Nichts wird am 29. März beim Großen Preis von Australien mehr so sein wie es mal war. "Wir mussten eine der größten technischen Reglementänderungen in der Geschichte der Formel 1 umsetzen", sagt Walter Riedl, Managing Director des BMW-Sauber F1 Teams. Der BMW Sauber F1.09 sieht nicht nur völlig anders aus als sein erfolgreiches Vorgänger-Modell, die neue Rennwagen-Generation verfügt auch über komplett andere technische Gesetzmäßigkeiten. Ein Großteil der Anforderungen wurde mit Hilfe der Computergestützten Strömungssimulationen (CFD) bewältigt. Der Grand-Prix-Sport steht vor allem aerodynamisch vor einem "Neustart". Eines der wichtigsten Ziele der Reglementänderung ist es, das Überholen zu erleichtern.

Willy Rampf, Technischer Koordinator des BMW Sauber F1 Teams, spricht von einer "Stunde Null" in Melbourne. Die Arbeitsstunden, die sein Team seit Februar 2008 in die Entwicklung eines siegfähigen Rennwagens investiert hat, kann er kaum zählen. Die Arbeit der Konstrukteure beruht auf den Vorgaben der, vom Automobilweltverband FIA eingesetzten, Overtaking Working Group. Mit einer kompletten Neuordnung der Aerodynamik versuchten die Experten vor allem das Phänomen der "Dirty Air" zu minimieren, das bisher bei Überholversuchen die größten Schwierigkeiten bereitete. Diese "schmutzige Luft" entsteht durch Luftverwirbelungen des vorderen Fahrzeuges, die die Wirkung der Frontflügel des folgenden Rennwagens erheblich beeinträchtigten.

Zahlreiche Aerodynamik-Änderungen

Mit einer Reihe einschneidender aerodynamischer Maßnahmen sollen die Formel-1-Rennwagen 2009 besser überholen können. Der Frontflügel ist dazu von 140 auf 180 Zentimeter Breite gewachsen, sein Abstand zum Straßenbelag ist um die Hälfte auf 7,5 Zentimeter geschrumpft. Dazu dürfen die Flügellamellen ("Flaps") zweimal pro Runde um sechs Grad verstellt werden. Ein Großteil aller Zusatzflügel und Luftleitelemente am Chassis mussten verschwinden. Der Heckflügel wird in der Breite drastisch gekürzt, von 100 auf 75 Zentimeter, zusätzlich wurde er von 80 auf 95 Zentimeter angehoben.

Das Heck hat sich deutlich verändert, Foto: Moy/Sutton
Das Heck hat sich deutlich verändert, Foto: Moy/Sutton

Auch der Diffusor, der den Luftaustritt hinter dem Fahrzeugboden definiert, steigt an. Neu festgelegt wurden auch Kühlein- und -auslässe sowie das Auspuffende. Dadurch entsteht zwar ein geringerer aerodynamischer Anpressdruck beim Vordermann, gleichzeitig aber ein vergleichsweise höherer Anpressdruck beim Verfolger, was, in Verbindung mit dem höheren mechanischen Grip aufgrund der neuen Slick-Reifen, den Überholvorgang verbessern soll.

KERS und die Auswirkungen

Dazu gehört auch das Zusammenspiel mit anderen, ebenfalls für 2009 radikal veränderten, Parametern: Die Bremsenergierückgewinnung KERS (Kinetic Energy Recovery System) zum Beispiel sorgt für eine völlig neue Gewichtsverteilung im Boliden. Die Kehrseite des zusätzlichen Gewichts, des aus einem Elektromotor/Generator für die Energieumwandlung, Batterien für die Energiespeicherung sowie entsprechender Steuerungselektronik bestehenden Systems, wird durch eine entsprechend höhere Leistung ausgeglichen. Per Knopfdruck am Lenkrad kann der Fahrer so im entscheidenden Moment, für maximal 6,7 Sekunden pro Runde, auf rund 80 Zusatz-PS zurückgreifen, um Konkurrenten zu überholen.

Das Reglement stellt es den Teams frei, KERS einzusetzen. Selbst bei den Teams, die sich für diesen Hybridantrieb entschieden haben, wird der Einsatz von Rennstrecke zu Rennstrecke beurteilt werden: Je nach Streckencharakteristik wird es entweder einen Vorteil bringen, die Zusatz-PS durch KERS an Bord zu haben, oder sinnvoller sein, den Schwerpunkt und die Gewichtsverteilung zu optimieren.

Ohne Computersimulationen nicht zu bewältigen

Das neue Reglement und seine Auswirkungen machen die ganze Komplexität des Rennwagenbaus deutlich, die ohne Computersimulationen auf dem Daten-Highway nicht mehr bewältigt werden könnte. "Man darf die Faktoren nicht einzeln betrachten, es ist die Kombination der Änderungen, auf die es ankommt", sagt Walter Riedl. Das gilt auch für das Zusammenspiel von Front- und Heckflügel. "Der Luftstrom muss über das gesamte Fahrzeug optimiert werden", weiß Riedl, "es war eine besondere Herausforderung unter diesen Bedingungen einen Rennwagen zu konstruieren, der eine stabile Aero-Balance ermöglicht." Damit ist gemeint, dass sich die Harmonie des gesamten Fahrzeuges in unterschiedlichen Fahrsituationen (wie Beschleunigen, Bremsen, Kurvenfahrt) kaum verändert.

Zum Weiterentwickeln brauchte es Computer, Foto: Sutton
Zum Weiterentwickeln brauchte es Computer, Foto: Sutton

Die Computergestützte Strömungssimulation sorgt im Zusammenspiel mit dem Windkanal des BMW Sauber F1 Teams in Hinwil dafür, dass trotz der vom Regelwerk eingeschränkten Möglichkeiten der Aerodynamiker, eine effiziente Weiterentwicklung im Kernbereich der Rennwagenkonstruktion möglich war und ist - gerade auch im Hinblick auf das Verbot von Testfahrten in der laufenden WM-Saison 2009. "Die Nutzung von CFD, auf die BMW Sauber von Beginn an gesetzt hat, sorgt für ein größeres Verständnis für Aerodynamik- Sachverhalte", sagt Walter Riedl, "der Windkanal liefert reine Zahlen von Abtrieb und Luftwiderstand, aber keine Erklärung dafür." Durch die Visualisierung mit CFD können die Strömungswissenschaftler des Teams ergründen, warum und wie Entwicklungen funktionieren sowie Ansätze für Weiterentwicklungen und Optimierungen aufdecken.

Der Fall Dirty Air

Ein - auch optisch - eindrucksvolles Beispiel dafür liefert das Phänomen "Dirty Air". Auf den ersten Blick machen die Analysen der dreidimensionalen Computeranimation klar, dass der Luftfluss durch den höher gesetzten Heckflügel deutlich "beruhigter" auf das folgende Fahrzeug trifft. Auch die seitliche Strömung erfolgt jetzt wesentlich schlanker. Bei solchen Simulationen werden ungeheure Datenmengen in kürzester Zeit verarbeitet. Ein einziges Fahrzeugmodell besteht aus fünf Millionen dreieckigen Zellen, die Umgebung wird durch ein engmaschiges Netz von rund 100 Millionen Zellen abgebildet.

Vor allem am Anfang der, ob der vielen Veränderungen, ungewöhnlich früh begonnenen Konstruktionsphase des BMW Sauber F1.09 im vergangenen Februar, leistete der Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) mit seinen Simulationen unschätzbar wertvolle Hilfestellungen. "Wir bekamen frühzeitig aufgezeigt, wo die größten Herausforderungen auftreten und wo der Fokus unserer Arbeit liegen muss", erinnert sich Riedl.

"Die moderne Simulationstechnologie erfordert eine schnelle, sichere und komplexe Datenlogistik", sagt Dirk Stirnberg, Global Account Executive BMW Group bei T-Systems. "Das Formel 1-Reglement der Zukunft wird den Bereich ICT immer weiter in den Vordergrund rücken. Wir sind stolz, unser Know-how und unseren Service bei der permanenten Entwicklung der Fahrzeuge einbringen zu können und gemeinsam mit unserem Partner BMW die komplexen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen."

Zu den aerodynamischen Besonderheiten, die sich auch direkt auf den Fahrer auswirken, zählt der verstellbare Frontflügel. Je steiler der obere Flap gestellt wird, umso mehr Anpressdruck entsteht an der Vorderachse. Die CFD-Modelle, die sich bei den Testfahrten bestätigt haben, haben die Praxis vorweg genommen. "Mit dem verstellbaren Flügelelement kann der Fahrer bei der Einleitung eines Überholmanövers die Aero-Balance des eigenen Rennwagens an die Luftverwirbelungen des Vordermanns anpassen", erklärt Walter Riedl die neue Interaktivität, mit der Fahrer und Fahrzeug sensibler auf die restliche "Dirty Air" reagieren können. Diese Strömungen sind von Fahrzeug zu Fahrzeug unterschiedlich, und können daher in der 3D-Erprobung nur durch Erfahrungswerte und nicht durch detaillierte Daten simuliert werden. Eines bleibt beim Neustart daher beim Alten: An Spannung wird es der Formel 1 sicher nicht mangeln.