Ganz so laut wie im vergangenen Jahr wird das Thema zumindest im inneren Kreis der Formel 1 gar nicht mehr diskutiert. Damit, dass die Formel-1-Obersten im vergangenen Jahr nach dem Bahrain-GP aller Demonstrationen, Zusammenstöße, Verletzten und Verhaftungen zum Trotz erklärt hatten, es sei doch alles in Ordnung gewesen, ist die Richtung pragmatisch-zynisch ja vorgegeben: Wenn letztes Jahr alles in Ordnung war und sich seitdem nichts geändert hat, dann muss es ja auch diesmal in Ordnung sein. In der lokalen Presse funktioniert die Propaganda-Maschine reibungslos, da wird der Premierminister zum Helden stilisiert, der einer armen Frau, die in die Fänge von "Saboteuren und demonstrierendem Mob" geraten sei, geholfen habe, und seine Behörden und Gerichte angewiesen habe, dafür zu sorgen, dass sie und ihre Familie in Zukunft ein gutes Leben führen können.

Die Formel 1 sieht die Probleme nicht - oder will sie nicht sehen, Foto: Sutton
Die Formel 1 sieht die Probleme nicht - oder will sie nicht sehen, Foto: Sutton

Ganz so plump geht man nicht überall zu Werke, aber die Tendenz, zum Beispiel auch Mitglieder des Formel-1-Zirkus zu instrumentalisieren, ist offensichtlich. Da finden sich endlose Zitate etwa von namentlich nicht genannten Mechanikern, die feststellen, dass sie nichts von Problemen mitbekämen. Warum das System mit großen Teilen des Formel-1-Zirkus leichtes Spiel hat, ist auch klar: Weil der Horizont nicht über das eigene Sicherheitsbedürfnis hinausragt. Und auch wenn zum Beispiel Ferrari für seine Mitarbeiter ein "Ausgangsverbot" in der Stadt anordnete - Tatsache ist: Die guten Viertel der Stadt, die mit den internationalen Hotels, sind ruhig.

Wenn es zu Auseinandersetzungen kommt, dann in den Vorstädten, dorthin, wo das Militär von den großen Highways aus auch ihre Beobachtungsscheinwerfer richtet, dort, wo der ärmere und benachteiligte Teil der Bevölkerung lebt, zum größten Teil Schiiten, die ja in Bahrain 70 Prozent der Bevölkerung stellen, während die machthabende Oberschicht sunnitisch ist. Dort, in diese Vorstädte, kommt aber keiner aus der Formel 1 normalerweise hin. Daher die Schlussfolgerung: Alles ist sicher, wir haben nichts damit zu tun, wo ist also das Problem?

Die Formel 1 ist nur für den Sport angereist, Foto: Sutton
Die Formel 1 ist nur für den Sport angereist, Foto: Sutton

Der entscheidende Punkt, an dem das freilich eigentlich für niemanden mehr funktionieren dürfte, ist der, den internationale Menschenrechts-Organisationen von Human Rights Watch bis Amnesty International betonten. Dass es nämlich diesmal im Vorfeld des Rennens bereits zu bis zu 200 Verhaftungen gekommen sei - prophylaktisch, wohlgemerkt, um potenzielle Unruhestifter aus dem Verkehr zu ziehen und "einen ungestörten und sicheren Ablauf des Rennwochenendes zu gewährleisten", wie das in den offiziellen Statements der hiesigen Behörden so schön heißt.

Damit lässt sich die direkte Verbindung der Formel 1 mit hier begangenen Menschenrechtsverletzungen eigentlich nicht mehr leugnen, das von Teamchefs und Fahrern immer wieder vorgebrachte Argument, man sei doch nun mal nur hier, um den Sport zu betreiben, mit dem Rest habe man nichts zu tun, ist absolut nicht mehr haltbar. Hier liegt auch ein entscheidender Unterschied zu China: Niemand wird bestreiten, dass es auch dort zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Allerdings stehen sie da tatsächlich in absolut keinem direkten Zusammenhang zur Formel 1.

Vettel will sich aus allen Diskussionen heraushalten - damit ist er nicht allein, Foto: Sutton
Vettel will sich aus allen Diskussionen heraushalten - damit ist er nicht allein, Foto: Sutton

Konfrontiert man aber den ein oder anderen Fahrer, der sich wie auch Nico Hülkenberg oder Adrian Sutil hinter der Aussage verschanzt, im Prinzip über die Verhältnisse nichts zu wissen und sich auch nicht darüber zu informieren - was ja an sich schon als Armutszeugnis gewertet werden könnte - mit solchen Fakten, dann erntet man ein hilfloses Achselzucken. Vieles davon ist mit Sicherheit auch einfach Angst, sich mit den eigenen Obrigkeiten anzulegen: Wenn einer der Fahrer, und sei er noch so erfolgreich und wichtig, da ein Wort zu viel sagt, bekommt er nur unglaublichen Ärger, sagt ein Pressebetreuer schon mal unter der Hand, sozusagen um Verständnis bittend, warum man sich denn nun mal an die von oben vorgegebenen Sprachregelungen zu halten habe. Und sich dann eben auch ein Sebastian Vettel, der grundsätzlich sehr wohl politisch informiert ist, zum Beispiel auf die von einem spanischen Journalisten im Zusammenhang mit Fußball gemachte Bemerkung, er sei kein Spanier, sondern Katalane, sofort weiß, was Sache ist und schlagfertig reagieren kann, sich hinter die Aussage zurück zieht, er konzentriere sich halt lieber auf den Sport. Dass die Lage angespannt sei, sei ja kein Geheimnis, "aber es ist nicht an uns, das wirklich zu beurteilen."

Oben - das ist zum Beispiel FIA-Präsident Jean Todt, der zwar in diesem Jahr selbst nicht nach Bahrain kommt, dafür aber angesichts der Fakten mit nur noch zynisch zu nennenden Statements um sich wirft: "Wir glauben stark daran, dass der Sport und der Grand Prix eine positive, heilende Wirkung auf Situationen hat, in denen Konflikte, soziale Unruhen und Spannungen Elend verursachen." Oder Bernie Ecclestone, der erst bis zum vergangenen Sonntag immer wieder von sich gab, er wisse gar nicht, was alle wollten, er habe nichts von Problemen in Bahrain gehört. Um dann, als nach einigen weiteren international überall berichteten Bombenexplosionen und Zusammenstößen diese Position absolut nicht mehr haltbar blieb, zu meinen, er wäre ja dazu bereit, sich auch mal mit Oppositionellen zu treffen...

An den effektiveren Schritt, den zum Beispiel Amnesty International von ihm fordert, nämlich mit den Machthaber in Bahrain einmal Klartext zu reden und deutlich zu machen, das Rennen hier in Zukunft zu streichen, sollte sich nichts verändern, denkt er natürlich nicht. Schließlich hat Ecclestone ja in der Vergangenheit auch schon oft genug klar gemacht, dass ihm die Diktatur als Regierungsform näher steht als die Demokratie. Dass ihn dann die hiesigen Verhältnisse kaum stören, ist nicht so verwunderlich. Verhältnisse, über die ein ehemaliger Top-Manager der "Gulf Air", ein Schweizer und sicherlich nicht irgendwelcher revolutionärer Gesinnung verdächtig, gegenüber dem Schweizer Formel-1-TV-Kommentator meinte: "Es ist halt ein bisschen wie bei der Gestapo. Leute verschwinden und kommen einfach nicht mehr wieder."