Das tragische Wochenende des Grand Prix von San Marino 1994 jährt sich 2017 zum 23. Mal. Die Geschichten der gefallenen Formel-1-Helden Ayrton Senna und Roland Ratzenberger wurden seitdem intensiv aufgearbeitet. In erster Linie waren es Familie und Freunde, die von ihren Erinnerungen an die Unfälle berichteten. Doch zu den engsten Bezugspersonen an der Strecke zählen bei jedem Rennfahrer auch immer die Team-Mitglieder oder der Teamkollege. In einer Reportage von Sky Sports UK sprachen Damon Hill und David Brabham über ihre Erinnerungen an die tragischen Ereignisse von Imola und die Männer, die mit ihnen und gegen sie auf der anderen Seite der Garage kämpften.

Während es 1994 für Ayrton Senna und Damon Hill in der Williams-Box um den WM-Kampf und die neue Herausforderung in Form von Benetton Ford und Michael Schumacher ging, drehte sich bei Simtek alles darum, einen der auf 26 Stück begrenzten Startplätze zu ergattern und in der Königsklasse Fuß zu fassen. "Wir waren ein kleines Team und wir kamen sehr gut miteinander aus. Aber ehrlich gesagt ging es für uns um alles. Wir versuchten zu überleben und wir mussten alleine deshalb als Mannschaft zusammenarbeiten. Wir wussten, dass wir es sonst nicht schaffen würden", erinnert sich Ratzenbergers Teamkollege David Brabham an die Atmosphäre im Newcomer-Team zurück.

Der Australier, seines Zeichens Sohn des dreimaligen Weltmeisters Jack Brabham, nahm 1994 zum zweiten Mal Anlauf in der Formel 1, nachdem er 1990 im ehemaligen Rennstall seines Vaters gescheitert war. Neben ihm ging der fünf Jahre ältere Ratzenberger erstmals in der Königsklasse an den Start - ohne Weltmeister-Vater und nur mit seinem Ehrgeiz und seiner Leidenschaft für den Sport bewaffnet. "Eines woran ich mich bei Roland erinnere, ist sein Lächeln. Er war so glücklich, in der Formel 1 im Grid zu stehen", so Brabham über seinen damals 33-jährigen Rookie-Teamkollegen.

Simtek debütierte 1994 mit David Brabham und Roland Ratzenberger in der Formel 1, Foto: Sutton
Simtek debütierte 1994 mit David Brabham und Roland Ratzenberger in der Formel 1, Foto: Sutton

Brabham: Roland hatte seinen Platz in der Formel 1 verdient

Ratzenberger hatte in der Tat einen beschwerlichen Weg hinter sich - der ihn schlussendlich über die Formel Ford, Tourenwageneinsätze für BMW sowie Sportwagenrennen für Toyota und die japanische Formel 3000 trotz aller Widerstände in die Formel 1 geführt hatte. "Das war es, was er immer wollte. Und ich bin mir sicher, dass es Zeiten in seiner Karriere gab, in denen er glaubte, dass dies nie geschehen würde. Er ging nach Japan und kam zurück nach Europa und plötzlich war er hier in der Formel 1. Er verdiente es hier zu sein, denn er war ein sehr guter Pilot", fügt sein Stallgefährte an.

Nachdem Ratzenberger beim Saisonauftakt in Interlagos an der Qualifikation gescheitert war und beim Rennen zusehen musste, hatte er es beim darauffolgenden Lauf in Aida mit seiner Erfahrung von vielen Rennen auf dem Kurs in Japan endlich in die Startaufstellung geschafft. Sein Debüt-Rennen beendete er - wenn auch als Elfter und Letzter in der Wertung mit fünf Runden Rückstand. Vor dem Europa-Auftakt der Formel-1-Saison sah Brabham das Simtek-Team in einer guten Position: "Als wir nach Imola kamen hatten wir ein ziemlich zuverlässiges Auto, was wichtig war. Es war nicht sonderlich schnell, aber zumindest war es standfest genug um zu lernen und zu versuchen, unser Potential voll auszuschöpfen."

Barrichello-Unfall pünktlich zum Qualifying verdrängt

Das dritte Rennwochenende der Saison startete auf dem damals noch als Highspeed-Kurs bekannten Autodromo Enzo e Dino Ferrari jedoch mit einem Knall. Jordan-Pilot Rubens Barrichello war am Freitag im ersten Qualifying mit seinem Boliden in der Variante Bassa von der Strecke abgekommen und nachdem er einen Kerb getroffen hatte in die Reifenstapel geflogen. Der Brasilianer hatte Glück und kam mit einer gebrochenen Nase und einer leichten Armverletzung davon. Der Schock saß im Fahrerlager angesichts der Schwere des Unfalls auch am Folgetag noch tief.

"Die Leuten dachten alle noch an Rubens Unfall. Er war so brutal. Aber andererseits, sobald man sich auf den anstehenden Tag fokussiert hatte und das Qualifying an der Reihe war, spielte das keine Rolle mehr", so Brabham, der am Samstag 20 Minuten nach dem Beginn des zweiten Zeittrainings mit dem wohl schwersten Anblick seiner Karriere konfrontiert wurde: Sein Teamkollege war auf einer schnellen Runde in der ultraschnellen 'Curva Villeneuve' von der Strecke abgekommen und in die Streckenbegrenzung eingeschlagen, nachdem er in der Runde zuvor seinen Frontflügel bei einem Ausritt beschädigt hatte. "Ich ahnte, dass es Roland war, da ich Teile seines Autos auf der Strecke sah", so Brabham.

In Aida fuhr Ratzenberger seinen einzigen Formel-1-Grand-Prix, Foto: Sutton
In Aida fuhr Ratzenberger seinen einzigen Formel-1-Grand-Prix, Foto: Sutton

Teamkollege ahnte, dass Ratzenberger tot war

Dabei war die 'Villeneuve' eigentlich eine Passage, die den Piloten zur damaligen Zeit viel Spaß bereitete. "Diese lange Linkskurve [Tamburello] war eigentlich gar keine Kurve. Du konntest sie nehmen wie du wolltest. Aber danach die Villeneuve-Kurve zu fahren und die Haarnadel [Tosa] anzubremsen, war ein ziemlicher Spaß", erinnert sich Brabham. Angesichts des Unfalls an dieser Stelle war dem Australier jedoch schnell klar, welche Konsequenzen es für Ratzenberger haben würde: "Er schlug bei über 300 km/h so brutal in die Mauer ein. Da gab es eigentlich nur wenig Hoffnung für ihn, um ehrlich zu sein. "

Der Unfallstelle nahe versuchte sich Brabham aus dem Auto heraus ein Bild über den Zustand des Teamkollegen zu machen. Doch was er sah, nahm ihm früh jede Hoffnung: "Als ich an der Unfallstelle vorbeikam hatte ich Gewissheit, dass er es war. Ich schaute in sein Cockpit, weil ich sehen wollte, ob er in Ordnung ist. Aber ich sah, dass er es nicht war. Für mich war es irgendwie klar. Ich wusste einfach, dass er tot war." Wenig später erhielt Brabham die Gewissheit: "Ich war in der Box und stand dort etwas benommen, als jemand kam und bestätigte, dass er verstorben war. Ich wollte einfach nur raus. Es war ein Umfeld, in dem ich nicht mehr sein wollte. Ich wollte wirklich nur noch weg."

Ratzenberger war für den Grand Prix qualifiziert

Während alle Fahrer zu ihren Teams zurückkehrten, brach Ayrton Senna das Regelwerk und machte sich auf den Weg zur Unfallstelle, um sich selbst ein Bild zu machen. Nur 25 Minuten später wurde das Qualifying wieder aufgenommen, während Ratzenberger per Helikopter ins Krankenhaus von nach Maggiore geflogen wurde, wo ihn die Ärzte wenig später für tot erklärten. Dabei wäre er nach Ende des Qualifyings mit seiner Rundenzeit als 26. für sein zweites Formel-1-Rennen qualifiziert gewesen, nachdem Barrichello und Pacific-Pilot Paul Belmondo aus sehr unterschiedlichen Gründen die Qualifikations-Hürde nicht geschafft hatten.

Am Rennsonntag fanden sich trotz der tragischen Ereignisse die übrigen 25 qualifizierten Piloten allesamt in der Startaufstellung ein - auch Ratzenbergers Stallgefährte. "Die Entscheidung das Rennen zu fahren, bereue ich nicht", so Brabham, der sich zuvor nicht sicher war, wie er mit der Lage umgehen sollte: "Ich war mir nicht sicher, weil ich noch nie zuvor in so einer Situation war. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte."

Brabham und Ratzenberger kamen gut miteinander aus, Foto: Sutton
Brabham und Ratzenberger kamen gut miteinander aus, Foto: Sutton

Brabham startete für die Menschen in seinem Team

Sein Team überließ die Entscheidung ganz ihm selbst, sodass er zunächst für das damals am Sonntagvormittag noch angesetzte Warm-Up ins Cockpit stieg. "Wenn ich mich nicht gut dabei gefühlt hätte, hätte ich einfach aufgehört", so Brabham, der nach seiner Rückkehr an die Box jedoch eine Veränderung im Team spürte: "Sie war nicht groß. Aber diese dunkle Wolke, die über jedem im Team hing, hatte sich leicht angehoben. Und ich dachte mir, dass ich für meine Mannschaft fahren muss."

Letztendlich schied Brabham an dem genauso tragischen Rennsonntag, an dem Ayrton Senna tödlich verunglückte, in der 27. Runde nach einem Dreher aus. Für die Zukunft seines Teams, so war er sicher, hatte er mit seiner Rennteilnahme in jedem Fall die richtige Entscheidung getroffen. "Irgendwie mussten wir weitermachen und durften unseren Kampfgeist nicht verlieren. Wir wollten als Team überleben und ins Auto zu steigen war deshalb keine ichbezogene Entscheidung. Ich habe es mehr für das Team gemacht."

Brabham überzeugt: Ratzenberger starb glücklich

David Brabham sollte bei allen 13 der auf San Marino folgenden Rennen jeweils die Qualifikation überstehen und Simtek ins Rennen führen. Nach der Saison 1994 war seine Laufbahn in der Königsklasse jedoch beendet. Simtek nahm das Jahr 1995 zwar noch in Angriff, musste aber nach fünf Rennen für immer die Pforten zusperren. "Das ganze Wochenende war wirklich übel. Letztendlich war es für uns vor allem so, dass wir mit unserem Teamkollegen auch einen Freund verloren hatten - und das F1-Fahrerlager hatte zwei großartige Fahrer verloren", fasst Brabham das schwärzeste Wochenende in der Geschichte des Sports zusammen.

Bei aller Tragik vergaß er allerdings nie, welche Bedeutung die Teilnahme an der Formel 1 für seinen Teamkollegen - wie für einen jeden Piloten, der es in die Königsklasse schafft - hatte: "Wir durften nie sehen, wie großartig Roland hätte sein können. Aber wir wussten alle, dass er es geschafft hatte. Er hatte seinen Traum verwirklicht und er war glücklich. Wahrscheinlich starb er glücklich, denn er saß in einem Grand-Prix-Auto."