Obwohl der vergangene Indien GP nicht als atemberaubendes Rennen in die Geschichte eingeht, war er aus strategischer Sicht faszinierend aufgrund der beiden Reifenmischungen, die Pirelli den Teams an die Hand gegeben hatte. Wie schon so häufig in diesem Jahr, verlief der Grand Prix nicht wie erwartet - er war sogar eine ziemliche Überraschung, wie der UBS-Strategie-Bericht aufzeigt.

An der Spitze ließ Sebastian Vettel gegen Verfolger Jenson Button nichts anbrennen. Obwohl der McLaren-Pilot zu Beginn eines jeden Stints näher heran kam, hatte der Weltmeister ausreichend Speed, immer wieder einen Vorsprung von fünf Sekunden heraus zu fahren. Mit diesem Abstand konnte Vettel gut leben. Es erlaubte ihm, zwar eine Sekunde auf Button einzubüßen, dafür allerdings eine Runde später seinen Boxenstopp zu absolvieren. Im Falle eines verpatzten Stopps hätte er außerdem noch ausreichend Zeitvorsprung gehabt.

Button macht Druck

Generell wollte Vettel im Verlaufe dieser Saison immer einen Vorsprung von sieben oder acht Sekunden herausfahren - die fünf, die er die meiste Zeit am Sonntag hatte, waren Beweis dafür, dass der Brite Druck machte. Es war also nicht so einfach für Vettel, wie es vielleicht den Anschein erweckte. Der Plan hinter Vettels Renn-Management sieht vor, nicht zu hart pushen zu müssen und so zu riskieren, dass die Reifen plötzlich am Ende sind. Als Führender reagiert er immer auf die Verfolger und legt als letzter seinen Stopp ein. Er will sich selbst nicht in eine Position versetzen, in der er Probleme mit den Pirellis bekommen könnte.

Vettel allein auf weiter Flur, Foto: Red Bull
Vettel allein auf weiter Flur, Foto: Red Bull

Aufgrund des Performance-Unterschiedes zwischen den harten und den weichen Reifen war es wie immer der Schlüssel, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, wann ein Satz neuer, harter Mischungen schneller war als ein Satz gebrauchter weicher. Mark Webbers Rennen war in vielerlei Hinsicht ein Spiegelbild seines bisherigen Saisonverlaufes. Beim Start verlor er eine Position, hatte dann einen stärkeren Reifenabbau als seine Rivalen und stand deshalb in Sachen Strategie mit dem Rücken zur Wand.

Die Achillesferse des Australiers

Webber kämpfte mit Fernando Alonso um den dritten Platz, nachdem sich der Ferrari-Pilot beim zweiten Boxenstopp vorbei gesetzt hatte. Nach dem Rennen sagte der Spanier, dass er überrascht sei angesichts des frühen Boxenstopps von Webber. In der 35. Runde hatte Webber einen Vorsprung von rund zwei Sekunden, als seine Reifen anfingen, abzubauen. In Runde 36 verlor er eine Sekunde auf Alonso. Webbers mittlerer Stint dauerte nur 21 Runden, bevor seine Reifen abbauten - das sind sieben Runden weniger als bei Vettel im gleichen Auto sowie bei Button.

Das ist Webbers Achillesferse in dieser Saison. Alonso gab zwei Runden lang richtig Gas und konnte dann nach seinem Stopp vor Webber wieder auf die Strecke abbiegen. Webbers Misere ist noch schwieriger zu erklären, wenn man sich vor Augen führt, dass die Pirelli-Reifen an diesem Wochenende wesentlich langlebiger waren als erwartet. So fuhr Michael Schumacher 32 Runden auf einem Satz weicher Reifen in seinem zweiten Stint - dazu muss allerdings gesagt sein, dass seine Reifen keine Qualifying-Runden hinter sich hatten.

Webbers ärgerliche Geschichte

Rückblickend hätte Pirelli an diesem Wochenende die weichen und superweichen Reifen einsetzen können, doch sie besaßen überhaupt kein Wissen über diese neue Strecke. Außerdem hätten die Temperaturen wesentlich höher sein können, also war Pirellis Wahl wohl die sicherste.

Webber und die Reifen..., Foto: Sutton
Webber und die Reifen..., Foto: Sutton

Obwohl er manchmal über eine gute Pace verfügt, gehören die schlechten Starts in diesem Jahr zu Webbers Geschichte. Durch sie gerät er immer wieder in den Verkehr, was seine Reifen noch mehr beansprucht. Ohne überragenden Topspeed in seinem RB7 hat er zudem häufiger Schwierigkeiten zu überholen. Dadurch, dass er an höherem Reifenverschleiß leidet, verliert er seine strategische Freiheit - er muss jedes Mal früher die Boxengasse ansteuern als die Konkurrenz.

Wie Schumacher gegen Rosberg siegte

Es war ein weiteres starkes Rennen von Michael Schumacher. Zum dritten Mal setzte er sich in den vergangenen Rennen gegen Teamkollege Nico Rosberg durch, in denen beide die Zielflagge sahen. Schumacher startete als Elfter vier Plätze hinter Rosberg, doch dank eines großartigen Starts war er schnell hinter dem 26-Jährigen. Am Ende seines ersten Stints steuerte er eine Runde später die Boxengasse an und konnte einen Satz frischer, weicher Reifen aufziehen lassen, während Rosberg welche benutzte, die schon Runden aus dem Qualifying drauf hatten.

Es war Schumachers mittlerer Stint, der ihn letztlich vor Rosberg brachte. Auf diesem Satz fuhr er 32 Runden - vier mehr als sein Silberpfeil-Teamkollege. Als Rosberg in der 45. Runde auf die harten Reifen wechselte, hätte er fünf Runden lang schneller sein müssen als Schumacher auf seinen gebrauchten Weichen, bevor dieser selber wechselte. Doch Schumacher behielt seine Pace bei und fuhr 1:29er-Zeiten, während Rosberg diesen Speed auf den neuen Reifen nicht gehen konnte.

Schumacher vor Rosberg, Foto: Mercedes GP
Schumacher vor Rosberg, Foto: Mercedes GP

Schumacher legte seinen zweiten Stopp in der 50. Runde ein und überholte seinen jüngeren Kollegen. Die beiden durften offen fahren, doch Schumacher bekam die harten Reifen schneller ans Arbeiten als Rosberg und hielt ihn so in Schach. Mercedes fuhr in Indien sein eigenes Rennen: für die Spitze waren sie zu langsam, für das Mittelfeld zu schnell.

Di Restas Konterstrategie funktionierte nicht

Vor dem Rennen lautete der Plan, den harten Reifen im Rennen möglichst wenig zu nutzen. Doch es stellte sich heraus, dass die harte Mischung keine schlechte Wahl für das Rennen war. Das kam allerdings erst heraus, nachdem Paul Di Resta, Vitaly Petrov und Sergio Perez früh ihren ersten Stopp einlegten, um die harten Reifen los zu werden. Di Resta wechselte bereits in der zweiten Runde und hoffte wohl auf eine Safety-Car-Phase, um die dadurch verlorene Zeit wieder reinzuholen. In letzter Zeit bog Bernd Mayländer schließlich immerhin fünf Mal auf die Strecke ab.

Außerdem gingen die Teams davon aus, dass Charlie Whiting auf der neuen Strecke, die lange mit Staub eingedeckt war, bei einem Zwischenfall kein Risiko eingehen und das Rennen einfach weiter laufen lassen würde. Doch es passierte nichts, was eine Safety-Car-Phase nach sich gezogen hätte. Di Resta war nun für den Rest des Rennens dem weichen Reifen verpflichtet. Doch statt wie Petrov und Perez noch ein weiteres Mal zu stoppen, musste der Force-India-Pilot noch zwei Mal in die Box, weil seine Reifen nicht lang genug hielten.

Barrichello gibt Aufschluss

Einen ersten Aufschluss darüber, dass der harte Reifen schneller war als erwartet, brachte Rubens Barrichello. Nach einer Kollision wechselte der Williams-Mann in der ersten Runde auf den harten Reifen - als er freie Fahrt hatte, waren seine Rundenzeiten durchaus konkurrenzfähig. Also hätte das Trio Di Resta, Petrov und Perez ruhig einen längeren ersten Stint fahren können. Auf der ersten Runde fuhr Di Resta als 13. hinter den beiden Toro Rossos und mit einer normalen Strategie wären er und Adrian Sutil hinter dem STR-Duo ins Ziel gekommen.

Di Resta ging Risiko, Foto: Sutton
Di Resta ging Risiko, Foto: Sutton

Es ist so eine Sache, wenn man sich selbst aus dem Rennen befördert, weil man in Erwartung eines Safety Cars früh seinen Boxenstopp einlegt. Vor allem, wenn man in einer konkurrenzfähigen Situation steckt. Force India besitzt ein schnelles Auto, das immer für Punkte gut ist und selbst Mercedes ein paar Mal besiegt hat. Doch ihnen war klar, dass sie mit Blick auf die Teamwertung nicht viele Punkte herschenken konnten, wenn das Safety Car die Sache gedreht hätte.

Also gingen sie auf Risiko unter der Annahme, dass das Safety Car bestimmt wieder auf die Strecke abbiegen würde. Eigentlich ging es dabei nur um einen WM-Punkt, also wurde nicht viel verloren. Es war ein Risiko, das man guten Gewissens eingehen konnte, wenn man sich vor Augen führt, dass eine Safety-Car-Phase die beiden Toro Rossos auf dem falschen Fuß hätte erwischen können.

Toro Rosso auf dem Weg nach oben

Jaime Alguersuari lieferte ein ordentliches Rennen ab und wurde Achter. Der Toro Rosso bestach wieder einmal durch seinen geringen Reifenverschleiß, doch das Überraschende war, dass er im zweiten Stint Sutils Force India davon fahren konnte. Wenn man bedenkt, dass die Inder noch vor ein paar Rennen über Mercedes siegten, dann zeigt das, wie weit Toro Rosso gekommen ist.

Seit Singapur hat sich das kleine Schwesterteam von Red Bull erstaunlich verbessert. Die Kombination aus neuem Front- und Heckflügel sowie einem neuen Unterboden und verbesserten Mappings haben das Auto wirklich verwandelt.