Nicht überall ist Rubens Barrichello für die realistische Einschätzung seiner Fähigkeiten bekannt. Ob die Ankündigung von Weltmeistertiteln als Nummer zwei bei Ferrari oder die Zuversicht, gegen Jenson Button den WM-Titel zu gewinnen: Was nicht funktioniert, liegt aus Sicht des 37-Jährigen meist an anderen. So fühlte sich Barrichello heute auch bei seiner Fahrt von Startplatz zwei auf Position sechs nicht angemessen vom Team behandelt. "Ich möchte mit niemandem aus dem Team mehr sprechen, denn das wäre nur viel Blabla... Das will ich nicht hören. Ich bin wahnsinnig verärgert", hatte Barrichello vor laufenden TV-Kameras gesagt - und das Team beschuldigt, an seinem verlorenen Sieg die Schuld zu tragen.

Das Team in Misskredit gebracht

Verständnis für die Entgleisung des Brasilianers bringt man im Fahrerlager nur bedingt auf. "Er bringt das Team in Misskredit", sagte Barrichellos früherer Teamchef Eddie Jordan gegenüber crash.net. "Er weiß offenbar, dass er noch kein Cockpit für das nächste Jahr hat. Das ist eine traurige Situation, aber so etwas hätte er nicht vor den Fernsehkameras sagen dürfen. Definitiv nicht." David Coulthard, der im vergangenen Jahr seinen F1-Helm an den Nagel gehängt hatte, vermutet bei Barrichello eine latente Unzufriedenheit über die eigenen Leistungen.

"Da ist ein Fahrer, der sehr viele Rennen bestritten hat. Es ist unvermeidlich, dass sein Enthusiasmus nachlässt und seine Frustration wächst. Denn er bekommt es nicht hin, die großen Möglichkeiten der ersten Saisonhälfte in einen Sieg umzumünzen", spekulierte Coulthard. Eher differenziert bewertetee Frank Williams die Vorgänge bei der Konkurrenz: "Was ich gesehen habe, hätte durchaus die rote Karte verdient", sagte er, zeigte sich aber auch milde: "Zu Rubens' Verteidigung, war er sicher noch sehr aufgewühlt und verärgert, als er aus dem Auto stieg. In Ross' Position würde ich für einen Moment meinen Stolz vergessen und ein paar Worte mit Rubens reden, um ihn umzustimmen." Dennoch könne so etwas kein zweites Mal toleriert werden.

Nicht zum ersten Mal bereitet Barrichello Ross Brawn Kummer, Foto: Sutton
Nicht zum ersten Mal bereitet Barrichello Ross Brawn Kummer, Foto: Sutton

Ähnlich wie von Williams empfohlen geht Ross Brawn mit den Äußerungen seines Piloten um. Zumindest gegenüber Medienvertretern stellte er sich vor Barrichello. Gegenüber autosport schloss Brawn Auswirkungen auf die weitere Zusammenarbeit in der laufenden Saison aus: "Wir wollen uns ein Gesamtbild verschaffen über das, was er gesagt hat. Er ist mit dem Team durch schwere Zeiten gegangen, er zeigt viel Loyalität gegenüber dem Team. Das kann nicht dadurch zerstört werden, dass er nach dem Rennen ein paar frustrierte Worte von sich gibt."

Loyalität dem Team gegenüber

Auch auf die "Blabla"-Passage von Barrichellos Ausraster reagierte Brawn gelassen: "Das sind die Worte eines frustrierten Fahrers. Wenn man aus dem Auto steigt und denkt, man hätte das Rennen gewinnen müssen, aber nicht alle Fakten kennt, kann das passieren." So sei während des Rennens der Informationsfluss zwischen dem 37-jährigen Rennveteranen und dem Kommandostand gestört gewesen: "Der Funk funktionierte nicht gut - wir wollten ihn während des Rennens informieren, was passiert, aber er hat nicht alle Informationen bekommen. Er hatte kein vollständiges Bild von den Geschehnissen des Rennens."

Zum vollständigen Bild von den Geschehnissen des Rennens hätte aus Brawns Sicht auch die Kenntnis von der heute mäßigen Wettbewerbsfähigkeit des Brawn-Boliden gehört: "Wenn wir schneller gewesen wären, hätten wir das Rennen gewonnen. Aber wir waren zu langsam. Rubens ist die elftschnellste Zeit des Rennens gefahren. Man kann mit keiner Strategie ein Rennen gewinnen, wenn man nur Elftschnellster ist."