zermürbte: Sagenhaft. Sein Teamkollege Valentino Rossi, von Yamaha mit identischem Material ausgestattet, hatte erst gar keine Chance. Und Dani Pedrosa auch nicht. Der Rest der MotoGP-Welt sowieso nicht. Aber in verdienten Jubel ob dieser grandiosen Leistung, brach trotzdem niemand aus. Oder kaum einer. Insider haben sehr wohl bemerkt, dass der Weg zu Saisonsieg Nummer fünf ein besonders perfekter war.

Lorenzo ist kein Fanliebling

Die Fans dagegen sprachen von einem langweiligen Rennen. Ob das fair ist? Und was bitteschön kann Jorge Lorenzo eigentlich dafür? Ist es vielleicht so, dass der MotoGP-Fan oftmals zur Schwarz-Weiß-Malerei neigt? Fakt ist: die Symphatien sind klar verteilt. Erstmal kommt Valentino Rossi, dann ganz lange nichts. Dann vielleicht Marc Marquez. Die anderen Fahrer dagegen finden nur bedingt Anklang. Warum ist das so? Wieso werden nicht einfach alle 24 MotoGP-Fahrer für das, was sie leisten, gefeiert? Denn verdient hätte es jeder einzelne.

Klar, Valentino Rossi hat neben seinen neun Weltmeistertiteln auch noch ein einmaliges Showtalent. Charisma, Witz, Charme. Das Spiel mit den Massen und den Medien scheint Ihm genauso in die Wiege gelegt worden zu sein, wie sein Fahrtalent. Aber ist es deshalb fair außergewöhnliche Leistungen seiner Gegner zu ignorieren? Valentino Rossi würde Nein sagen. Der Italiener weiß ganz genau, was da für ein Kaliber auf der anderen Seite der Garage steht.

Lorenzo hat seine ganz eigene Art zu feiern, Foto: Milagro
Lorenzo hat seine ganz eigene Art zu feiern, Foto: Milagro

Nämlich der wohl präziseste MotoGP-Fahrer aller Zeiten! Lorenzo ist ein lebendes Uhrwerk. Unglaublich ist teilweise, wie exakt und genau er fahren kann. Das kann in dieser Ausprägung außer ihm keiner. Weshalb er auch schon fünf Rennen in dieser Saison gewonnen hat. Der wilde Marquez und der beliebte Rossi nur drei. Und wenn sich das Helmfutter in Lorenzos Helm in Katar nicht gelöst hätte, wäre er wahrscheinlich alleiniger WM-Führender und nicht punktgleich mit seinem Teamkollegen.

Lorenzo dominiert diese Saison

168 Runden hat Jorge Lorenzo in dieser Saison in Führung liegend zurückgelegt. Marquez 73 Runden, Rossi nur 26 und Dovizioso die restlichen neun. Der Rest des Feldes? Fehlanzeige. Klingt nach deutlicher Überlegenheit, aber das ist nur Statistik. Fakt ist eben halt auch, dass, wenn Rossi gewinnt, sich alle in den Armen liegen. Wenn Lorenzo auf Platz eins einläuft, wird das eher nüchtern hingenommen. Was schade und vielleicht auch nicht ganz fair ist.

Von den drei Titelkandidaten hat Lorenzo es nämlich mit Sicherheit am Schwersten gehabt, sich in der WM zu etablieren. Bei Marquez und Rossi war es vom ersten WM Tag an klar, wohin die Reise geht. Beide waren schon Stars bevor sie überhaupt in der Weltmeisterschaft mitmachten. Beide hatten immer ein Topteam mit dem besten verfügbaren Material. Beide waren sofort im Fokus ihrer jeweiligen Märkte. Sponsoren standen Schlange und beide hatten immer ein Umfeld, das ihnen ein sorgenfreies Leben ermöglichte. Der Weg zum Sunnyboy war so für beide eigentlich vorgezeichnet.

Bei Lorenzo sah das gänzlich anders aus. Spanien hatte zum Karrierebeginn des Mallorquiners genügend andere Topfahrer. Soll heißen, dass die allmächtige Dorna nicht unbedingt alle Türen öffnete, als Lorenzo einstieg. Ein Reglement (wie für Marquez) wurde auf jeden Fall nicht geändert, als Lorenzo fahren wollte. Da musste er nämlich schön brav bis zu seinem Geburtstag am Samstag warten und den Freitag auslassen. Bei Quartararo in diesem Jahr wurde das von der Dorna anders gelöst. Und bei Marquez Einstieg in die MotoGP sowieso.

Keine Sonderbehandlung für den Star

Irgendwie ja auch verständlich, dass man seinen Superstars jeden Wunsch von den Lippen abliest. Das ist bei Marquez so, aber eben auch bei Valentino Rossi. Jorge Lorenzo hat und hatte es da schwerer. Weltmeister wurde er bei den 125ern nie, weil das Derbi-Material es nicht hergab. Trotzdem wurde er dann zweimal 250er-Weltmeister. Trotzdem schaffte er den Aufstieg in die MotoGP, was nicht jeden in Spanien zu Freudenschreien animierte. Der verhätschelte Repsol- und Dorna-Wunschkandidat war nämlich eigentlich Dani Pedrosa.

Das Verhältnis zwischen Lorenzo und Rossi hat sich längst gebessert, Foto: Yamaha
Das Verhältnis zwischen Lorenzo und Rossi hat sich längst gebessert, Foto: Yamaha

Und wieder musste Lorenzo sich durchkämpfen. Auch gegen Rossi, gegen die Fanmeinung in Spanien sowieso. Trennung der Eltern, unfassbare Zustände im Management. Nein, Lorenzos Karriere ist keine logische Geschichte einer perfekten Vorgabe wie bei seinen beiden Konkurrenten. Lorenzo hat auch viel dazu beigetragen, dass seine Beliebtheitswerte weit unter denen von Marquez und Rossi liegen. Das weiß er selbst am besten. Wenn er heute Bilder aus den Anfangstagen seiner Karriere sieht, sagt er nicht selten, dass er ein echtes Arschloch war. Aber ein lernfähiges. Wer ihn mit der behinderten Ana Vives in Barcelona auf dem Podest gesehen hat, weiß, dass sich einiges getan hat.

Ein würdiger MotoGP-Weltmeister

Und zwar im menschlichen Bereich. So ist er zum Beispiel immer noch mit seinem langjährigen Betreuer Hector Martin befreundet obwohl der die Seiten gewechselt hat und in selber Tätigkeit bei Marc Marquez anheuerte. Lorenzo hat seinem Freund Hector sogar dazu geraten. Begründung: "Marc wird sicherlich länger fahren als ich. Und Du wirst Vater." Das hat schon Größe, seinen wichtigsten Vertrauten, so zum größten Gegner zu souflieren.

Und Größe hat es eben auch wenn Lorenzo so fährt wie in Brünn. Das ist meisterlich, ja geradezu unglaublich und verdient Würdigung. Wer immer in diesem Jahr Weltmeister wird, holt den Titel nicht weil er Glück hatte. Sondern weil er der Beste war. In einer Saison, die wohl in die Geschichte eingeht, denn nie war das Niveau höher als im Jahr 2015. Auch weil Jorge Lorenzo einen Durchmarsch von Marc Marquez verhindert. Auch weil Jorge Lorenzo seinen Teamkollegen zu Bestleistungen animiert. Respekt also für Jorge Lorenzo und seine Leistungen. Auch er wäre ein würdiger Weltmeister. Und das wird er schon am kommenden Wochenende in Silverstone unter Beweis stellen.