Dass es nicht unkompliziert ist, in einem Land, in dem ein Großteil der Bevölkerung – Wirtschaftswachstum hin oder her – ganz andere Probleme hat als die Formel 1, einen Grand Prix zu veranstalten, ist klar. Vor allem, wenn nicht, wie etwa in Bahrain, Singapur oder auch Korea, der Staat hinter dem ganzen Event steht, sondern ein privater Veranstalter, Jaypee Sports. Insofern ist es sicherlich keine schlechte Leistung, dass hier bei der indischen Formel-1-Premiere 60 Kilometer von Neu Delhi entfernt eine Rennstrecke steht, die zumindest bei den Fahrern großen Anklang findet, als sehr interessant und abwechslungsreich beurteilt wird, und bei der das für das reine Rennen entscheidende, die Strecke, der Belag und die Sicherheitsvorkehrungen funktionieren – vom Hund auf der Strecke am Freitag einmal abgesehen.

Rundum gab und gibt es in so einem Fall natürlich das ein oder andere Problem, ob die berühmt-berüchtigte indische Bürokratie, die auch die Fahrer zur Verzweiflung brachte, wenn sie 60 bis 70 Seiten Dokumente für ihre Einreise- und Steuerformalitäten unterschreiben mussten, die die Visa-Anträge für alle Beteiligten, auch die Medien, sehr kompliziert machte – wenn man nicht gerade das Glück hatte, etwa bei der für das Münchner Konsulat arbeitenden Agentur auf eine sehr hilfsbereite Mitarbeiterin zu stoßen, die dann alles wirklich in kürzester Zeit aussortierte, oder die anfangs immer noch häufigen Stromausfälle im Fahrerlager, die die Teams in ihren Hospitalities nervten – und am Donnerstag auch für eine kurze Unterbrechung der FIA-Pressekonferenz sorgten.

Sebastian Vettel lernte schon viel von Indien kennen, Foto: Red Bull
Sebastian Vettel lernte schon viel von Indien kennen, Foto: Red Bull

Grundsätzlich öffnet Indien denjenigen im Formel-1-Zirkus, die zu jung sind, um etwa Brasilien vor 20, 25 Jahren noch miterlebt zu haben, und die bereit sind, sich auch darauf einzulassen, die Augen über Realitäten in der Welt jenseits ihres eigenen goldenen Käfigs. Sebastian Vettel zum Beispiel, als er am Mittwoch einen Ausflug zum knapp 200 Kilometer entfernten Tadsh Mahal unternahm und auf dem Weg viel von indischer Lebensrealität außerhalb der Nobelviertel Dehlis zu sehen bekam – und sich seine Gedanken machte. "Auf der Fahrt hin und zurück lernst du so viel über das Land, wie die Leute hier leben, es ist sehr inspirierend. Die Menschen waren sehr glücklich und immer freundlich. Obwohl der Lebensstandard im Vergleich zu Europa viel niedriger ist, macht es für sie keinen Unterschied - sie sind zufrieden. Dadurch lernst du Dinge viel mehr schätzen, die du als gegeben ansiehst."

Worauf sich natürlich viele fragen: Hat die Formel 1 in einem Land wie Indien – zumindest jetzt schon – etwas zu suchen? Was auf jeden Fall auffällt: Selbst wenn für den größten Teil der Bevölkerung auch die billigsten Tickets, die etwa 40 Euro kosten, unerschwinglich sind – eine gewisse Fanbasis ist da, Interesse am Motorsport durchaus vorhanden – im Gegensatz etwa zu Korea. Es gibt eine Basis, eine durchaus lebendige Kart-Szene, in einem Formel-Rennen im Rahmenprogramm starten acht junge Inder, in der Formel 1 gibt es mit Force India ein Team, das in indischem Besitz ist, Teamchef Vijay Mallya tut inzwischen mit einem Nachwuchsprogramm auch einiges für die Förderung junger indischer Talente...

Der Budhh International Circuit hat neue Jobs geschaffen, Foto: Sutton
Der Budhh International Circuit hat neue Jobs geschaffen, Foto: Sutton

Einige, vor allem britische, Kollegen, ereiferten sich dann in einer Mischung aus viel alt-kolonialer Überheblichkeit und einem pseudo-sozialen Gewissen, dass sie sonst selten an den Tag legen, über Lebensumstände und Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter rund um die Strecke, sehr niedrige Löhne, sehr schlechte Wohnbedingungen. Ganz klar - das ist nicht schön, hat aber mit der Formel 1 an sich nichts zu tun, sondern ist Realität in jedem Schwellenland. Und, fairerweise: Bei einem kurzen Ausflug ins "Barackenviertel" in der Großbaustelle "Greater Noida" finden sich auch sehr viele Arbeiter, die es toll finden, dass die Formel 1 in die Gegend kam – weil die ganzen Bauarbeiten neue Jobs geschaffen haben, die es vorher überhaupt nicht gab.

Wer sich längere Zeit mit Schwellenländern beschäftigt, vielleicht sogar einmal dort lebt, ob das nun Indien ist oder etwa Brasilien, merkt schnell, dass die Dinge nicht schwarz-weiß sind, dass man auch nicht immer von Anfang an westliche Maßstäbe überstülpen darf, und dass vielleicht auch nicht jeder Protest so hundertprozentig gerechtfertigt ist. Wenn selbst vor Ort recherchierende Spiegel-Korrespondeten herausfinden, dass angeblich "enteignete" Bauern mit 37 000 Euro für 3000 Quadratmeter Land entschädigt wurden... Das ist in einem Land, wo knapp ein Drittel der Bevölkerung weniger als einen Euro am Tag zum Leben hat, eine Menge Geld...

Indien: Die Formel 1 zwischen den Welten, Foto: adrivo Sportpresse
Indien: Die Formel 1 zwischen den Welten, Foto: adrivo Sportpresse

Freilich, an einem Punkt muss sich die Formel 1 sehr wohl Gedanken machen: Dort, wo nämlich durch eigene Gedanken- und Interesselosigkeit unnötig Menschen schlecht behandelt werden – und wo eigentlich ganz leicht Abhilfe zu schaffen wäre. Dass die indischen Fahrer der Teamautos und Busse hier den ganzen Tag auf einem Parkplatz in der prallen Sonne warten müssen, wo es nicht einmal einen Stand mit Essen oder Getränken gibt, so dass an einem Tag sogar einer umkippte.

Vitaly Petrovs Managerin Oksana Kosatchenko lief dann mehrfach hinüber, um zumindest die Renault-Leute entsprechend zu versorgen. Als sie das Problem an oberster Stelle bei der FOM vorbrachte, stieß sie dort freilich nur auf Desinteresse, das sei Sache der Teams... Einige versuchten es ja auch, so brachten etwa auch die Catering-Leute von Mercedes ihren Helfern wieder mal etwas: "Aber wir bekommen da auf die Dauer natürlich auch ein Zeitproblem, es ist ja nicht der nächste Weg." Zumindest da für nächstes Jahr Abhilfe zu schaffen, das kann doch wirklich nicht so schwer sein!