"Wenn du mehr als 300 Stundenkilometer auf der Geraden fährst, musst du die Gewissheit haben, dass du es vor der Kurve wieder ausreichend verlangsamen kannst", erklärt Alvaro Bautista die Bedeutung der Bremse für einen MotoGP-Piloten. "Der Motor ist wichtig, aber die Bremsen sind definitiv noch wichtiger", meint der Spanier. Eine Meinung, die Stefan Bradl teilt: "Bei derart hohen Geschwindigkeiten musst du sehr stark und schnell bremsen können. Das ist noch wichtiger als genug Power."

Aufbau einer MotoGP-Bremse

Grundsätzlich besteht die Bremsanlage eines MotoGP-Bikes aus acht Elementen. Alles beginnt im Bereich des Lenkers mit dem Bremsflüssigkeitsbehälter, der hinter der Verkleidung des Motorrads liegt. In ihm befindet sich die Bremsflüssigkeit. Am Lenker kann der Pilot über den Bremshebel einen Verzögerungsvorgang einleiten. Zieht er an diesem Hebel, wird die Bremsflüssigkeit durch den Hauptbremszylinder in die Bremsleitungen befördert, die direkt in Richtung der eigentlichen Bremse führen. Dort fließt die Flüssigkeit in den Bremssattel, von wo aus die Bremskolben nach innen gedrückt werden. Auf ihnen befinden sich die Bremsbeläge, die schließlich auf die Bremsscheibe drücken und so das Motorrad verlangsamen.

Die Carbonbremse

Carbonbremsen sind seit Jahren Standard in der MotoGP, Foto: Milagro
Carbonbremsen sind seit Jahren Standard in der MotoGP, Foto: Milagro

Im Gegensatz zum normalen Straßenverkehr und auch anderen Rennserien wie den Klassen Moto2 und Moto3 oder der Superbike-Weltmeisterschaft werden in der MotoGP neben Stahlbremsen auch Bremsbeläge und Scheiben aus Carbon verwendet. Diese Variante ist zwar in der Anschaffung deutlich teurer, hat allerdings auch eine wesentlich längere Laufleistung. Die Beläge und Scheiben weisen eine Lebensdauer von mehr als 3000 Kilometern auf, können also an rund drei bis vier Rennwochenenden eingesetzt werden, was mit einer Stahlscheibe nicht möglich ist. Im Vergleich mit einer normalen Stahlscheibe ist das Modell aus Carbon auch in etwa zwei Kilogramm leichter, was Richtungswechsel deutlich vereinfacht. Der Hauptvorteil der Kohlefaser ist aber die Fähigkeit, extrem viel Hitze aufnehmen zu können. Beim Bremsvorgang wird die kinetische Energie in Wärme umgewandelt, eine Carbonbremse funktioniert am besten in einem Temperaturfenster von 300 bis 700 Grad Celsius.

Die Temperatur der Bremse muss also in diesem Bereich gehalten werden, um eine optimale Funktionalität zu gewährleisten. Auf den meisten Strecken kann eine sogenannte "Low-Mass"-Bremse verwendet werden, bei der die Bremsscheibe verhältnismäßig klein ausfällt, da sie genug Kapazität bietet, um die erzeugte Hitze aufzunehmen. Sie sind logischerweise leichter und wirken sich daher positiv auf das Handling des Motorrads aus. Auf Kursen, die für besonders hohe Temperaturen durch Bremsvorgänge sorgen wie zum Beispiel Motegi in Japan, kommen hingegen "High-Mass"-Bremsen zum Einsatz. Diese schaffen es, die erzeugte Hitze aufzunehmen. Umgekehrt könnten diese Modelle nicht auf Kursen mit weniger harten Bremspunkten verwendet werden, da die Anlage schlicht und einfach nicht die nötige Temperatur erreichen würde.

Im Regen setzt man nach wie vor auf Stahlbremsen, Foto: Honda
Im Regen setzt man nach wie vor auf Stahlbremsen, Foto: Honda

Ist eine Carbonbremse zu kühl, geht die Bremswirkung gegen Null und es kann gefährlich werden, wie Stefan Bradl beschreibt: "Wenn man aus der Box auf die Strecke fährt und für die erste Kurve bremst, passiert erst einmal nichts. Dann kommen die Bremsen aber auf Temperatur und es ist unbeschreiblich, welche Wirkung man dann erreichen und wie stark man verzögern kann."

Aufgrund der benötigten Mindesttemperatur können die Carbonbremsen auch nicht im Regen verwendet, da sie eben eine gewisse Temperatur brauchen um zu funktionieren und diese bei nassen Verhältnissen nicht erreicht werden kann. Außerdem sind die Carbonscheiben deutlich aggressiver als die Modelle aus Stahl, wodurch der Fahrer weniger Gefühl für den Bremsvorgang hat - ein großer Nachteil auf rutschiger Strecke.

Geschmackssache Bremsbalance

Das Hinterrad verliert beim Bremsen regelmäßig den Bodenkontakt, Foto: Milagro
Das Hinterrad verliert beim Bremsen regelmäßig den Bodenkontakt, Foto: Milagro

Klarerweise verfügt eine MotoGP-Maschine über zwei Bremsen, eine am Vorderrad und eine hinten. Ein Großteil der Bremsarbeit wird dabei vorne verrichtet, da das Gewicht des Motorrads beim Verzögern nach vorne wandert. Die hintere Bremse hingegen übernimmt nur eine untergeordnete, aber dadurch umso schwierigere Rolle, wie Brembo-Renningenieur Eugenio Gandolfi erklärt: "Für uns ist die Arbeit an der Vorderbremse einfacher. Was das Bremsen am Hinterrad angeht sind die Vorlieben der Piloten sehr unterschiedlich. Manche haben die Hinterbremse nur weil sie vorgeschrieben ist und nutzen sie absolut nie. Andere Fahrer hingegen nutzen sie zum Bremsen und um die Geschwindigkeit während der Kurvenfahrt zu regeln. Deshalb gibt es für die Hinterradbremse viel mehr Kombinationen und Optionen, um die bestmögliche Lösung für jeden Piloten zu bieten."

Stark genug für zwei Maschinen

Die MotoGP wird immer schneller und die Bremsenhersteller haben damit kein Problem. "Für uns ist es kein Problem, mehr Bremskraft zu liefern. Unsere Systeme leisten 550 bis 600 Pferdestärken, also das Doppelte der Leistung eines Motors", stellte Gandolfi klar. Das Problem liege aber in der Nutzung dieser Energie. Ein Motorrad stößt beim Bremsvorgang im Vergleich mit einem Auto relative schnell an die physikalischen Grenzen. Die Gründe dafür liegen in der geringeren Anzahl an Rädern an einem Bike sowie dem praktisch nicht vorhandenen Abtrieb, von dem hingegen Rennboliden sehr stark profitieren.