Immer wieder Charles Leclerc! Auf eine Runde wirkt der Ferrari-Pilot derzeit fast schon unbesiegbar. In Baku qualifizierte sich der Monegasse zum bereits vierten Mal in Folge auf der ersten Startposition. Damit gehen in der Formel-1-Saison 2022 bereits sechs von acht Poles auf sein Konto. Doch die Rennausbeute seiner jüngsten Pole-Serie ist bislang frustrierend. Bei den letzten drei Rennen zählte Leclerc aus unterschiedlichen Gründen zu den Verlieren, während jeweils ein Red-Bull-Fahrer 25 Punkte für den Rennsieg einsackte. Droht ihm in Aserbaidschan ein ähnliches Schicksal? Alle News zur Formel 1 heute in Baku gibt es im Liveticker.

Die Zeichen deuten nicht unbedingt auf einen Start-Ziel-Sieg des Ferrari-Teamleaders hin. Die Scuderia überzeugte in den Trainings zwar mit schnellen Zeiten auf eine Runde, was die Longruns anging hatte aber Red Bull im FP2 am Freitagnachmittag die Nase vorne, wenn auch nicht allzu deutlich.

Verstappen und Perez in Lauerstellung

Diese Daten spiegeln sich auch im bisherigen Saisontrend wider: Der Ferrari F1-75 ist im Qualifying eine Macht, Red Bull dagegen im Rennen. Auch im Ausblick auf den Aserbaidschan-GP sind sich die beiden Lager einig, dass der RB18 auf das Rennen abgestimmt sei. Red-Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko summierte am Freitag: "Auf dem Longrun scheinen wir einen Tick schneller zu sein".

Auch Ferrari-Sportdirektor Laurent Mekies befand im Interview bei SkyF1 am Samstag, dass er von Red Bull im Rennen deutlich mehr erwartet, als sie im Qualifying zeigen konnten. "Wir wissen, dass unsere engsten Rivalen im Renntrim schneller sind als im Qualifying", erklärte er. Im TV-Interview bei SkyF1 ging er sogar einen Schritt weiter und sagte: "Wir erwarten, dass Red Bull möglicherweise ein bisschen stärker ist".

Topspeed Vorteil für Red Bull

Vor allem ein Faktor spricht für die Bullen: Der Topspeed. "Sie sind uns überlegen, wenn es um den Speed auf der Geraden geht", gibt Mekies zu. Der Highspeed-Vorteil hält sich aber verglichen mit anderen Grands Prix in diesem Jahr in Grenzen. Nach einem Heckflügel-Upgrade vor FP2 konnte Ferrari den Geschwindigkeits-Rückstand auf die Bullen auf etwa fünf bis sechs Km/h reduzieren, zuvor verloren die Ferraris über zehn Km/h.

Marko meinte dazu: "Ferrari hat einen kleineren Flügel. Wir sind nicht mehr so überlegen, aber trotzdem besser". In der zwei Kilometer langen Vollgas-Passage zwischen Kurve 16 und Kurve 1 ist aber auch dieser etwas verkleinerte Geschwindigkeits-Vorsprung ein klarer Vorteil, vor allem wenn man - wie voraussichtlich die beiden Red-Bull-Fahrer - als Verfolger unterwegs ist und einen Weg an Leclerc vorbei finden muss.

Damit wären wir bereits beim zweiten Faktor, der die strategische Schlagseite des GPs maßgeblich beeinflussen könnte. Nämlich die Hackordnung nach dem Start. Wenn man den bisherigen Wochenend-Verlauf als Messwert nimmt, läuft das Rennen in Baku auf einen Dreikampf zwischen Leclerc und den Red Bulls hinaus.

Der Faktor Sainz

Carlos Sainz konnte zwar im ersten Run von Q3 aufzeigen, spielte am restlichen Wochenende aber hinter den Top 3 nur die vierte Geige. Sainz beklagte sich am Freitag über das Bouncing an seinem Boliden, welches offenkundig stärker ausgeprägt war, als bei Leclerc. Das damit einhergehende fehlende Vertrauen konnte Sainz erst am Qualifying-Tag langsam aufholen. Sein Fahrfehler in der entscheidenden Phase der Qualifikation lässt sich wohl teils auch dadurch erklären.

Die Frage könnte also sein: Wie viel Unterstützung kann Sainz seinem Teamkollegen anbieten? Marko hielt fest: "Sainz kommt nicht ganz mit Leclerc mit und das wird auch zu einer taktischen Entscheidung führen". Im Alleingang wird es für Charles Leclerc schwierig sein, sich gegen beide Red-Bull-Piloten zu behaupten. Falls die Prognosen zutreffen und der RB18 im Rennen tatsächlich dem Ferrari mindestens ebenbürtig ist, ergeben sich im Kampf 2 gegen 1 beinahe automatisch strategische Möglichkeiten.

Was machen die Reifen?

In der Theorie ist die Strategie beim Aserbaidschan-GP durchaus simpel. Eine 1-Stopp-Strategie ist laut Pirelli die beste Taktik und erwies sich auch in der Vergangenheit als plausibelste Variante. Aber die extrem heißen Streckentemperaturen von bis zu 50 Grad, welche für das Rennen prognostiziert werden, verlangen von den Fahrern intensives Reifenmanagement.

In Kombination mit der relativ überholfreundlichen Streckenführung könnte sich das schwarze Gold als rennentscheidender Faktor erweisen. Dass Pirelli die weichsten Mischungen ans Kaspische Meer gebracht hat, macht es den Piloten nicht einfacher, ihre Gummis ins richtige Temperaturfenster zu bekommen und dort zu halten. "Es wird davon abhängen, welche Teams und Fahrer in der Lage sind ihre Reifen unter diesen schwierigen Bedingungen zum Arbeiten zu bekommen", betonte Ferrari-Mann Mekies.

Der letzte Faktor und somit die große Unbekannte sind aber Safety Cars, Unfälle und Unterbrechungen, die den Rennverlauf prägend beeinflussen können. Mehrmals gab es in den vergangenen Jahren chaotische GPs von Aserbaidschan - 2021 fiel die Entscheidung etwa in einem zweiründigen Sprint. Dementsprechend anpassungsfähig müssen die Teams auch ihre Strategien aufstellen.

Fazit: Ferrari und Red Bull sind in Baku auf nahezu einem Level unterwegs und das mit großem Abstand zum Rest der Formel-1-Welt. Das Zauberwort lautet: Reifenmanagement. Wer in der Lage ist, auf dem heißen Straßenasphalt von Baku seine Reifen länger zu konservieren, hält alle Trümpfe in der Hand - zumindest, wenn der GP in geregelten Bahnen verläuft. Sollte aber wieder ein turbulenter Rennverlauf vom Zaun brechen, bietet Baku das Potenzial für große Überraschungen. Nicht umsonst gab es bei fünf bisherigen Formel-1-Rennen in Baku fünf verschiedene Sieger.