Montreal ist aus strategischer Sicht eines der interessantesten Rennen der Saison. Die Wahrscheinlichkeit von Safety Car-Einsätzen ist hoch, der Belag bietet wenig Grip und das Überholen ist relativ einfach - dadurch ist das Rennen immer recht unterhaltsam. Dieses Jahr wird die Leistung des unvorhersehbaren Pirelli-Reifens ebenso ein entscheidender Faktor wie der Effekt des verstellbaren Heckflügels DRS. Voriges Jahr gab es in Montreal zwei DRS-Zonen, dieses Jahr nur mehr eine - auf der langen Gegengeraden -, um es etwas weniger einfach zu machen. Und diese eine Zone ist noch dazu 100 Meter kürzer.

Überholen ist in Kanada relativ einfach, Foto: Sutton
Überholen ist in Kanada relativ einfach, Foto: Sutton

Montreal hat einige lange Geraden, die mit Schikanen und einer Haarnadel verbunden sind. Es gibt keine nennenswerten Hochgeschwindigkeits-Kurven. Gute Traktion aus langsamen Kurven ist wichtig, ebenso wie guter Speed auf der Geraden und ein Auto, das gut über Kerbs fährt. Montreal ist eine ungewöhnliche Strecke, weil es ein Straßenkurs auf einer Insel ist, der nur zwei Mal im Jahr für Rennsport genutzt wird. Zu Beginn des Wochenendes ist der Kurs sehr schmutzig und verbessert sich im Laufe des Wochenendes dramatisch, obwohl das Grip-Niveau niedrig bleibt. Daher müssen die Strategen auf Basis von Daten, die sich ständig verändern, vorhersagen, was der Reifen im Rennen machen wird.

Der Formstand

Das Qualifying ist in Montreal weniger wichtig als auf vielen anderen Strecken, denn Überholen geht einfach und das hat auch Auswirkungen auf die Rennstrategie - die Teams gehen lieber auf mehr Stopps als auf wenige. Die Statistiken dieser Saison zeigen allerdings, dass das Auto, das in der ersten Runde führt, sehr wahrscheinlich das Rennen gewinnt; das ist in vier der fünf Trockenrennen bisher so gewesen. Das liegt daran, dass es von Vorteil für die Reifen ist, wenn sie bei freier Fahrt eingesetzt werden statt hinter einem anderen Auto. Sie halten dadurch weit länger und bringen deutlich bessere Leistung.

Der Mercedes sollte in Kanada gut zurechtkommen, Foto: Sutton
Der Mercedes sollte in Kanada gut zurechtkommen, Foto: Sutton

Die Streckencharakteristik sollte dem Mercedes und dem Lotus besonders liegen. Wenn es kalt ist, wird der Mercedes besser dastehen, wenn es heiß ist, gilt das für den Lotus. Der Ferrari war derweil immer stark in Montreal und er läuft auf der Reifenkombination soft und supersoft gut. Bislang war das Auto aber beim Speed auf der Geraden schwächer als die Konkurrenz. Doch für das Wochenende wurden einige Upgrades versprochen, die dabei aushelfen könnten. Der Ferrari ist bei der Traktion ordentlich und läuft mit dem Supersoft gut, der sehr wahrscheinlich der Reifen sein wird, der am Ende des Qualifyings und damit im ersten Rennstint zum Einsatz kommt.

Red Bull hat seit Bahrain wieder zur Form zurückgefunden, es gab zwei Siege in drei Rennen. Historisch betrachtet ist Montreal keine der besonders starken Strecken für das Team; Abtrieb ist hier einfach kein wichtiger Faktor. McLaren war zuletzt schnell im Qualifying, dafür aber im Rennen weniger gut. Was die Fahrerform betrifft, so ist Michael Schumacher der König von Montreal, da er dort sieben Mal gewonnen hat. Es ist auch eine von Lewis Hamiltons besten Strecken - er hat dort zwei Siege auf dem Konto. Jenson Button, Fernando Alonso und Kimi Räikkönen haben dort ebenfalls gewonnen.

Wettervorhersage

Da es küstennahe ist und an einem Seeweg liegt, kann Montreal beim Rennen wahre Wetterextreme erleben; es kann heiß und stickig sein, aber auch kalt und nass. Das wird für die Reifen sehr wichtig sein. In der Woche vor dem Event gab es 15 Grad an einem und 28 Grad an einem anderen Tag. Was Temperaturwechsel betrifft, ist dies eine der extremsten Strecken-Locations.

Wahrscheinliche Reifenleistung und andere Überlegungen

Pirelli hat für Montreal die Reifen Soft (gelbe Markierung) und Supersoft (rote Markierung) ausgesucht. Das ist die gleiche Wahl wie in Monaco, wo die Leistung der Reifen viele Leute überrascht hat. Sowohl der Soft als auch der Supersoft hielten viel länger als erwartet, wodurch es primär Einstopp-Strategien gab. Der Schlüssel, um den Supersoft am Leben zu halten, ist das Limitieren des Durchdrehens der Hinterräder. Das passiert vor allem dann, wenn die Fahrer aus langsamen Kurven heraus beschleunigen.

Die Räder sollten möglichst nicht durchdrehen, Foto: Red Bull
Die Räder sollten möglichst nicht durchdrehen, Foto: Red Bull

Eigenartigerweise finden es die Fahrer mit den Pirellis schwieriger, das Durchdrehen der Räder zu spüren und da in der Formel 1 Traktionskontrolle verboten ist, ist es eine delikate Sache, das zu kontrollieren. Der Unterschied zwischen den beiden Reifenmischungen wird im Qualifying-Trimm zwischen 0,8 Sekunden und einer Sekunde erwartet. Die Temperaturen werden ein entscheidender Faktor am Wochenende sein. Heiße Bedingungen werden die Teams dazu zwingen, die Reifen öfter zu wechseln.

Rennstrategie: Anzahl und mögliches Timing der Stopps

In Montreal wird dieses Wochenende der Schlüssel zur Strategie die Planung des schnellsten Rennens von Start bis Ziel. Weil das Überholen so einfach ist, ist die Streckenposition weniger wichtig als an vielen anderen Strecken. Das Wichtigste ist es, sich gut zu qualifizieren, das schnellste Rennen zu fahren und zu schauen, wo einen das am Ende rausbringt, denn es sollte keine Probleme beim Überholen geben. Es ist wichtig, während des Rennens so viel Zeit wie möglich freie Fahrt zu haben. Wenn sich ein Auto also nicht so gut qualifiziert wie erwartet, dann könnte ein Team eine aggressive Strategie versuchen, um seinem Fahrer freie Fahrt zu sichern.

Die Strecke wird sich im Laufe des Wochenendes stark entwickeln, Foto: Sutton
Die Strecke wird sich im Laufe des Wochenendes stark entwickeln, Foto: Sutton

Da sich die Strecke ständig entwickelt und schneller wird, ist es aber unwahrscheinlich, dass die Strategen zu Beginn des Rennens genug Daten haben, um sicher zu wissen, welcher der beiden Reifen der bessere ist. Es wird darauf ankommen, schnell auf das zu reagieren, was die anderen tun. Das könnte das Rennen zu einem der interessantesten und aufregendsten der Saison machen. Die Boxengasse in Montreal ist kurz und deswegen laufen Boxenstopps mit rund 18,7 Sekunden sehr schnell ab. Das verleitet die Strategen dazu, mehr Stopps zu machen.

Rein mathematisch ist eine Dreistopp-Strategie knapp schneller als zwei Stopps (anhand der Modelle in etwa eine halbe Position), besagt der UBS Strategy Report. Ein Stopp würde bedeuten, dass das Auto bei ihren letzten Stopps vor den Zwei- und Dreistoppern war, allerdings sollten sie den Einstopper in der Schlussphase des Rennens auf seinen abgefahrenen Reifen einfach überholen können. Ein Safety Car könnte das Blatt allerdings in Richtung des Einstoppers wenden.

Chancen auf ein Safety Car

Die Chancen auf ein Safety Car sind in Montreal mit 67 Prozent sehr hoch. Im Durchschnitt gibt es dort 0,8 Safety Car-Einsätze pro Rennen. Sieben der vergangenen zehn Kanada Grands Prix erlebten eine Safety-Car-Phase. Das liegt daran, dass die Strecke an Wänden entlangführt und es einige blinde Kurven gibt. Dort passieren häufig Unfälle und die Bedingungen für die Marshalls sind gefährlich, wenn sie nach einem Unfall aufräumen müssen.