Als ehemaliger Crewchief von Mick Doohan und aktueller Technischer Leiter bei Valentino Rossi gilt Jeremy Burgess als Ingenieurs-Guru in der MotoGP. Das Motorsport-Magazin hat sich mit ihm über den harten Einstieg bei Ducati und die Zukunft der Königsklasse unterhalten.

Der ganz normale Ducati-Wahnsinn, Foto: adrivo Sportpresse
Der ganz normale Ducati-Wahnsinn, Foto: adrivo Sportpresse

Jeremy, wie sieht dein Leben nach dem ersten Saison-Drittel mit Ducati aus?
Jeremy Burgess: Es ist nicht so schlecht. Wir entwickeln und machen die Maschine eher so, wie Valentino sie haben will. Manchmal geht es vorwärts, manchmal rückwärts. Der Fokus liegt auf der Zukunft. Für uns ist es am wichtigsten, dass wir bald in einer Position sind, in der wir um das Podest kämpfen können.

Was hältst du von der 1000cc-Motorenformel für nächstes Jahr?
Jeremy Burgess: Es wird keinen Unterschied machen. Jeder wird eine 1000er haben.

Erwartest du große Unterschiede zwischen diesem und nächstem Jahr?
Jeremy Burgess: Ich denke, es wird keiner den Unterschied sehen. Es sind nur 200cc im Motor. Die Maschine wird ähnlich sein. Jede Maschine wird vielleicht einen etwas anderen Stil haben. Es könnte einen anderen Auspuff an der Honda oder einen anderen Auspuff an der Yamaha geben. Aber die Leute, die auf der Tribüne sitzen, werden nicht erkennen, ob das 500er oder 1000er sind.

Es heißt ja, Ducati wird nicht die ganzen 1000cc ausnutzen. Was weißt du darüber?
Jeremy Burgess: Ich habe keine Ahnung. In der Vergangenheit hat das aber Yamaha im ersten Jahr der 990er probiert und das war eindeutig nicht die passende Antwort. Wir haben alle Erfahrung mit 990ern und da sind nur 10cc Unterschied, es wäre also dumm, nicht die ganzen 1000cc zu nutzen.

Wie sieht deine Meinung zur Claiming Rule aus?
Jeremy Burgess: Es ist sehr dumm, dass die Dorna es erlaubt, dass zwei verschiedene Arten von Maschinen in der gleichen Klasse fahren. Dadurch haben sie prinzipiell die Kontrolle über ihren Sport verloren.

Kann es Vorteile für diese Claiming Rule Teams geben?
Jeremy Burgess: Ich verstehe nicht ganz, wie es funktioniert. Vielleicht sollte einmal jemand die Regeln ganz genau erklären, denn bislang weiß noch niemand wirklich, wie die Regeln exakt aussehen werden. Es könnte ja vielleicht so sein, dass es für mich vorteilhafter wäre, wenn ich mit Valentino Rossi ein Claiming Rule Team mache. Dann habe ich mehr Motoren und kann mehr Benzin verwenden als wenn ich in einem Werksteam operiere. Die Dummheit an dem Ganzen ist unglaublich. Das ist Wahnsinn. Man erschafft etwas, das in jeder Form des Rennsports bizarr wäre, wenn es da eine eigene Klasse innerhalb einer Klasse gäbe.

Man beschwört damit quasi Unruhe herauf, wenn man eine Klasse innerhalb einer Klasse hat...
Jeremy Burgess: Es ist einfach verrückt. Ich denke, die Dorna achtet zu sehr darauf, was für sie wichtig ist - und das ist Fernsehen und jeden Sonntag eine gute Show zu liefern. Das kann ich ihnen nicht übel nehmen, aber ich denke, die FIM hat da ein wenig ihre Seele verkauft und ein wenig die Kontrolle über einen Sport verloren, der viele Jahre großartig war. Das war wohl eine progressive Übernahme durch die Dorna und die FIM ist nicht eine Person, sondern eine Gruppe, die Entscheidungen trifft, aber sie haben allgemein den Motorradsport im Stich gelassen, weil sie mit dieser tollen Show nicht nach Südamerika oder Südafrika gekommen sind. Es gibt nur ein Rennen in der südlichen Hemisphäre. Es ist wichtig, dass die FIM Motorradfahrer auf der ganzen Welt vertritt, nicht nur in den Ländern, die es sich leisten können, einen Grand Prix zu veranstalten. Die Dorna sollte nach meiner Meinung etwas mehr dazu gedrängt werden, Grands Prix in Ländern zu fahren, in denen es vielleicht keinen Profit gibt.

Jeremy Burgess und Valentino Rossi müssen auch an der Ducati-Einstellung einiges ändern, Foto: Milagro
Jeremy Burgess und Valentino Rossi müssen auch an der Ducati-Einstellung einiges ändern, Foto: Milagro

Kommen wir zurück zu deiner Arbeit. Du hast für Honda sowie Yamaha gearbeitet und bist jetzt bei Ducati. Kann man die drei Unternehmen vergleichen?
Jeremy Burgess: An der Spitze ist es jetzt sicher härter umkämpft als in früheren Jahren. Wir versuchen hier, eine Maschine zu bauen, mit der jeder Fahrer sein Potential bestmöglich ausschöpfen kann. Das haben wir vor acht Jahren bei Yamaha geschafft. Das hier [die Ducati] ist eine sehr gute Maschine. Valentino ist nun näher am Ende seiner Karriere als damals [bei Yamaha], aber ich glaube nicht, dass unsere Arbeit zu Ende ist, wenn Valentino sich in zwei, drei, vier Jahren dazu entschließt, aufzuhören. Es ist unser Ziel, die Leistung der Ducati ständig zu verbessern, damit die jungen Fahrer, die nach oben kommen, sich gerne dieser neuen Herausforderung stellen.

Braucht Valentino eine Maschine, die er entwickelt hat? Denn es sieht aktuell ja so aus, als hätte er so seine Probleme...
Jeremy Burgess: Jaja, wir haben Probleme, weil wir noch nicht das haben, was er braucht. Aber das kommt, die Entwicklung läuft Schritt für Schritt. Wir haben früher gesehen, dass die Maschine schnell genug ist, um Rennen zu gewinnen, aber in vielen Rennen stürzte der beste Fahrer mit dieser Maschine. Der Sicherheitspuffer bei der Ducati ist im Vergleich zu meiner Erfahrung mit der Honda und der Yamaha sehr klein. Ducati hat die Ergebnisse von Casey einfach nicht richtig analysiert. Seine Ergebnisse waren extrem gut, aber wenn er mit der Maschine scheiterte, dann taten sie das als Pech ab, weil er in der Woche davor vielleicht gewonnen hat. Sie haben nicht analysiert, warum er gestürzt ist. Aus meiner Sicht hat Casey einen tollen Job mit der Ducati gemacht, aber Valentino ist nicht darauf vorbereitet, mit so einem kleinen Sicherheitspuffer zu fahren. Andere Fahrer können das vielleicht gar nicht. Wie wir bei Casey gesehen haben, war dieser kleine Puffer oft auch für ihn zu klein. Bei Honda sieht man nun, dass er ein sehr gut aussortiertes Motorrad hat. Er war immer schon ein extrem schnell Fahrer und jetzt ist er bei Honda in einer sehr, sehr guten Position.

Was tun wenn's brennt?

Muss man sich manchmal selbst motivieren, wenn es gerade nicht läuft?
Jeremy Burgess: Wenn man eine Herausforderung annimmt, wie Valentino das gemacht hat, dann muss man die Ingenieure dazu motivieren, das zu bekommen, was man will. Ich zweifle nicht an Valentino Rossis Fähigkeiten, aber gleichzeitig kann man nur damit arbeiten, was man hat. Wenn wir nicht genau das bekommen, was wir wollen - basierend auf der Tatsache, dass wir nur eine Reifenmarke haben -, dann fehlt uns die Hilfe, um die Maschine so hinzubekommen, wie wir sie haben wollen. Ein Beispiel: wir alle verwenden die gleichen Reifen, die gleichen Felgen, die gleichen Bremsen und das gleiche Fahrwerk. Das Ducati-Chassis ist aber fundamental anders als bei allen anderen Herstellern. Das schafft einige große Unterschiede. Als wir früher mehrere Reifenhersteller hatten, konnte man einen Reifen haben, der auf die Maschine hin getrimmt wurde. Jetzt hat man diese Option nicht mehr, einige der Defizite mit einem Reifen auszugleichen, der mehr Temperatur erzeugt oder was auch immer. Daher ist es nun schwierig, ein "anderes" Motorrad zu bauen, wenn man einen Einheitsreifen hat. Damit will ich sagen, dass es in ein paar Jahren so sein könnte, dass alle Maschinen gleich aussehen, nur der Motor ist eben von Honda, Yamaha oder Ducati. Honda und Yamaha haben jetzt ein Aluminium-Chassis, wir nicht. Das war eine Entscheidung von Ducati und die ist nicht falsch, nur anders. Die Zeit wird zeigen, ob wir diese Maschine so gut zum Laufen bekommen, wie wir das wollen.

Wir kennen uns ja schon einige Zeit und ich erinnere mich, dass du einmal gesagt hast: "Manchmal bist du auf dem Berg, dann geht es wieder ins Tal und man muss wieder zu klettern beginnen." Siehst du dich in dieser Situation?
Jeremy Burgess: Ja, wir wussten, als wir dieses Projekt angingen, dass es schwierig sein würde. Viele Leute hätten anders herum argumentiert und gesagt, die Maschine hat mit Casey Rennen gewonnen, also sollte es nicht so schwierig sein. Wenn man sich aber Leute wie Marco Melandri ansieht, der Grands Prix gewonnen hat, oder Nicky Hayden, der Weltmeister war, die es dann nicht mehr ganz oben auf das Podest schaffen oder in Marcos Fall sogar grobe Probleme haben, dann hat sich über die Jahre klar abgezeichnet, dass die Ducati eine Maschine für nur einen Fahrer war. Das ist nichts, was wir wollen. Wir wollen eine Maschine, die jeder Fahrer bestmöglich fahren kann. Man muss sich nur ansehen, was wir bei Yamaha geschafft haben. Wir haben eine Maschine gebaut, mit der Valentino zu zwei Weltmeisterschaften fahren konnte, nachdem er zwei Mal leer ausgegangen war, Jorge kann damit auf seinem Level fahren, Colin Edwards kann damit auf einem guten Level fahren, Ben Spies ist gut damit unterwegs und Cal Crutchlow ebenfalls. Das ist das Ziel für uns. Wenn wir das erreicht haben, werden die Maschinen, die Ducati an die Satelliten-Teams least, noch gefragter sein. Sie sind ja jetzt schon gefragt, Ducati stellt sechs Maschinen im Feld. Für ein kleines Unternehmen ist das eine enorme Investition, sie liefern sogar mehr als Yamaha. Die Teams sind unsere Kunden und sie warten darauf, dass Valentino die Maschine stärker macht. Auf diesem Weg sind wir, ich weiß nur nicht, wie lange es brauchen wird.

Vor der Saison habe ich darauf getippt, dass Valentino in diesem Jahr ein Rennen gewinnen wird...
Jeremy Burgess: Zuerst müssen wir einmal auf das Podest fahren. Wir haben wegen der Verletzung eher langsam begonnen, aber jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Wir müssen den nächsten Schritt machen. Ducati, die Technikcrew und ich, wir müssen hart arbeiten, damit wir Valentino eine Maschine geben, mit der er Spaß hat. Denn das wird seine Karriere nur verlängern. Sollte er nur mehr schlechte Ergebnisse haben und an andere Dinge zu denken beginnen, wäre das nicht so gut. Also liefern wir ihm lieber eine gute Maschine, mit der er vorne mitfährt und die Zweikämpfe genießt. Das wollen wir.

Das Interview mit Jeremy Burgess stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: