Es ist vollbracht. Sebastian Vettel hat den ersten Teil seines Kindheitstraumes realisiert. Seit Anfang 2015 fährt er für Ferrari in der Formel 1. Gleich in seiner ersten Saison eifert Vettel seinem Idol und Freund Michael Schumacher nach, gewinnt bereits in Jahr eins sein erstes Rennen für die Scuderia. Genau wie Schumi vor fast 20 Jahren.

Ein ganz besonderes Erlebnis für Vettel. "Mein Highlight war der erste Sieg", sagt der Neu-Ferraristi nach der letzten Zielflagge der Saison in Abu Dhabi. "In Malaysia ganz oben zu stehen und die deutsche und italienische Hymne zu hören - das war ein Moment, den ich ganz sicher nicht vergessen werde - auch wenn ich schon oft auf dem Podium stand."

Die erste Saison bei Ferrari in Zahlen Schumacher Vettel
Rennen1619
WM-Rang33
WM-Punkte (nach heutigem System)173278
Siege33
Rennen bis zum ersten Sieg72
Podien813
Pole Positions41
Schnellste Runden21
Ausfälle61
Selbst der Siegersprung im roten Anzug sieht bei Vettel und Schumi ähnlich aus, Foto: Motorsport-Magazin.com/Sutton
Selbst der Siegersprung im roten Anzug sieht bei Vettel und Schumi ähnlich aus, Foto: Motorsport-Magazin.com/Sutton

Schumacher, Vettel und jede Menge Ferrari-Parallelen

Noch mehr Parallelen drängen sich auf. Am Ende der ersten Ferrari-Saison stehen sowohl bei Schumacher 1996 als auch bei Vettel 2015 jeweils drei Saisonsiege, jede Menge Podien und Platz drei im WM-Klassement - trotz einer jeweils ernüchternden Ferrari-Durststrecke in den vorherigen Jahren. Umso mehr beeindrucken diese Statistiken.

"Die größte positive Überraschung war, wie sich Sebastian Vettel seit seiner Zeit bei Red Bull entwickelt hat. Er ist fast schon ein Italiener geworden. Er hat das ganze Team, die Fans für sich gewonnen, ist ihnen ins Herz gewachsen. Und auch, wie er mit Kimi zusammengearbeitet hat und wie sie es zusammen mit dem Team geschafft haben, dass das Auto so schnell geworden ist. Die gesamte Entwicklung bei Ferrari ist die größte positive Überraschung für mich", sagt Jacques Villeneuve im großen Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com zum Saisonrückblick.

Kimi Räikkönen als Schlüsselfigur für Sebastian Vettel

Kimi Räikkönen stimmt in ähnlicher Tonlage ein. Nach der Trennung von Fernando Alonso und der Neuverpflichtung von Sebastian Vettel sei es bei Ferrari rasant aufwärts gegangen. "So fühlt es sich zumindest für mich an. Ich denke, das Team ist viel enger zusammengerückt und wir arbeiten besser zusammen. All die Veränderungen nach dem vergangenen Jahr waren richtige Entscheidungen und sind in die richtige Richtung gegangen", sagt Räikkönen zu Motorsport-Magazin.com.

Der Finne spielt für die Leistungen Sebastian Vettels unterdessen selbst eine Schlüsselrolle. "Kimi zu ersetzen, wäre ein Fehler gewesen. Er pusht Sebastian sehr hart und das ist sehr wichtig", begründet Teamchef Maurizio Arrivabene, warum Ferrari den Vertrag mit dem Iceman in der Sommerpause für 2016 verlängerte.

Nicht nur Räikkönen gebührt Ehre für seine Leistungen bei Ferrari und seine Zusammenarbeit mit Vettel. Auch Teamchef Arrivabene selbst leistete einen Löwenanteil. Der neue Chef am Kommandostand der Mannschaft aus Maranello lotste das springende Pferd gekonnt auf den richtigen Pfad, forderte und lobte stets maßvoll und der jeweiligen Situation im Saisonverlauf gemäß.

Räikkönen, Arrivabene, Vettel - ein Ferrari-Dreigespann, das funktioniert, Foto: Ferrari
Räikkönen, Arrivabene, Vettel - ein Ferrari-Dreigespann, das funktioniert, Foto: Ferrari

Vettels Erfolgsgeschichte übertrifft die Erwartungen ...

Noch dazu schenkten Vettel und eine Portion Glück dem neuen Hauptverantwortlichen stets dann einen Sieg, wenn es nötig war. Der frühe Knotenlöser in Malaysia, der siegreiche Abschied in die Sommerpause in Ungarn und schließlich die Gala in der Nacht von Singapur. Mit diesen drei über die Saison verteilten Siegen erfüllte Vettel den Traum Arrivabenes, die Vorgabe von drei Saisonsiegen punktgenau.

Angesichts der Mercedes-Dominanz im Vorjahr und bei den Wintertests hatte das der Scuderia kaum jemand zugetraut. Vettel setzte es um, fuhr neben der Siege sogar noch zehn weitere Male auf das Podium. Selbst rechnerische WM-Chancen hielt er so bis zum viertletzten Rennen am Leben. Fehler leistete sich der gebürtige Heppenheimer kaum, nur in Mexiko schied Vettel selbstverschuldet aus.

Ferrari will 2016 auf Augenhöhe mit Mercedes um den Titel kämpfen, Foto: Sutton
Ferrari will 2016 auf Augenhöhe mit Mercedes um den Titel kämpfen, Foto: Sutton

... und erhöht sie für 2016 massiv

Entsprechend gestiegen ist nun die Erwartungshaltung für die zweite Saison. Ferrari soll 2016 auf Augenhöhe mit Mercedes um den Titel kämpfen, fordert Arrivabene. Wer beim Debüt bereits so nah an der Spitze dran ist, muss ein Jahr später einfach in den Titelkampf eingreifen. Anderes passt nicht zum Selbstverständnis der Scuderia, der Ferrari-Gewinnermentalität.

"Wenn man die Meisterschaft nicht gewinnt, kann man auch nicht sagen, dass man seine Mission erfüllt hat", beschreibt Arrivabene den Maßstab. Der Druck auf den Schultern des Sebastian Vettel nimmt 2016 also drastisch zu, auch weil er sich diesen selbst auferlegt. Vettel schickt genauso wie sein Chef eine Kampfansage an die Konkurrenz: "Wir sind dieses Jahr besser geworden und näher heran gekommen. Wir haben einen extrem guten Job gemacht und die Lücke von 1,5 auf vielleicht eine halbe Sekunde reduziert. Wenn man bedenkt, wo wir vor einem Jahr standen, dann war das eine Wundersaison. Aber wir sind nicht nah genug. Wir sind nicht die Favoriten, das wollen wir ändern."

Mit realistischen Prognosen hält man sich im Lager der Roten dann doch zurück. "Was wirklich Sache ist, wird sich erst zeigen, wenn wir mit dem neuen Auto erstmals auf die Strecke gehen", sagt Vettel. Das Aufgabenpensum im Winter könnte größer jedenfalls kaum sein. "Wir müssen an der Performance des Autos arbeiten, am Motor, dem Chassis und der Aerodynamik. Wenn man die perfekte Situation haben will, muss man jedes Detail verbessern", sagt Arrivabene.

Doch selbst damit sei Erfolg nicht garantiert. Immerhin schläft auch Mercedes nicht. "Ich denke, dass sie sich ebenfalls steigern werden. Also können wir nicht sagen, dass wir den jetzigen Rückstand aufholen müssen, sondern wir müssen eine Schippe drauf packen. Wer sie schlagen will, muss größere Schritte gehen", warnt Vettel.

Helmut Marko spürt Vettel und Ferrari die Finger nach Red Bulls Top-Personal ausstrecken, Foto: Sutton
Helmut Marko spürt Vettel und Ferrari die Finger nach Red Bulls Top-Personal ausstrecken, Foto: Sutton

Lockt Vettel Red Bulls Staringenieure zu Ferrari?

Um das zu schaffen, könnte eine weitere Parallele zur Ära Schumacher helfen. Dem folgten bei seinem damaligen Wechsel von Benetton zu Ferrari zahlreiche Top-Köpfe. Ein Mittel, das 20 Jahre später noch immer in Mode ist. "Es kommen wieder Anfragen an Schlüsselpersonen zu uns. Der [Vettel] weiß schon, wie viele gute Leute wir haben. Aber Gott sei Dank sind die Engländer sehr konservativ und wollen nicht nach Italien", bestätigt Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko Motorsport-Magazin.com entsprechende Abwerbeversuche.

Vollzogen sind solche spektakulären Wechsel aus Milton Keynes nach Maranello bislang nicht - oder zumindest nicht bekannt. Ohnehin herrscht in der Formel 1 bei Mitarbeiterwechseln zwischen den Teams eine Einjahressperre. Eine Spanne, die nun bei Jock Clear abgelaufen ist. Aber der kommt von Mercedes, nicht Red Bull, zu Ferrari. Vom aktuellen Weltmeister. Zum neuen Weltmeister?