Ob es nun tatsächlich hier in Istanbul passiert, oder vielleicht doch erst ein oder zwei Rennen später, ist eigentlich egal. Dass Rubens Barrichello hier oder bald Riccardo Patrese als den Fahrer mit den meisten Grand-Prix-Rennen auf dem Buckel ablösen wird, ist eindeutig - die 256 Rennen des Italieners sind als absoluter Rekord dem Untergang geweiht.

Angesichts der unterschiedlichen Zählweisen und mangels offizieller F1-Statistik sprach Barrichellos Honda-Team ein Machtwort und erklärte: "Für uns findet der Rekord in Istanbul statt." So prangt also die magische Zahl 257 auf seinem Auto, auf seinem Helm, leuchtet auch in Gold von seiner privaten Website. Was dem neuen Champion in Sachen Formel-1-Ausdauer gar nicht so unrecht ist: "Das ist ein relativ früher Zeitpunkt, so kann ich dann die nächsten Rennen auch noch ein bisschen feiern, das ist gut. Wir Brasilianer machen das eben so..." Wenn es schon sonst nicht viel zu feiern gibt für den "Mitfahrer" Barrichello - dann muss man eben wenigstens aus der Nummer 257 die große Nummer machen...

Rubens Barrichello began seine F1-Karriere 1993 bei Jordan., Foto: Sutton
Rubens Barrichello began seine F1-Karriere 1993 bei Jordan., Foto: Sutton

Wobei "wir Brasilianer" ein gutes Stichwort ist für den bald 36-Jährigen, der in vielem sicher ein typischerer Brasilianer ist als seine wesentlich erfolgreicheren Landsleute in der Formel 1, als ein Nelson Piquet, ein Emerson Fittipaldi, vor allem als ein Ayrton Senna, der immer das große Idol schon des kleinen Rubinho war, der ganz in der Nähe der Rennstrecke von Interlagos aufwuchs. "1979, mit sieben Jahren, habe ich da ein Kartrennen gesehen, dass Ayrton gewonnen hat... Ich hatte gerade selbst ein Kart bekommen und war so unglaublich beeindruckt von ihm, dass ich von da an auch Rennfahrer werden wollte."

Zum großen Drama des Rubens Barrichello gehört, dass ausgerechnet er dann in Brasilien nach Sennas Tod 1994 in die viel zu großen Fußstapfen des dreimaligen Weltmeisters "gedrängt wurde", wie er selbst sagt, "sich selbst drängte", wie brasilianische Medien damals und heute gern behaupten - und daraus auch die Rechtfertigung ableiteten, ihn bei ausbleibenden Erfolgen ziemlich lächerlich zu machen. "Das waren immer nur die Medien, von den Fans habe ich solche Reaktionen nie bekommen", rechtfertigt er sich heute, "ich bin damals auch missverstanden worden, ich habe nur gesagt, dass ich auch so gerne für Brasilien gewinnen möchte, dass ich den Menschen auch diese Freude schenken möchte. Aber ich habe mich nie als Senna-Nachfolger gesehen, so anmaßend wäre ich nie gewesen..."

Der große Siegertyp war er freilich nie, "irgendwie hat er da eben auch nicht dieses Durchsetzungsvermögen, diesen Biss, da ist er eher der typische Brasilianer, der sich zurücklehnt und sich mit dem Erreichten zufrieden gibt", sagen Landsleute, die seine Karriere von Anfang an begleitet haben. Aber sie betonen durchaus auch die andere Seite: "Wenn jemand so lange in der Formel 1 bleibt, vielleicht auch ohne den ganz großen Erfolg, dann zeigt das doch auch, wie sehr er den Sport liebt, auch über schwierige Zeiten hinweg - insofern ist er in dieser Hinsicht schon ein Vorbild für junge Fahrer", sagt etwa GP2-Spitzenreiter Bruno Senna, der ihn gut und lange kennt.

Tatsächlich scheint es, als habe sich der Familienmensch Barrichello, der seinen großen Tag in Istanbul mit Eltern, Schwester, Frau und den beiden Söhnen Eduardo und Fernando feiert, auch sein eigenes kleines Familien-Biotop in der Formel 1 geschaffen hat, in dem er sich sehr wohl fühlt, das er am liebsten nicht mehr verlassen würde.

Barrichellos 257. Grand Prix macht ihn zum Rekordteilnehmer., Foto: Sutton
Barrichellos 257. Grand Prix macht ihn zum Rekordteilnehmer., Foto: Sutton

Dass er sich in den Jahren 2000 bis 2005 bei Ferrari, in denen er immerhin neun GP's gewann, so lange damit abfand, hinter Michael Schumacher die zweite Geige zu spielen, ärgert ihn heute, sagt er: "Da ist neben dem Offensichtlichen noch vieles passiert, von dem man nach außen nichts mitbekam. Gleiche Chancen hatte ich nie", beklagt er sich. Aber erst in den USA 2005, als er absichtlich langsam fahren musste, "damit Schumacher mich überholen konnte", sei ihm der Kragen geplatzt und er habe entschieden, von den Roten wegzugehen. "Das hätte ich zwei, drei Jahre früher tun sollen..." Aber mehr als Dabeisein ist halt trotz solider Leistungen bei Honda nicht drin, auch wenn Barrichello selbst "sehr stolz darauf" ist, heute seiner Ansicht nach "besser denn je" zu sein.

Was er ihm wirklich bringt, ist die andere Frage. "Sein Rekord ist wirklich spektakulär, das ist etwas ganz Tolles, was er da erreicht hat", sagt der zweimalige Weltmeister Emerson Fittipaldi - aber auch er geht nicht auf die Erfolge oder Nicht-Erfolge seines Landsmanns in dessen fast 16 Formel-1-Jahren ein. Und er gibt auch indirekt einen Hinweis darauf, dass dessen weitere Zukunft nach 2008 nicht unbedingt weiter in der Formel 1 liegen könnte: "Rubens hat mich vor zwei Wochen mal angerufen und mich gefragt, wie denn meine letzten Jahre in den USA, in der Indycar-Serie, gewesen sind..."