Aus strategischer Sicht war der Abu Dhabi GP am vergangenen Wochenende sehr interessant. Unter den Top-10 gab es gleich sechs unterschiedliche Rennstrategien. Vor dem vorletzten Lauf des Jahres waren die meisten von zwei Boxenstopps ausgegangen, doch es gab einige Alternativen: Mark Webber stoppte auf dem Weg zum vierten Platz drei Mal, Paul Di Resta erzielte mit einem Ein-Stopp-Plan zwei WM-Punkte.

McLaren wagte etwas Mutiges beim ersten Stopp. Sie nahmen Jenson Button in derselben Runde rein wie den führenden Lewis Hamilton - zwischen beiden lag ein Fenster von nur zwölf Sekunden. Buttons Zeit in der Box war eine Sekunde langsamer als die seines Teamkollegen, doch es war ein kühner Plan und zeigte, wie viel Selbstvertrauen die Briten an diesem Tag besaßen. Die Top-3 verfolgten eine Zwei-Stopp-Strategie, mit einem langen, mittleren Stint auf den weichen Reifen für rund 24 Runden. Es folgte ein relativ kurzer Stint zum Schluss auf den Mediums.

Ferrari graut es vor den Mediums, Foto: Pirelli
Ferrari graut es vor den Mediums, Foto: Pirelli

Alonsos Plan klappte fast

Ferrari versuchte, den dem Auto besser liegenden Reifen zu nutzen, indem Fernando Alonso drei Runden länger draußen blieb als Hamilton. Sie wollten beim zweiten Boxenstopp angreifen, als das Team sah, dass der McLaren-Pilot nach seinem zweiten Reifenwechsel Zeit im Verkehr verlor. Es funktionierte fast. Alonso lang nur drei Sekunden zurück, als Hamilton in der 40. Runde in die Boxengasse abbog und der Spanier zwei starke Runden auf den abgenutzten Reifen fuhr, bevor er selbst wechselte.

Alonso war kurz hinter Daniel Ricciardos HRT und wollte keine Zeit verlieren, deshalb machte es Sinn, dann in die Box zu fahren, als er so ziemlich den richtigen Vorsprung auf Hamilton hatte (21 Sekunden). Doch unglücklicherweise für Alonso entschied sich HRT dazu, Ricciardo in derselben Runde an die Box zu rufen und so verlor Alonso Zeit hinter dem Australier auf dem Weg in die Boxengasse. Ein nicht optimaler Reifenwechsel kostete ihn dann die Chance, vor Hamilton herauszukommen.

Hamiltons souveränder Zieleinlauf, Foto: Sutton
Hamiltons souveränder Zieleinlauf, Foto: Sutton

Doch selbst wenn Alonso vor Hamilton auf die Strecke abgebogen wäre, hätte ihn der Brite wohl geschnappt, denn der McLaren kam mit den Medium-Mischungen besser zurecht als sein Ferrari-Pendant. Es wäre genau das gleiche Szenario gewesen wie früher in der Saison am Nürburgring. Doch Ferrari muss das Gefühl gehabt haben, dass Alonso ausreichend Vorsprung hatte, denn er war auf seinen alten Reifen noch schnell unterwegs.

Ein Mann mit vielen Strategien

Mark Webber war in dieser Saison schon auf zahlreichen Strategien unterwegs, vor allem, um nicht in den Verkehr zu geraten. Ein Umstand, den Teamkollege Sebastian Vettel in dieser Saison selten hatte, fuhr er doch meist an der Spitze. Webber startete das Rennen in Abu Dhabi mit einer Zwei-Stopp-Strategie im Hinterkopf, so wie die drei Fahrer vor ihm auf dem Podium. Beim Start verlor er eine Position an Alonso. Doch aufgrund von Vettels Ausfall kämpfte er mit Button um einen Platz auf dem Podium. Doch ein sehr langsamer Boxenstopp in der 17. Runde kostete ihn sechs Sekunden.

Es war ein - für Red Bull unüblich - verpatzter Reifenwechsel, rangieren die Bullen in Sachen Boxenstopp-Zuverlässigkeit doch gemeinsam mit Mercedes GP an der Spitze. Obwohl Button mit KERS-Problemen zu kämpfen hatte, war sein Vorsprung auf Webber nach diesem Stopp beträchtlich. Webber duellierte sich mit Felipe Massa um den vierten Platz. Der Brasilianer war in Abu Dhabi nicht gerade in berauschender Form und es war klar, dass Ferrari Probleme mit den Medium-Reifen hatte - das hatte sich bereits im Training angedeutet.

Strategie half nicht

Als sich Webber in der 35. Runde wieder einen Satz weicher Reifen abholte, war offensichtlich, dass er die Strategie geändert hatte. Doch es war nicht realistisch anzunehmen, dass es ihm helfen würde, Button zu kassieren. Denn so hätte er in den verbleibenden 20 Runden 31 Sekunden auf den McLaren-Piloten herausfahren müssen. Ein paar Mitglieder des Teams nahmen an, dass Webber stoppen musste, weil sein zweiter Satz Reifen nicht richtig funktionierte. Doch nachdem er Massa überholt und im Gegenzug wieder überholt wurde, steckte er hinter dem Ferrari fest. Der Reifenwechsel ermöglichte Webber also etwas anderes, um am Brasilianer vorbei zu kommen.

Webbers 2. Stopp klappte nicht, Foto: Sutton
Webbers 2. Stopp klappte nicht, Foto: Sutton

Ihm bot sich eine große Lücke im Verkehr, in die er reinstoßen und die Pace der frischen Reifen ausnutzen konnte. Es klappte, doch selbst wenn er hinter Massa geblieben und lediglich zwei Mal gestoppt hätte, hätte der Australier seinen Ferrari-Rivalen irgendwann kassiert, sobald beide auf Medium-Reifen unterwegs gewesen wären, auf denen Ferrari bekanntlich Probleme hatte. Massa erleichterte Webber das Leben noch, indem er sich drehte und generell langsam war.

Fragezeichen über Force India

Viele wunderten sich, warum Force India Paul Di Resta trotz starker Qualifying-Performance auf eine Ein-Stopp-Strategie setzte. Di Resta beendete das Rennen immerhin dort, wo er sowieso war - auf P9 hinter Adrian Sutil - doch die Strategie erlaubte es ihm nicht, seinen Teamkollegen wirklich herauszufordern. Der Medium-Reifen war langsamer als er hätte sein müssen, um einen Ein-Stopp-Plan möglich zu machen.

Schaut man sich den Plan von Force India einmal genauer an, versteht man die Entscheidung. Die Strategie sah vor, einen der beiden Fahrer auf Ein-Stopp und den anderen auf zwei Boxenstopps zu setzen. Da der indische Rennstall mit Sauber und Toro Rosso um den sechsten Platz in der Konstrukteursmeisterschaft kämpft - dabei geht es um viele Millionen Dollar - musste Force India die Möglichkeit abdecken, dass einer der Konkurrenten auf lediglich einen Stopp setzt. Eine Safety-Car-Phase wäre in diesem Fall wie ein Jackpot gewesen, ähnlich wie es schon im vergangenen Jahr in Abu Dhabi der Fall war.

Gewiefte Force Indias, Foto: Sutton
Gewiefte Force Indias, Foto: Sutton

Die Daten zeigten eine 50-prozentige Safety-Car-Chance an und wenn einer der Force-India-Rivalen es geschafft hätte, einen quasi freien Boxenstopp zu ergattern und somit die meiste Zeit des Rennens auf den weichen Reifen fahren zu können, hätte das ein Tiefschlag für Force India in Sachen Team-WM werden können. Diese Gelegenheit musste also abgedeckt werden.

Kein Risiko nötig

Die Mittelfeld-Teams fahren anders als die Top-Mannschaften. Die vorderen Teams sind gezwungen, das Rennen auf ihren Reifen aus dem Qualifying zu starten, außerdem gehen sie keine Risiken ein, weil es aufgrund der Performance der Autos nicht nötig ist. Zwischen den Top-3, Mercedes und den restlichen Teams herrscht eine recht große Lücke, was Fehler erlaubt. Deshalb würden sie niemals eine Ein-Stopp-Strategie riskieren sofern die Medium-Reifen nicht richtig arbeiten. Doch für das Mittelfeld geht es nur darum, Positionen gut zu machen und oftmals zahlen sich bestimmte Risiken aus.

Deshalb hat Force India schlau gehandelt. Nachdem sich beide Fahrer stark qualifiziert hatten, hielt Di Restas Plan das Mittelfeld von Sutil fern. Als der Deutsche in der 15. Runde die Boxengasse ansteuerte, hatte er auf den ärgsten Verfolger aus dem Mittelfeld bereits 15 Sekunden Vorsprung. Wenn dann noch das Safety Car herausgekommen wäre, wäre Di Resta der erste gewesen, der davon profitiert hätte. Dies ist ein großartiges Beispiel für die Tiefe, die in den strategischen Planungen steckt.