"Am 15. September 2001 war ich tot. Mein Herz hatte dreimal aufgehört zu schlagen." Siebeneinhalb Stunden kämpften die Ärzte im Klinikum Berlin-Marzahn um das Leben von Alex Zanardi.

Vier Tage nach den Terroranschlägen auf das World Trade Centre in New York City verunglückte der italienische Rennfahrer beim ersten Champ Car Rennen auf deutschem Boden auf dem Lausitzring. 13 Runden vor Rennende hatte sich Zanardis Auto aus der Boxengassenausfahrt auf die Rennstrecke gedreht und war dort von seinem Kollegen Alex Tagliani mit voller Wucht seitlich gerammt worden. Zanardi verlor bei diesem Horrorunfall beide Beine und musste in seinen anderthalb Monaten Krankenhausaufenthalt 14 weitere Operationen über sich ergehen lassen.

Legendär: Alex Zanardis The Pass., Foto: Sutton
Legendär: Alex Zanardis The Pass., Foto: Sutton

"Am 15. September bin ich gestorben und wurde wiedergeboren", schreibt der zweifache Indycar-Meister in seiner zusammen mit dem italienischen Journalisten Gianluca Gasparini verfassten Autobiographie 'My sweetest victory - A Memoir of Racing Success, Adversity, and Courage'.

Der Unfall und die folgenden Monate der Rehabilitation stellen darin aber nur einen Teil der Lebensgeschichte des Alessandro Zanardi dar. Vielmehr besteht das Werk aus Erinnerungen an seine Kindheit, Streiche aus seiner Jugend und Anekdoten über seine Eltern, Freunde und Familie.

Dies ist aber so gewollt: Zanardi war weder mit der Vorgabe an das Buch herangegangen, nur über den Crash und dessen Folgen zu schreiben. Noch wollte er ein Buch voller für Normalsterbliche unverständlicher technischer Begriffe.

Wer also ein Buch über die perfekte Abstimmung eines Rennautos oder die Funktionsweise von Turboladern sucht, der sollte sich anderweitig nach passender Literatur umsehen. Etwa nach Steve Matchetts 'The Chariot Makers', in dem der Ex-Benetton-Mechaniker in einfachen Worten den Aufbau eines modernen Formel 1-Autos illustriert.

Nichtsdestotrotz kommen Beschreibungen der wichtigsten Rennszenen in 'My sweetest victory' nicht zu kurz. Vor allem im ersten Teil des Buches, bis zu Zanardis F1-Einstieg, stehen jedoch seine unbeschwerte Jugend und der schwierige Start in seine Motorsportkarriere im Vordergrund.

Dabei verblüfft Zanardi durch sein beinahe unbegrenztes Erinnerungsvermögen: Selbst die kleinsten Details und die längsten Dialoge kann er scheinbar mühelos aus seinem Gedächtnis rezitieren und bringt sie unter der Mithilfe von Gasparini in einfühlsamen Worten zu Papier.

Er holte seinen süßesten Sieg abseits der Pisten., Foto: Sutton
Er holte seinen süßesten Sieg abseits der Pisten., Foto: Sutton

Als besonders wichtig erweisen sich für den Familienmenschen Alex Zanardi die Beziehungen zu seinen Eltern, seiner Frau Daniela und seinem Sohn Niccolò sowie seinen besten Freunden Titano, Filippo und Teamkollege Jimmy Vasser. Dank ihrer Hilfe und seiner unbändigen Willenskraft schaffte er es jegliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen und alle Aufgaben zu meistern.

In den Anfängen seiner Karriere musste Zanardi nicht nur gegen die Gegner auf der Strecke kämpfen, sondern auch gegen den für talentierte Nachwuchsrennfahrer nicht unüblichen Budgetmangel. Später erlebte er im Laufe seiner durch viele Höhen und Tiefen geprägten Formel-Karriere die gesamte Palette an motorsportlichen Widrigkeiten. Von den politischen Spielchen hinter den Kulissen der Formel 1 über die Schwierigkeiten sich selbst zu managen bis hin zum Neid einiger Konkurrenten auf seine unnachahmliche Erfolgsserie in der amerikanischen Indy-Car Serie.

Alex Zanardi hat all das überstanden und einen der schlimmsten Unfälle der modernen Motorsportgeschichte überlebt. Er weinte seinen Beinen und seinem alten Leben nie eine Träne nach und stürzte sich in ein neues Abenteuer. Als Rennsportlegende Mario Andretti ihn nach dem Unfall anrief, fragte ihn Zanardi mit seinem für ihn typischen schelmischen Grinsen: "Ich bestelle mir gerade neue Beine - wie groß soll ich diesmal sein?"

Alex Zanardi sieht sich nicht als Superman, der ein magisches Wunder vollbracht hat. Er sieht sich als Optimist, der glücklich genug war, ein wundervolles Leben zu genießen und dieses immer noch mit seiner Familie weiterleben darf. Er möchte all jenen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben, Mut zusprechen und ihnen die Kraft geben ihre Ängste zu überwinden. Seine Geschichte dient als Vorbild und Motivation.

Denn Alex hat sich seinen größten Wunsch aus dem Krankenhausbett von Berlin erfüllt: Dank seiner Prothesen kann er seinen Sohn wieder auf den Schultern tragen. Erreicht hat er das unter anderem, weil ihn sein verstorbener Vater einst lehrte, niemals aufzugeben - egal ob auf der Rennstrecke oder im Privatleben.

19 Monate nach seinem folgenschweren Unfall, kehrte Alex Zanardi auf den Lausitzring zurück und beendete in einem modifizierten Rennauto die fehlenden 13 Runden der German500 von 2001. "Vielleicht habe ich das nur gemacht, weil ich einen guten Schluss für mein Buch brauchte", scherzt Zanardi in seinem typischen Humor in den Schlusszeilen seines Buches.

Zwei Jahre nach der Veröffentlichung verbuchte Alex Zanardi einen weiteren 'süßen Triumph'. In seinem zweiten 'Motorsport-Frühling' gewann er in Oschersleben sein erstes Rennen in der Tourenwagenweltmeisterschaft - ausgerechnet auf deutschem Boden. Am vergangenen Wochenende schloss sich dann der Kreis: Zanardi kehrte für einige Runden in einen Formel 1-Boliden des BMW Sauber Teams zurück. Einer seiner süßesten Triumphe.