Michael Schumacher will von Psychologie im WM-Endkampf nichts wissen, "die findet auf der Strecke statt, wer schneller ist, ist dem anderen überlegen." Sein in der WM noch mit zwei Punkten Vorsprung führender Rivale Fernando Alonso macht in Shanghai auch ganz auf cool: "Was vorbei ist, ist vorbei, abgehakt. Die Ereignisse der letzten Wochen, der Frust, die Enttäuschungen, das beeinflusst mich überhaupt nicht, wenn ich ins Auto steige. Da bin ich ganz entspannt und voll darauf konzentriert, aus den letzten drei Rennen das Beste zu machen, natürlich möglichst zu gewinnen."

Für den Moment des Fahrens mag das stimmen, vielleicht auch für den gegenwärtigen Alltag - aber ein Blick in die diesmal nicht hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckten Augen des Spaniers verrät mehr als seine Worte. Er macht klar, dass es tief in ihm anders aussieht. Innen drin, da brodelt es immer noch, da ist die zumindest gefühlte, nach Ansicht nicht weniger Experten auch tatsächliche Ungerechtigkeit noch der Strafe von Monza, der Zurückversetzung auf den zehnten Startplatz wegen einer angeblichen Behinderung des Ferrari-Piloten Felipe Massa, noch nicht abgehakt, genauso wenig wie das umstrittene Verbot der Schwingungsdämpfer am Renault mitten in der Saison, das das Team weit zurückwarf : "Das, was da passiert ist, gehört zu meinem Leben, zu meiner Erinnerung, es wird mich immer begleiten - wie viele andere Erfahrungen auch, die ich seit meiner Kartzeit in 20 Jahren Rennsport gemacht habe."

Und er betont auch, dass er zu seiner Aussage, die Formel 1 sei kein Sport mehr, stehe. "Ich habe das gesagt, weil es meine Meinung ist. Und die ändere ich nicht von einer Woche auf die andere. In der Formel 1 passieren einfach Dinge, die in anderen Motorsport-Kategorien nicht passieren." Wenn kein Sport, was dann? "Eine große Show, in der das Fernsehen, die Sponsoren und alles mögliche eine große Rolle spielt - und wir Fahrer sind ein Teil davon."

Monza ist vergessen - oder doch nicht?, Foto: Sutton
Monza ist vergessen - oder doch nicht?, Foto: Sutton

Wenn er das heute sagt, dann klingt das zumindest schon wieder sehr kontrolliert sehr beherrscht, nicht mehr ganz so aufgewühlt, den Tränen nahe, wie noch am Sonntag in Monza. Dort speziell fühlten sich viele lang gediente Formel-1-Beobachter an alte Zeiten erinnert, an 1989, an eine ganz spezielle Pressekonferenz damals im November in Australien, vor dem letzten WM-Lauf, als Ayrton Senna vor versammelter Weltpresse unter Tränen sein Herz ausschüttete, seine grenzenlose Enttäuschung, fast Verzweiflung... Damals ging es um die vom damaligen FIA-Präsidenten Jean-Marie Balestre initiierte Disqualifikation Sennas in Suzuka, wegen Auslassens der Schikane, eine sehr umstrittene Entscheidung, die den Brasilianer nicht nur einen Sieg kostete, sondern am Ende auch Balestres französischen Landsmann Alain Prost zum Weltmeister machte.

Da stand einer, der das Gefühl hatte, nicht nur gegen einen Gegner auf der Strecke, sondern gegen Windmühlenflügel, gegen höhere Mächte, irgendwie gegen die ganze Welt zu kämpfen - wie jetzt, 2006, Fernando Alonso. Einer, der nach außen bis dahin immer als kühl, kontrolliert und eher emotionslos galt - und im Inneren aber gerade von seinen Emotionen und einem extremen Gerechtigkeitssinn getrieben wurde - auch das stimmt zumindest in großem Maße auch für Alonso.

Senna verlor in jenem Jahr zwar die Weltmeisterschaft an Alain Prost, gewann aber weltweit an Ansehen, Glaubwürdigkeit und Sympathien. Mit der gleichen Mischung aus Verlieren und Gewinnen will sich Alonso noch nicht abfinden, er will den Titel und sonst nichts. Sein Cheftechniker Pat Symonds, der ja pikanterweise 1994 und 1995 Michael Schumacher zum WM-Titel führte, glaubt dabei, "dass er das auch schaffen wird. Denn Fernando ist mental stärker, kann mit dem Druck besser umgehen als Michael." Eine Aussage, die wiederum Schumacher "nicht enttäuscht, höchstens überrascht. Aber er muss das ja in dieser Situation wohl sagen." Von wegen, die Psychologie finde nur auf der Strecke statt...