Dass Rot auch am Sonntag in Italien die Trendfarbe schlechthin war, das durfte beim Ferrari-Heimspiel in Monza niemanden so recht überraschen. Rot gesehen - das haben beim Grand Prix im Königlichen Park nicht nur die zahlreichen Tifosi sondern auch so manche Protagonisten. Zum einen wäre da Fernando Alonso, der das Gefühl hatte, dass ihm Titelrivale Sebastian Vettel in der Curva Grande bei vollem Speed zu wenig Platz gelassen hatte, wodurch er beim Überholversuch auf der Außenbahn ins Kiesbett gedrängt wurde und anschließend wütend an seine Box funkte: "Es reicht - das war genug!" Rot sah auch Alonsos Renningenieur, der in seiner Funkantwort an den spanischen Doppelweltmeister zum Besten gab: "Ich hab's gesehen - er hat unser Rennen zerstört."

Davon mehr oder auch weniger beeinflusst, sah anschließend die Rennleitung um die wehrten Rennkommissare Gerd Ennser, Silvia Bellot und Emanuele Pirro, der zu aktiven F1-Zeiten zwar für die Scuderia Italia, nie jedoch für die Scuderia Ferrari tätig war, Rot. Die Unkenrufe, wonach die 'italienischen' Stewards dem Deutschen Vettel eine Strafe aufgebrummt hätten, stellen sich vor dem Hintergrund des Mitwirkens des Deutschen Ennser zwar schon wieder etwas relativiert dar - den Fans von Verschwörungstheorien sei allerdings gesagt, dass Fräulein Bellot Spanierin ist. Sei es drum: Rot sah daraufhin natürlich auch Vettel und ganz Red Bull - verstehen wollte man die verhängte Durchfahrtsstrafe selbstredend nicht, akzeptieren musste man sie gleichwohl.

Analyse: Vergleich 2011 & 2012

Besonders brisant war die ganze Angelegenheit natürlich nicht nur auf Grund des Austragungsortes im tiefsten Bullen-Feindesland - nein, auch ein Vorkommnis aus dem Vorjahr fiel allen sofort wieder ein, hatte es damals doch ein ähnliches Manöver in der Curva Grande gegeben, allerdings mit vertauschten Rollen. Nun steht in diesem Blog 'ähnlich' an der Stelle, an der viele vielleicht das Wort 'gleich' erwartet hätten. Dass dem so ist, hat jedoch seine Gründe. Bei der genauen Betrachtung beider Szenen und ihrem detaillierten Vergleich wird klar, dass eigentlich gar nichts klar wird. Vor dieses Problem sahen sich wohl auch die Regelhüter gestellt, allerdings haben für diese die Aufzeichnungen aus dem Vorjahr ohnehin keinen Einfluss, da sie in ihrer jetzigen Funktion als Stewards eine Tatsachenentscheidung nach neustem Reglementsstand zu treffen haben.

Der kniffelige Aspekt beim Vergleich der Szenen von 2011 und 2012 ist der, dass das eigentliche Alonso-Manöver heuer etwas früher und damit noch weiter in der Kurve begann. Sein Überschuss war größer als der Vettels im Vorjahr - unterm Strich gereichte ihm das aber zum Nachteil, weil er so schneller an Punkt x kam, um auszuscheren und den Überholvorgang durchzuziehen. Dadurch befand sich Alonso, anders als Vettel im Vorjahr, noch nicht wieder im komplett geraden Teil der Strecke am Kurvenausgang sondern noch leicht in der Biegung als es ans Eingemachte ging. Auch wenn es sich um marginale Unterschiede handelt, hatte das in der Folge zwei Effekte: Zum einen sah sich Alonso vor das Problem gestellt, dass er nicht absehen konnte, wie weit Vettel noch auf seine Seite rüberziehen würde, da sich dieser ebenfalls noch in der Kurvendurchfahrt befand und von den Fliehkräften nach außen gedrückt wurde.

Das ging Vettel 2011 schon anders, da beide Konkurrenten bereits auf der geraden Passage angekommen waren und sich der Attackierende somit fast sicher sein konnte, dass sein Widersacher die Spur halten wird und muss, da er andernfalls definitiv eine Strafe provozieren würde. Dass auf den Fernsehaufnahmen aus diesem Jahr später zu erkennen war, dass Alonso gar nicht zwingend so weit hätte hinausfahren müssen, um eine Berührung zu vermeiden, macht die Beurteilung allerdings besonders schwierig, denn der Punkt ist: Das weiß Alonso in jenem Moment nicht. Er weiß nicht, wie weit sich Vettel noch aus der Kurve hinaustragen lässt, solange es nicht schon wieder geradeaus geht. Zudem widerstrebt es sicherlich dem gesunden Verstand als auch dem menschlichen Reflex, bei diesen Geschwindigkeiten in die Richtung eines Objekts zu lenken, das sich augenscheinlich ohnehin auf einen zubewegt, nur in der Hoffnung, dass es seine Richtung schon irgendwie anpassen wird.

Der Red-Bull-Pilot hatte im Vorjahr den Vorteil, dass das eigentliche Ausscheren und das schlussendliche Überholmanöver bereits gerade so auf dem geraden Streckenteil ablief. Klar wird das auch beim Studium der Onboardaufnahmen und dem Winkel der weißen Begrenzungslinie beim Auftreffen des Autos aufs Gras. Während Vettel bereits parallel ist, kommt Alonso in spitzerem Winkel von der Strecke ab. Sprich: Es ist ein Unterschied, ob ich geradeaus über ein Stück Wiese fahre oder mit einem angestellten Lenkeinschlagwinkel - und genau da kommt der zweite Effekt zum Tragen. Während Vettel klar sichtbar nur mit zwei Rädern und nicht einmal der Hälfte seines Boliden neben der Strecke ist, verlässt Alonso die Strecke mit allen vier Rädern. Wahrscheinlich wäre das noch nicht einmal das Problem gewesen.

Gefährlich machte diesen Unterschied dann jedoch das Kiesbett, in das Alonso mit seiner linken Seite eintauchte, wodurch sein Auto durch den unterschiedlichen Untergrund auf der einen Seite viel stärker abgebremst wurde als auf der anderen, was den Spanier natürlich ins Straucheln brachte. Dieses Problem hatte Vettel im Vorjahr nicht, konnte er doch viel mehr auf dem Asphalt bleiben - dieser Umstand wiederum lag allerdings auch daran, dass Alonso damals besonders in den Anfangssekunden des Manövers ein klein wenig mehr Platz gelassen hatte als der Deutsche am Sonntag. War 2011 daher noch zu jedem Zeitpunkt mindestens eine Wagenbreite Platz bis zum Streckenrand, kann das heuer zwar über weite Teile der Kurvendurchfahrt, nicht jedoch immer behauptet werden - genau auf diese Nuancen dürfte es bei diesen Geschwindigkeiten allerdings ankommen.

Striktere Zweikampfregeln

Das alte Leid: Auch schon in Valencia streikte Vettels Lichtmaschine, Foto: Red Bull
Das alte Leid: Auch schon in Valencia streikte Vettels Lichtmaschine, Foto: Red Bull

Letztendlich muss man also eigentlich dankbar sein: Einerseits dafür, dass es zu keinem Highspeedcrash kam - anderseits dafür, dass ein Defekt an Vettels Lichtmaschine die Strafe schlussendlich jeglicher Relevanz beraubte. Wie auch immer die WM nun ausgeht - die kontroverse Entscheidung von Monza hat damit nichts zu tun... zumindest ist das heute der Stand, denn noch kamen keine kritischen Fragen nach einem möglichen Zusammenhang auf. Wie man auf so einen kommen könnte? Stichwort Lichtmaschine und FIA-Kritik - da war doch was? Bereits in Valencia streikte das gute Teil im RB8 - anschließend saß der Frust im Red-Bull-Lager verständlicherweise tief. So tief sogar, dass Behauptungen aufkeimten, die langsame Fahrt hinter dem beim Europa GP angeblich fälschlicherweise und mit dem Zweck, den überlegen Führenden Vettel einzubremsen, auf die Strecke gerufenen Safety Car, habe den Defekt erst ausgelöst.

Im Umkehrschluss für Monza hieße das wohl: Bei der zweiten, zusätzlichen und unplanmäßigen Boxendurchfahrt Vettels, wurde durch das für das Absolvieren der Strafe nötige Langsamfahren erneut die Lichtmaschine in Mitleidenschaft gezogen. Wie man bei Red Bull heuer dann aber schon Rennen mit Zweistoppstrategie gewinnen konnte, bleibt dementsprechend natürlich ein Rätsel, das sich wohl nicht einmal der peinlich berührte und um Entschuldigung bemühte Renault-Mann Remi Taffin erklären kann. Geht man jedoch noch einmal weg von derlei nicht ernst zu nehmenden Gedankenspielen und hin zu Haltbarem, nämlich dem Verhalten der FIA, fällt auf: Diese ist sich mit der Monza-Strafe treu geblieben. Nach dem harten Zweikampf zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton zu Saisonbeginn in Bahrain, hatte man die Zweikampfregeln angepasst und sich auf ein Gentlemen's Agreement geeinigt.

Das Problem ist die Regelung

Nicht nur in Monza: Die FIA steht im Mittelpunkt, Foto: Sutton
Nicht nur in Monza: Die FIA steht im Mittelpunkt, Foto: Sutton

Die Regeln besagen nun ganz klar: Wenn irgendein Teil des hinterherfahrenden Autos neben dem Vordermann ist, muss dieser seitlich mindestens eine Wagenbreite und damit den viel zitierten 'Platz zum Überleben' lassen. Wie ernst man diese Regelung nun nimmt, demonstrierte nicht nur das Beispiel der harten Strafe gegen Romain Grosjean, der beim Start in Belgien zuletzt Lewis Hamilton übersah, dem McLaren in den Weg fuhr und so einen heftigen Unfall auslöste. Auch die Kollision zwischen Bruno Senna und Kamui Kobayashi in Valencia kann hierfür als perfektes Beispiel herangezogen werden. Obwohl der Japaner klar hinten war, schaffte er es kurzzeitig mit irgendeinem Teil seines Fronflügels gleichauf mit Sennas Hinterreifen zu kommen - da dieser genau in jenem Moment die Linie wechselte, kam es zur Berührung und letztendlich zu einem Dreher des Williams-Piloten.

Von außen betrachtet sah die Szenerie klar so aus, wie wenn Kobayashi dem Brasilianer ins Heck gefahren wäre - trotzdem bekam Senna die Schuld und auch gleich noch eine Durchfahrtsstrafe aufgebrummt. Laut Regelwerk ist es also keineswegs so, dass man vorbei oder klar schneller sein muss, um sich ein Recht zu erwerben, eine Überhollinie freigeräumt zu bekommen und so wie sich die Stewards in Valencia ihrer Linie treu blieben, so blieben sie es sich auch am Sonntag in Italien. Dass die allgemeine Festschreibung dieser Regel nicht ideal ist, steht derweil auf einem ganz anderen Blatt Papier und darf getrost angefochten werden. Nichts desto trotz steht sie aktuell aber so fest und als Fahrer weiß ich darum, wenn ich ins Rennen gehe. Dass ein Torwart im Fußball nach einer Notbremse zwingend mit Rot vom Platz gestellt wird, ist eine vergleichbare Doppelbestrafung und den Fans und Teams seit Jahren genauso ein Dorn im Auge.

Ungewöhnliche Parallelen

Da die Regel trotz aller Kritik aber nach wie vor in dieser Form intakt ist, sollte man sich im eigenen Interesse auch dementsprechend verhalten. In Vettels Fall heißt das: Wirklich überrascht sein durfte der Deutsche von seiner Strafe im Königlichen Park nicht - schon gar nicht aber davon, dass ihm im Ferrari-Land erst recht keine Gnade gewährt wird, wenn er sich in Grauzonen begibt. Selbst bei seinem Heimrennen in Hockenheim wurde der Heppenheimer heuer bestraft. Warum sollten die Stewards dann ausgerechnet im italienischen Monza Milde walten lassen? So bitter es für den 25-Jährigen sein mag - er muss sich die Frage gefallen lassen, warum er Alonso nicht einfach ziehen ließ. Nach dem Rennen räumte Vettel ein, dass der Ferrari klar schneller war und er ihn nicht dauerhaft hätte hinter sich halten können. Das Riskieren einer absehbaren Strafe scheint vor diesem Hintergrund mehr als unnötig.

Mit technischen Defekten in blauen Autos der Marke Renault kennt sich in Monza auch Alonso aus, Foto: Sutton
Mit technischen Defekten in blauen Autos der Marke Renault kennt sich in Monza auch Alonso aus, Foto: Sutton

Zum Schluss folgt für Herrn Vettel daher noch ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl, wie ihn wohl nur besserwisserische Motorsport-Redakteure geben können. Dazu bedarf es eines Griffs in die Geschichtskiste. Rückblende 1, Lektion 1 - Monza, 2004: Alonso, damals noch junger Renault-Pilot, liegt im Rennen direkt vor einem Ferrari. In der Variante della Roggia - nur wenige Meter vom Austragungsort der Vettel-Duelle der Neuzeit entfernt - rumpelt er zu hart über die Kerbs und dreht sich mit dem Heck voran ins Kiesbett. Die herbeieilenden Streckenposten weisen Alonso anschließend jedoch nur an, den Motor abzustellen. Motto: 'Ein Ferrari-Rivale mehr aus dem Rennen.' Das Winken und wütende Gefuchtel des Spaniers, ihn anzuschieben, damit er den Grand Prix fortsetzen kann, ignorieren die italienischen Hilfskräfte galant aber bestimmt.

Rückblende 2, Lektion 2 - Monza, 2006: Im Qualfying zum Italien GP werden Alonsos schnellste Zeiten in Q3 gestrichen - er soll seinen heutigen Teamkollegen Felipe Massa, der auch damals schon für die Roten fuhr, im Zeittraining behindert haben, obwohl die Fernsehaufnahmen klar zeigen, dass zwischen beiden Autos ausreichend Platz war. Alonso wittert eine Verschwörung der Italiener, unterstellt der Rennleitung, Ferrari-Star Michael Schumacher unbedingt unter die Arme greifen und bevorzugen zu wollen. Bitter enttäuscht erklärt der auf dem Weg zum Titel eingebremste Alonso: "Für mich ist die Formel 1 seit heute kein Sport mehr."

Als sein Renault R26 am Rennsonntag dann auch noch vor den frenetisch jubelnden Tifosi mit Motorschaden ausrollt, komischerweise nahezu an der gleichen Stelle, an der Vettel am Sonntag sein Renault-Triebwerk abstellte, entschließt sich der Spanier innerlich dazu, sich gegen die rote Übermacht nicht länger zu wehren... sondern sie sich selbst zu Nutze zu machen und eines Tages ganz einfach zu Ferrari zu gehen. Und die Moral von der Geschicht': Lieber Sebastian, Fernando und Du... ihr seid euch ähnlicher als ihr es beide vielleicht manchmal wahrhaben wollt. P.S.: In Maranello wird nächstes Jahr ein Cockpit frei und was es heißt, in Italien für ein italienisches Team zu gewinnen, weißt Du ja bereits seit 2008. Lust?