Die Grundrechnung ist einfach: Wenn Sebastian Vettel den Großen Preis der USA von der Pole Position aus gewinnt und Fernando Alonso nicht mindestens Vierter wird, dann ist die Weltmeisterschaft wieder einmal vorzeitig entschieden. Motorsport-Magazin.com nimmt die Favoriten vor dem vorletzten Rennen des Jahres unter die Lupe. Favoriten? Streng genommen gibt es in Texas nur einen Favoriten; der heißt Vettel und fuhr in bislang sämtlichen Sessions des Wochenendes die Bestzeit. Selbst, als ein Wasserleck im 2. Training viel Zeit kostete, war der WM-Spitzenreiter das Maß der Dinge.

Laut Vettel braucht sich die Konkurrenz auch keine Hoffnungen zu machen, dass der RB8-Bolide ein ähnliches Problem während des Rennens haben könnte. "Wir haben den Schaden repariert und das Problem verstanden, das sollte nicht noch einmal vorkommen", sagte der Red-Bull-Star, der am Sonntag wahrscheinlich mindestens den Konstrukteurs-Titel mit der Mannschaft begießen kann. Ob ein zweiter WM-Titel hinzu kommt, hängt größtenteils von Alonso ab. Kaum jemand glaubt, dass Vettel das Rennen nicht souverän gewinnen wird, doch über der Performance des Spaniers schweben Fragezeichen. Nicht wenige Handicaps erschweren seine Situation:

WM-Showdown schon am Sonntag?, Foto: Red Bull
WM-Showdown schon am Sonntag?, Foto: Red Bull

Nachteil Nummer 1: der Startplatz. Dass Alonso über ein riesengroßes Talent verfügt und mit dem Ferrari zweitweise Wunderdinge anstellte, ist kein Geheimnis. Doch bei der F1-Premiere in Austin stehen die Vorzeichen denkbar schlecht. Alonso fuhr im Qualifying nur auf Platz neun und sein Vorrücken auf P8 wegen Romain Grosjeans Strafe fühlt sich wie ein kleiner Rückschlag an. Das komplette Fahrerlager fürchtet sich vor den geraden Startnummern, weil die schmutzige Seite diesmal ihren Namen völlig zurecht verdient hat. Als ob man im Nassen starten würde, beschrieb Felipe Massa das Gefühl. "Es ist wichtig, auf der sauberen Seite zu starten", meinte auch Vettel - Platz 1 ist auf dem Circuit of The Americas quasi ein Doppel-Bonus.

Nachteil Nummer 2: die Reifen. Ferrari hatte während des Qualifyings Probleme, die Medium-Reifen auf Temperatur zu bekommen. Massa und Alonso drehten mehr Runden als üblich in den einzelnen Sessions, um das Temperaturfenster zu treffen. Im Q3 gingen sie sogar auf gebrauchten Mediums auf die Strecke, doch nichts half. "Die Reifen sind viel zu hart für hier, nur in der letzten Runde gingen sie einigermaßen", meckerte Massa. "Wir haben endlos viele Runden gebraucht, um sie aufzuwärmen." Alonso werden am Sonntag aber nicht endlos viele Runden zur Verfügung stehen, stattdessen muss er den Blick beim Start eher nach hinten als nach vorn richten.

Nachteil Nummer 3: die Strategie. Bei einem Boxenstopp kann einiges schief gehen und mit der richtigen Strategie sind immer Positionsgewinne oder gute Ausgangspositionen für den weiteren Rennverlauf möglich. In Austin? Fehlanzeige. Alles andere als eine Ein-Stopp-Strategie des Feldes käme einem kleinen Wunder gleich. Pirelli räumte ein, dass sie mit einer riskanten Reifenwahl keinen Einfluss auf die WM nehmen wollten und deshalb eine konservative Variante bevorzugten. Dass Alonso auf Reifen startet, die noch mehr als üblich angefahren sind und Vettel bislang überhaupt keine Probleme hatte, seine Pneus ans Arbeiten zu bringen, verbessert die prekäre Situation von Alonso nicht gerade.

Nachteil Nummer 4: Vettel. Der Heppenheimer war bislang das Nonplusultra in Austin. Der RB8 läuft - vom Wasserleck einmal abgesehen - wie ein Uhrwerk und führte ihn zu sämtlichen Session-Bestzeiten. "Die Ausgangssituation ist perfekt, besser hätte es nicht laufen können", strotzte Vettel nur so vor Selbstvertrauen. Selbst die Reifen liefen absolut rund, ab der ersten Runde war das Auto schnell. "Das gelingt ihnen sehr gut, für uns wäre so etwas unmöglich", räumte McLaren-Pilot Jenson Button ein. Wenn Vettel führt, gewinnt er das Rennen - so lautete die einfache Rechnung in den vergangenen fünf Rennen. Es spricht nur ganz wenig dagegen, dass es in Texas anders laufen wird. Red Bull ist die absolut dominante Macht und hinterließ auch bei den Longruns einen überragenden Eindruck; da war der Vorteil jedoch nicht so immens wie bei den schnellen Runden.

Selbstbewusst: Vettel, Foto: Sutton
Selbstbewusst: Vettel, Foto: Sutton

Nachteil Nummer 5: Respekt. Die Chancen stehen gut, dass Vettel nach dem Start ungefährdet die heikle Kurve eins passieren kann und nach den Esses anfängt, einen DRS-resistenten Vorsprung herauszufahren. Mit Hamilton sollte er zumindest keine harten Rad-an-Rad-Duelle befürchten. "Ich versuche, Sebastian nicht reinzufahren", kündigte Hamilton bereits an. Er will nicht das Zünglein an der WM-Waage sein und muss sich von der schmutzigen Seite erst einmal auf Hintermann Webber konzentrieren. Wenn der Australier für P2 überholt, hat Vettel das optimale Schutzschild. Webber würde es nie riskieren, seinen Teamkollegen anzugreifen oder auch nur im Entferntesten eine Kollision zu provozieren, schließlich soll zumindest der Konstrukteurs-Titel schon einmal eingesackt werden.

Bei Alonso sieht die Sache schon anders aus: Er hat mit Kimi Räikkönen, Michael Schumacher und Nico Hülkenberg drei Nüsse vor sich, die es erst einmal zu knacken gilt. Lediglich Teamkamerad Massa stellt kein Hindernis auf der Flucht nach vorn dar. Dass mit Schumacher und Hülkenberg zwei Landsmänner von Vettel den Weg versperren, sieht Alonso nicht als Problem. "Sie sind super Fahrer, jeder kämpft gegen jeden, aber man respektiert sich", meinte er. "Ich sehe da keinen Unterschied, nur weil sie Deutsche sind." Auch Vettel sah in dieser Konstellation keinen Vorteil, würde sich aber bestimmt nicht gegen Schützenhilfe wehren: "Wenn mir der eine oder andere einen Gefallen tut, gibt's vielleicht eine Runde Bier", scherzte er. "Aber da kann man sich nicht drauf verlassen, jeder fährt sein eigenes Rennen."

Kleiner Vorteil: Unbekannter Schmutz. Nun wäre es nicht fair, bei Alonso ausschließlich schwarz zu malen. Der Ferrari rangiert in den Top-4 der Performance-Rangliste und wird mit dem zweifachen Weltmeister im Cockpit ein gutes Stück aufgewertet. Er sollte auf dem unbekannten Terrain allein fahrerisch besser zurecht kommen als der Großteil des restlichen Feldes; Erfahrung als Trumpf. Dann wäre da noch der bedrohliche Schmutz abseits der Ideallinie. Nicht ausgeschlossen, dass Vettel in den teilweise anspruchsvollen Kurven einmal von der Strecke rutscht. Die Auslaufzonen sind enorm, doch ein Dreher kostet Zeit. Im Verlauf des Wochenendes drehte das halbe Fahrerlager unfreiwillige Pirouetten und auch bei Vettel blockierten die Räder mehr als nur ein Mal. Auf neuen Strecken ist zumindest das Risiko von Fahrfehlern ungleich höher als in bekannten Gefilden.