Was sind schon ein paar Punkte in Flensburg gegen ein gewonnenes Ampelduell in einer 50er-Zone? Was ist ein Ausritt ins Kiesbett schon im Gegensatz zur Aussicht, mit einem gekonnten Bremsmanöver den Vordermann richtig alt aussehen zu lassen? Es ist das Salz in der Suppe eines jeden Autorennens, der Urinstinkt eines jeden Mannes; anders formuliert: Überholen ist das Größte...nur leider passiert es in der Königsklasse des Motorsports viel zu selten. Wenn dann aber trotzdem dass Unvorstellbare eintrifft, dann bebt das Publikum vor Verzückung. Doch das ist nichts im Gegensatz zu dem, was ein solches Manöver bei der ausführenden Person hinterlässt, wie ein Blick auf vier Deutsche und einen Österreicher in Melbourne gleich beweisen wird.

Der stolzeste Mann im Fahrerlager war heute Nick Heidfeld. Was war passiert? Hatte er das Podium erreicht, oder gar das Rennen gewonnen? Nix da, viel besser: Am scheinbar übermächtigen McLaren Mercedes des Weltmeisters höchstselbst hatte er sich vorbei auf Platz vier gequetscht. Und schon waren Euphorieausbrüche erster Güte aus dem Munde des nicht gerade als gefühlsduseligen Mönchengladbachers zu vernehmen. "Es war geil; hat richtig Spaß gemacht. Es war ja nicht das erste Mal, dass ich Fernando überholt habe, ich bin in Monaco schon einmal an ihm vorgeschlüpft."

Ein erfolgreiches Überholmanöver belohnt einen häufig gleich doppelt mit der Erinnerung an ein anderes. "Das war schon schön, aber das heute war einer der schönsten Momente, die ich in einem F1-Auto erlebt habe", schwelgte Heidfeld. Nur zur Einordnung: Wir reden hier nicht von einem Grand Prix Sieg oder einem Podiumsplatz als Karrierehöhepunkt, sondern von einem Überholvorgang. Doch was ist schon ein langweiliger Start-Ziel-Sieg gegen ein Schnippchen gegen den Weltmeister?

Nick Heidfeld hat sich seinen Platz an der Sonne mit nur einem Manöver verdient. Ganz im Gegensatz zu den beiden Williams-Piloten Alexander Wurz und Nico Rosberg. Im engen Mittelfeld waren sie in ständige Positionskämpfe verwickelt. Doch fehlender Grip auf der Hinterachse verhinderte schöne Momente. Was das für Frustrationen auslöst, zeigt das Beispiel Alexander Wurz. "Wir hätten attackieren können. Das Auto hat den Speed, nur wenn man aus den Kurven heraus ständig hinten rutscht, dann geht's nicht. Wir hatten keine Traktion und dann kann man nicht überholen."

Schlussendlich führte dies sogar zur totalen Resignation des Österreichers, der gestern noch ankündigte, im Rennen die Brechstange herauszuholen: "Am Schluss habe ich dann gesagt: 'Burschen, jetzt lasst den Nico fahren. Ich attackiere ihn nicht, vielleicht schafft er es ja noch, in die Punkte zu kommen.' Mein Auto war schlecht, seines sah aber etwas besser aus und da habe ich einfach für das Team gespielt." Wenn nicht überholt werden kann, opfert sich selbst die egoistische Rennfahrerseele für die eigene Mannschaft.

Blöd nur, wenn dies auch der Mannschaftskamerad nicht so wirklich zu nutzen weiß, wobei man Nico Rosberg nun wirklich nicht vorwerfen kann, nicht alles versucht zu haben. Das führte dummerweise nur dazu, dass man den Eindruck hatte, der Deutsche befände sich bei seinen zahlreichen Überholversuchen häufiger abseits als auf der Strecke. "Viel Licht habe ich nicht gesehen, muss ich sagen. Generell war es ein schwieriges Rennen, besonders beim Überholen", merkte er scharfsinnig und wusste gleichzeitig, wo sich der Quell der Dunkelheit verbarg. "Wenn man hier überholen will und kommt dabei in den Sand, dann dauert es eine Runde oder eineinhalb, bis die Reifen wieder sauber sind. Das hat mich zunächst wirklich überrascht und es dann auch sehr schwer gemacht." Letztendlich stand für die Williams-Piloten also viel Motorengeheul zu Buche, ansonsten landeten sie jedoch mit Platz 10 (Rosberg) und 11 (Wurz) genau da, wo sie das Rennen begonnen hatten.

Ralf Schumacher wurde sogar von seinem eigenen Schatten überholt..., Foto: Sutton
Ralf Schumacher wurde sogar von seinem eigenen Schatten überholt..., Foto: Sutton

Noch viel schlimmer kam es allerdings für Ralf Schumacher. Schon am Start musste er sich gleich von vier Autos überholen lassen, anstatt selbst Akzente zu setzen. Und auch in der Folge konnte er sich kaum durch gewagte Manöver am Lenkrad seines Toyotas auszeichnen, so dass am Ende nur ein zwölfter Platz heraussprang. Auch seine Erklärung dafür, riss niemanden vom Hocker. "Wenn du ein nicht perfekt abgestimmtes Auto hast, dann ist es schwierig Boden gut zu machen." Zu dumm nur, dass ausgerechnet Teamkollege Jarno Trulli mit dem gleichen Auto den Renaults und Williams dieser Welt das Fürchten lehrte. "Es war kein guter Tag, aber wir können es nicht ändern, sah dann auch Schumacher, fast schon ein wenig fatalistisch, ein."

Eine Ausnahmeerscheinung unter den vier deutschen und dem einen österreichischen Piloten ist Adrian Sutil. Schließlich fährt der Jungspund in einem unterlegenen Spyker der Konkurrenz hinterher. Wenn dann noch eine Verwicklung in einen Startunfall hinzukommt, dann hat man schnell mal zwei Runden Rückstand und fährt nur noch ein Rennen gegen sich selbst. Da fällt Überholen nicht nur schwer, es ist de facto unmöglich. In so einer hoffnungslosen Situation sucht man sich notgedrungen andere Herausforderungen. "Am Ende konnte ich wenigstens das Rennen durchfahren. Ich habe fast eine ganze Runde auf Christijan Albers aufgeholt. So gesehen war es schon ganz erfolgreich", fand Sutil, wohlwissend, dass sich Geduld auszahlt. Nick Heidfeld hat schließlich auch in einem Prost angefangen.