Jetzt ist das Undenkbare tatsächlich eingetreten. Christian, was fällt dir zum Irrsinn rund um die Absage des Deutschland GP ein?
Christian Danner: Ich bin schlichtweg entsetzt. Jeder schiebt dem anderen den schwarzen Peter zu, aber keiner will es gewesen sein. Das kann alles nicht wahr sein. Sowohl Herr Seiler aus Hockenheim als auch Herr Nuvoloni vom Nürburgring haben sich in den letzten Tagen vor die Kameras gestellt und mit einem völlig gelangweilten Achselzucken festgestellt: 'Es geht halt nicht.' In so einem Moment schwillt bei mir die Halsschlagader. Es kann doch nicht sein, dass wir hier in Deutschland zwei supergeile GP-Rennstrecken haben und außer einem Achselzucken nichts passiert. Deutschland muss einfach einen Grand Prix haben, daran führt kein Weg vorbei. Aber keiner der Beiden hat sich dafür ins Zeug gelegt. Auch umgedreht lässt sich das gleiche Verhalten feststellen: Es wurde mit einer Nonchalance und Gleichgültigkeit ein Termin aus dem Kalender gekegelt, der schlichtweg unersetzlich ist.

Wie reagieren die Fans auf die Absage?, Foto: Sutton
Wie reagieren die Fans auf die Absage?, Foto: Sutton

Immerhin ist Deutschland das Land des Rekordweltmeisters, des amtierenden Weltmeisterteams und so vieler weiterer Formel-1-Einflüsse...
Christian Danner: Jetzt stell' dir mal vor, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gewinnt die Weltmeisterschaft und spielt daraufhin nicht mehr auf deutschem Boden. Was würde dann wohl passieren? Ich sage: Frau Merkel persönlich würde in einer eiligst einberufenen Kabinettssitzung einen Sonderfond von vielleicht vier oder fünf Milliarden Euro eröffnen. Damit wären die Heimspiele der deutschen Fußball-Nationalelf auf die nächsten 20 Jahre gesichert und die deutsche Fußballglückseligkeit gerettet.

In der Formel 1 ist die Ausgangssituation genau die gleiche: Wir haben einen deutschen Vizeweltmeister, einen deutschen Automobilhersteller als Konstrukteursweltmeister, einen vierfachen deutschen Champion im Ferrari - da hätte man doch erwarten müssen, dass es irgendjemanden in Deutschland gibt, der sagt: 'Stopp, das darf doch nicht sein! Lasst uns die Ärmel hochkrempeln und das regeln.' Ich will damit nicht sagen, dass Mercedes die Austragung des Rennens bezahlen hätten sollen. Stattdessen frage ich: Wer ist in Deutschland denn überhaupt dafür zuständig, sich für den Motorsport einzusetzen? Ist es der ADAC? Ist es die Landespolitik? Schließlich wird in den Bundesländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ja auch der Umsatz erwirtschaftet.

Von dieser Seite war nichts zu hören...
Christian Danner: Jetzt blicken wir mal auf die Handball-Weltmeisterschaft oder die Fußball-WM der Frauen. Diese werden genauso subventioniert wie einige andere Sportarten, die der Formel 1 ganz sicher nicht das Wasser reichen können. Wenn es dafür Geld gibt, kann es doch nicht sein, dass wir in Deutschland keinen Grand Prix haben. Hier wird mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen und ich bin entsetzt darüber, dass wir in Deutschland keine Person, keine Institution, keinen Politiker und keinen Industrieverantwortlichen haben, der sich dessen annimmt. Diese billigen Ausreden, es koste zu viel Geld, zählen in meinen Augen nicht. Fußball ist hundert Mal teurer. Frauen-Fußball, Handball, jede andere Sportart schafft es, innerhalb des Landes so etabliert zu sein, dass wenn eine WM hierher kommt, diese auch stattfindet. Nur ein einziges Mal ein paar Millionen in die Hand zu nehmen und zu sagen: Es gibt einen deutschen Grand Prix, das ist leider nicht möglich. Da müssen wir uns hier in Deutschland alle an die eigene Nase fassen.

In anderen Ländern sieht das anders aus, nicht wahr?
Christian Danner: Schauen wir uns exemplarisch das Rennen in Melbourne an. Der Bundesstaat Staat Victoria subventioniert dieses Rennen ganz bewusst und unterstützt den Promoter genauso wissend, dass er damit seiner Region einen Riesenvorteil verschafft. Sehen wir uns Montreal an. Auch dort hat die Regierung gemeinsam mit dem Bürgermeister gesagt: Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen! In solchen Ländern gibt es Institutionen und Menschen, die es zu verhindern wissen, dass ein solches Rennen einfach wegpurzelt. Selbst kleinere Länder wie Österreich haben ihren Grand Prix durch eine Privatinitiative zurückerhalten und ihn dann dermaßen zelebriert, dass alle Welt sich auf die Schenkel klopft und sagt: Das da in der Steiermark ist schon verdammt gut!

Die Nürburg throhnt nun über einem F1-losen Denkmal, Foto: Sutton
Die Nürburg throhnt nun über einem F1-losen Denkmal, Foto: Sutton

Viele schieben Bernie Ecclestone die Schuld in die Schuhe, weil er zu hohe Gebühren verlangt.
Christian Danner: Klar wäre es nett gewesen, wenn Bernie finanziell noch ein bisschen mehr entgegengekommen wäre. Aber wenn man ihn fragt, wird seine Antwort sicher lauten: Dem Nürburgring habe ich gesagt, sie bekommen es für x Prozent des normalen Preises und Hockenheim habe ich das und das gesagt. Es ist nicht so, dass Bernie nichts versucht hätte. Natürlich will er dabei Geld verdienen, das ist sein Job. Nur dass wir in Deutschland durch den Rost fallen, kann nicht sein. Frankreich hat ebenfalls seit vielen Jahren kein Formel-1-Rennen mehr. Dort hat einmal der erste Grand Prix der Geschichte stattgefunden. Aber Magny Cours ist auch ein von Kühen bevölkerter Landstrich, wo die Formel 1 nicht wirklich etwas zu suchen hatte. Im Vergleich dazu: Der Nürburgring. Ein historisches Denkmal des Weltmotorsports. Die Menschen reisen extra aus Amerika, China oder Indien an, nur um einmal die Nürburg zu sehen. Auch Hockenheim hat in aller Welt einen exzellenten Ruf als Rennstrecke. Und was ist? Achselzucken. Ich bin sprachlos. Absolut entsetzt, dass unser Sport in keiner Instanz des öffentlichen Lebens irgendeinen nachhaltigen Rückhalt hat. Unfassbar.

Wie geht es nun im nächsten Jahr weiter?
Christian Danner: Nächstes Jahr hat Hockenheim einen Vertrag, den werden sie erfüllen. Aber es bleibt dabei: Der Nürburgring muss dem Land Rheinland-Pfalz ein Kulturdenkmal sein! So eine Rennstrecke gibt es auf der ganzen Welt kein zweites Mal und sie wird von ihrem eigenen Bundesland mit Füßen getreten. Der Nürburgring ist ein Denkmal deutscher Ingenieurskunst und der deutschen Automobilindustrie. Und was passiert? Achselzucken. Selbst in einem kleinen Land wie Belgien schafft es die lokale Regierung von Wallonien mit Bernie einen sinnvollen Deal abzuschließen. Sie haben keine Automobilhersteller, keinen Formel-1-Weltmeister, keine Sponsoren. Sie haben ausschließlich eine alte, wenn auch tolle Rennstrecke. Aber Hockenheim und Nürburgring fallen ebenso in diese Kategorie. Nur wir in Deutschland bringen es trotzdem fertig, den Grand Prix gegen die Wand zu fahren. Einfach traurig.