Die Experten rätselten am Sonntag Abend in Shanghai noch lange: Warum nur hat McLaren-Mercedes Lewis Hamilton nicht rechtzeitig zum Boxenstopp hereingeholt, warum hat man so hoch gepokert - und am Ende dann so ziemlich alles verloren und sich selbst statt zum großen Sieger auch noch zum Gespött der Formel-1-Welt gemacht?

Endstation Kiesbett. Plötzlich war Schluss., Foto: Sutton
Endstation Kiesbett. Plötzlich war Schluss., Foto: Sutton

Eine Antwort mag in dem Satz von Ron Dennis verborgen sein, der auch aus anderen Gründen viele Diskussionen auslöste: "Kimi war nicht das Problem, wir sind in erster Linie gegen Fernando gefahren", sagte der McLaren-Teamchef und wenn der schon den eigenen Fahrer zum Hauptgegner von Lewis Hamilton erklärt, dann müssen ja die Fragen nach der immer so betonten Gleichberechtigung beider Fahrer hoch kochen. Da brauchte Fernando Alonso dann gar nicht mehr mit neuen eigenen Zweifeln oder eigener Kritik nachzuhelfen. Die hatte er ja schon nach dem Qualifying geäußert - mehr als deutlich sogar.

Woraufhin ihn nicht wenige schon wieder als "Dauermeckerer" abstempelten. Aber dass er mit einer Spritmenge für drei Runden mehr als Hamilton keine Chance hatte, um die Pole-Position mitzukämpfen und bei der Stärke der Ferrari klar sein musste, dass da Rang vier drohte, lässt sich kaum abstreiten. Ob dann auch noch tatsächlich der Reifendruck nicht stimmte, ob das, wenn überhaupt, aus Versehen passiert war, wie es nun mal in der Formel 1 öfters vorkommt, oder mit Hintergedanken, das kann dabei völlig dahin gestellt bleiben.

Braucht McLaren Alonso für den Titel?, Foto: Sutton
Braucht McLaren Alonso für den Titel?, Foto: Sutton

Sicher, wie so oft hat der Dennis-Spruch, aus dem Rennenglisch ins Deutsche übertragen, einen etwas anderen, noch härteren Klang: "We were basically racing Alonso" hatte der McLaren-Chef wörtlich gesagt, wohlwollend könnte man das auch sinngemäß mit "wir haben unser Rennen hauptsächlich auf Alonso ausgerichtet" wiedergeben. Aber eines stimmt offensichtlich schon: Bei den Silbernen hatte man das Hauptaugenmerk in Shanghai darauf gerichtet, auf jeden Fall hier schon den Titel für Hamilton endgültig unter Dach und Fach zu bringen, und nicht darauf, erst einmal sicherzustellen, dass auf jeden Fall einer der beiden McLaren-Mercedes-Piloten Weltmeister wird. Denn dafür hätte es auch gereicht, Hamilton auf dem vierten oder fünften Platz ins Ziel zu bringen - und das wäre der Brite auch mit einem zusätzlichen Sicherheitsboxenstopp geworden. Räikkönen wäre dann - Sieg hin oder her - aus dem Spiel gewesen, die Entscheidung in Brasilien hätte nur noch zwischen Hamilton und Alonso fallen können. Aber irgendwie schien man den Finnen in dem ganzen Spiel - im Vertrauen auf die eigene und Hamiltons Stärke ein bisschen überheblich - völlig außer Acht gelassen zu haben.

Jetzt könnte der Schuss aber prompt nach hinten losgehen: Denn jetzt bleibt McLaren-Mercedes beim Finale nichts anderes übrig, als auch auf Räikkönen aufzupassen. Und so stark, wie der Finne und Ferrari sich zuletzt auf Kursen mit einer Charakteristik wie Interlagos präsentierten, ist der dort möglicherweise Siegkandidat Nummer 1. Dann braucht es bloß noch ein bisschen Chaos oder ein kleines technisches Problem bei Hamilton und die Silbertruppe würde sich plötzlich in der für sie fatalen Lage wieder finden, doch alle Karten auf den ungeliebten Alonso setzen zu müssen, will man nicht auch noch den Fahrertitel an die italienische Konkurrenz verlieren.

Die Fans stehen zu Ron und McLaren., Foto: Sutton
Die Fans stehen zu Ron und McLaren., Foto: Sutton

Sollte der Spanier dann für 2008 auch noch tatsächlich als Weltmeister zu Ferrari wechseln - was noch immer keine völlig unwahrscheinliche Option ist - dann wäre das für ihn zwar die Genugtuung schlechthin und zumindest innerlich der größte Triumph überhaupt, für Dennis, Haug und Co aber zumindest ein annähernder GAU. Zu toppen nur noch von dem Szenario, dass sich die beiden Silberpfeil-Piloten im letzten Rennen gegenseitig von der Strecke räumen und sie Räikkönen dann den Titel quasi auf dem Silbertablett servieren. Das allgemeine Gelächter weltweit würde dann das vom Shanghai-Wochenende mit Sicherheit noch deutlich überbieten...

Wobei die blanke Statistik übrigens für Alonso spricht: In den acht WM-Finals seit 1950, in denen im letzten Rennen noch drei Fahrer um den Titel kämpften, gewann am Ende viermal der, der als Zweiter ins letzte Rennen ging, nur dreimal der vor dem Finale Führende. Auch beim letzten Ereignis dieser Art lachte am Ende der Zweite: 1986 in Adelaide, als dem klaren Favoriten Nigel Mansell der Reifen platzte und Alain Prost als Zweiter im Rennen hinter Nelson Piquet, dem dieser Sieg auch nicht mehr nützte, den Titel abstaubte.