Herr Dr. Walliser, die FIA hätte gerne eine neue GT-WM. Die Idee dazu hat den Anstoß gegeben zur Wiederaufnahme der 2014 gescheiterten GT-Konvergenzgespräche. Wie stellt sich Porsche die Zukunft des GT-Sports vor?
Dr. Walliser: Zuerst mal muss man eines festhalten: Der GT-Sport kann momentan aus einer Situation der Stärke heraus handeln. Die GT3 funktioniert weltweit, es gibt viele Autos und viele Serien, und diese laufen alle stabil. Natürlich geht's mal rauf und mal runter, aber nichts Fundamentales ist falsch. Das Gleiche gilt für die Pro-Einsätze, also für den Werkssport in der GTE, wenn auch in einer kleineren Dimension. Ich glaube also, dass der GT-Sport durchaus ein FIA-Prädikat verdient hätte. Wo sonst engagieren sich mehr als elf Hersteller? Großzügig gerechnet sind's allein fünf in der Pro-Kategorie – das sehen wir bei Tourenwagen, Rallye und Formel 1 nur bedingt. Die Plattform ist also gut und stabil, doch mit GT3 und GTE haben wir aktuell zwei GT-Autos, die quasi gleich schnell sind. Für die nächste Homologationsperiode gilt's daher zu überlegen: Wie können wir die GT3 auf einem vernünftigen Niveau halten, ohne dass uns die Kosten weggehen, und wie können wir auf derselben Basis ein Pro-Auto darstellen, womit auch die Werke sich messen können?

Es geht also um nur ein Auto als Basis, korrekt?
Dr. Walliser: Idealerweise wäre ein Auto die Basis, wovon ein zweites abgeleitet werden könnte, das in einem bestimmten Umfang differenziert. Grundsätzlich sollte die Unterscheidung zwischen Werks- und Kundensport aber weniger mit der Technik zu tun haben als mehr mit den Regeln der Meisterschaften.

Aber ist es nicht schwierig, Werks- und Kundensport bei der Technik so nah beisammen zu haben? Schließlich bedeutet Werkssport doch auch immer Wettbewerb beim Material.
Dr. Walliser: Wegen der Konvergenzgespräche war die Idee ja immer: Bei der GTE gibt's ein technisches Reglement, daher keine Balance of Performance, und bei der GT3 gibt's kein technisches Reglement, dafür aber die BoP. In Wirklichkeit ist dem aber nicht so, denn die GT3 hat zwar tatsächlich kein technisches Reglement, aber es wird alles haarklein homologiert – die Zulassungspapiere sind zentimeterdick! Im Grunde ist es also in beiden Kategorien gleich. Natürlich lautet das Thema: Wie krieg ich am meisten raus mit meinem Auto? Aber wir haben nirgends ein Wettrüsten, weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Man muss alles andere optimieren.

Nebeneinander: GT3- und GTE-Porsche bei einem Fototermin in Daytona, Foto: Porsche
Nebeneinander: GT3- und GTE-Porsche bei einem Fototermin in Daytona, Foto: Porsche

Wäre es denn überhaupt möglich, ein technisches Reglement so hinzukriegen, dass die verschiedenen Konzepte keiner nachträglichen Performance-Angleichung mehr bedürften? Im Moment haben wir Sauger und Turbos sowie Front-, Heck- und Mittelmotor-Autos.
Dr. Walliser: Allein übers technische Reglement mit Sicherheit nicht, nein.

Nur bringt die Balance of Performance seit jeher Streit.
Dr. Walliser: Es ist ärgerlich, dass die BoP so sehr im Vordergrund steht, denn da sollte der Sport stehen. Aber das System ist absolut notwendig, ohne geht's einfach nicht. Die Sache ist leider sehr komplex und daher für die Öffentlichkeit nur schwer zu erfassen – die BoP hat einen schlechten Ruf. Eigentlich müsste man eine Imagekampagne starten, denn das System ist viel besser als es scheint.

Aber wie könnte man das System selbst verbessern?
Dr. Walliser: Na ja, man sollte vielleicht mehr auf die Ausgangsgrößen eines Autos achten und weniger auf die Eingangsgrößen. Entscheidend ist doch: Wie viel Leistung kommt da hinten wirklich raus? Wenn man das besser macht, dann kann man die Autos auch besser nivellieren. Und es gibt ja Serien, wo alles sehr eng beieinander ist: Schauen Sie sich die GTD-Klasse in der IMSA-Serie an. Die Amerikaner machen das sehr gut; es werden unheimlich viele Daten gesammelt, und dazu kommt, dass Änderungen bei der BoP stets unter allen Hersteller diskutiert werden; nichts wird hinter verschlossenen Türen einfach so festgelegt. Und in Le Mans war's zwischen den Saugmotoren auch nicht so falsch, nur die Turbos waren in einer eigenen Liga – "GTE-F-Kategorie" könnte man sagen [Ford und Ferrari; Anm. d. Red.].

Wie tief sind nach Le Mans die Gäben zwischen den Herstellern?
Dr. Walliser: Die sind gar nicht so tief, denn eigentlich hat hier niemand Lust, es so zu machen wie in Le Mans. Ein Kollege bei Ford meinte zu mir: "Wenn wir gewinnen, und jeder sagt, das sei ja nur wegen der BoP, dann ist's auch nichts wert." Ford hat in Le Mans zwar gewonnen, aber über dem Sieg wird immer ein Makel hängen – und das macht denen auch keinen Spaß. Insofern haben wir alle die Chancen in der Hand, aber nicht, um Gräben zu graben, sondern um Gräben zuzuschütten.

Der Porsche 911 RSR für die Langstrecken-Weltmeisterschaft 2017, Foto: Porsche
Der Porsche 911 RSR für die Langstrecken-Weltmeisterschaft 2017, Foto: Porsche

Die Dominanz der Turbos hatte sich lange vor Le Mans angekündigt. War's vielleicht so, dass die Veranstalter das Duell Ford gegen Ferrari gewollt haben? Bei Fords Dreifachsieg vor 50 Jahren waren es auch die Ferraris, die es zu schlagen galt.
Dr. Walliser: Nein, das war's sicher nicht, auch wenn der Gedanke nahe liegt. Der Promoter [ACO] hat ja nichts davon. Wenn ich nämlich weitere Hersteller in eine Serie holen will, und die sehen, dass sich dort gezankt wird wie bei den Kesselflickern, dann will da sicher keiner dazu. Die Frage ist doch immer: Wer hat welches Motiv? Das passt hier nicht zusammen. Ich möchte niemanden in Schutz nehmen, man hätte vieles besser machen können, aber genauso möchte ich niemandem pure Absicht unterstellen. Aber jetzt sind wenigstens alle wach.

Und der Ford GT selbst? Das Auto ist in allen Belangen so sehr auf Le Mans zugeschnitten, dass es einem schwerfällt, noch von einem Grand Tourer zu sprechen.
Dr. Walliser: Nun ja, irgendwo ist es natürlich der Worst Case, wenn jemand ein Auto baut, das nur einen einzigen Zweck hat. Ich meine, wie man ein flaches High-End-Kohlefaser-Auto baut, dass wissen wir auch, aber wir möchten eben mit unserem Elfer Sport machen, schließlich lebt der GT-Sport ja auch von der Vielfalt der Konzepte. Und wenn ich einen schnellen Prototypen bauen möchte, na ja, dafür gibt's doch die LMP1!

Zwecks besserer Gewichtsverteilung soll im Porsche 911 RSR für 2017 das Getriebe hinter dem Motor sitzen statt davor wie im Serienauto. Es heißt, Porsche habe für diesen Umbau eine Sondergenehmigung erhalten.
Dr. Walliser: Sagen wir mal so: Wir haben uns etwas einfallen lassen, aber was das ist, das zeigen wir erst im November auf der LA Auto Show. Einen Waiver [technische Sondergenehmigung] haben wir jedenfalls nicht gebraucht; unsere Ingenieure haben im Rahmen dessen gearbeitet, was das Reglement zulässt. Aber ja, was wir gemacht haben, könnte durchaus vom Serienauto abweichen.