In Bezug auf die Strategie entwickelte sich dieses Rennen nicht unbedingt so, wie es zuvor erwartet worden war. Der Schlüsselaspekt, auf den sich die Strategen am Samstag konzentriert hatten, war der Reifenverschleiß in Abhängigkeit der Temperaturen, besonders in Bezug auf die Hinterreifen. Dieser kommt vor allem auf Grund der hohen Temperaturen der Reifenoberfläche, die durch das Bremsen, die Traktion und die hohe Spritzuladung entstehen, beim Start zustande. Der Benzinverbrauch auf der Strecke in Singapur ist hoch - die Autos waren daher am Start zehn Kilogramm schwerer, als bei einem normalen Formel-1-Rennen.

Vor dem Rennen wurde an der Spitze über eine Drei-Stopp-Strategie spekuliert und so war es bei den führenden vier Autos am Ende dann auch. Aber der Ablauf war so nicht vorhergesehen und wenn das Safety Car noch ein paar Runden länger als nur vier Umlaufe auf der Strecke geblieben wäre, hätten wir vielleicht einige strategische Wechsel auf zwei Stopps zu sehen bekommen. Einen Fahrer gab es aber dennoch, bei dem die Zwei-Stopp-Variante funktionierte und der dadurch sogar ein Beispiel lieferte, auf das auch alle Top-Teams reagierten, indem sie ihn kopierten.

Di Resta und Force India lagen goldrichtig

Paul di Resta setzte in Singapur gegen den Trend und lag damit mehr als nur goldrichtig, Foto: Sutton
Paul di Resta setzte in Singapur gegen den Trend und lag damit mehr als nur goldrichtig, Foto: Sutton

Als in der Startaufstellung die Heizdecken von den Rädern der Autos genommen wurden, stach der zehntplatzierte Paul di Resta sofort ins Auge. Er und sein Team hatten sich für den weichen Reifen entschieden, wohingegen alle anderen Top-10-Autos auf den superweichen Pneus losfuhren - darunter auch sein Teamkollege Adrain Sutil auf Rang neun und der achtplatzierte Michael Schumacher, die beide vor dem Start wählen konnten, mit welcher Mischung sie gerne ins Rennen gehen wollten, da sie in Q3 keine Rundenzeit hingelegt hatten. Diese Rennstrategie war am Samstag schon geplant gewesen, bevor das Qualifying überhaupt begonnen hatte.

Force India hatte im Training realisiert, dass sie eine gute Geschwindigkeit für das Rennen haben würden und einige Hinweise, dass man über die Distanz sogar schneller sein könnte als Mercedes, obwohl man in Q2 noch eine halbe Sekunde langsamer war. Ihnen war aber aufgefallen, dass Mercedes schon fast die ganze zweite Saisonhälfte über mit dem Reifenabbau in Schwierigkeiten steckte und man durch einen Start auf den härteren Reifen so einen Stopp weniger machen könnte als die Konkurrenz. Zudem hatten sie die Vorahnung, dass der Unterschied zwischen dem weichen und dem superweichen Pirelli sich im Rennen als geringer, als ursprünglich erwartet worden war, herausstellte - das war der Schlüssel zu ihrem Erfolg im Rennen.

Nico Rosberg litt auf dem Stadtkurs unter dem hohen Reifenverschleiß seines Mercedes, Foto: Sutton
Nico Rosberg litt auf dem Stadtkurs unter dem hohen Reifenverschleiß seines Mercedes, Foto: Sutton

Mit dieser Strategie im Hinterkopf entschloss man sich dazu, in Q3 nicht zu fahren und Di Resta plante einen längeren ersten Stint auf den weichen Reifen ein. Währenddessen fuhren die Autos, gegen die er kämpfte - Sutil, Schumacher und Rosberg - alle mit gebrauchten superweichen Reifen los. Bei Sutil war das der Fall, weil er im zweiten Qualifying-Abschnitt schon zwei Reifensätze verwendet hatte. Das stellte sich für ihn im Rennen als Problem heraus, da er auf dem gebrauchten Satz im ersten Stint nicht lange genug fahren konnte. Mercedes war derweil durch einen etwas kleineren Tank eingeschränkt und dadurch dazu gezwungen, den angeblasenen Diffusor nicht voll auszunützen, da dieser den Spritverbrauch erhöht.

Mercedes entschied sich falsch

Rosberg musste in Runde neun früh stoppen, Sutil kam im elften Umlauf herein - Di Resta fuhr hingegen bis in Runde 19. Was passiert war, war nun nicht mehr nur Force India bewusst, sondern auch allen anderen Teams: Es war sehr wohl möglich, im Vergleich zu den superweichen Reifen, auch auf der weichen Mischung eine sehr gute Geschwindigkeit beizubehalten. Während des ersten Stints wurde allen klar, dass das der Weg war, den man gehen musste. Somit zogen Vettel, Button, Webber und Alonso bei ihrem ersten Stopp allesamt neue weiche Reifen auf - was Pirelli so eigentlich nicht vorhergesagt hatte. Stattdessen reagierten alle aber lieber auf das, was Di Resta ihnen zeigte.

In den ersten Runden war Sutil schneller, aber ab der sechsten Runde konnte Di Resta mithalten und seine Rundenzeiten angreifen. Als die superweiche Mischung auf Grund der Temperaturen und schweren Spritzuladung besonders auf den Hinterreifen abbaute, war klar, dass Di Resta auf dem besten Reifen war. Die Force-India-Boliden kamen vor Rosberg, als der Mercedes-Fahrer in Runde 22 seinen zweiten Stopp machen musste. Auf, im Vergleich zu Sutils weichen Pneus, dann acht Runden jüngeren superweichen Reifen, überholte Di Resta den Deutschen in Runde 26 - enorm wichtig, da kurz darauf bedingt durch Schumachers Unfall das Safety Car auf die Strecke kam.

Für Michael Schumacher wäre mit einer anderen Reifenstrategie in Singapur wohl mehr drin gewesen, Foto: Sutton
Für Michael Schumacher wäre mit einer anderen Reifenstrategie in Singapur wohl mehr drin gewesen, Foto: Sutton

Beide Force Indias kamen dann während der Safety-Car-Phase an die Box, genauso wie Rosberg. Das Team musste Sutil beim Stopp aber zurückhalten, weil Perez an die Box kam - das kostete ihn vier Sekunden und eine Position an Rosberg. Nun waren alle drei Piloten auf neuen weichen Reifen und Di Resta fuhr auf dem Weg zum mit Platz sechs besten Resultat seiner bisherigen Karriere den anderen beiden Fahrern im letzten Stint auf und davon. Rückblickend ist es überraschend, dass nicht mehr Fahrer auf den weichen Reifen losgefahren sind. Nur die Virgin-Piloten, Kobayashi und Petrov taten dies. Force India hatte vor dem Hintergrund seiner bisherigen Strategieentscheidungen in dieser Saison mit Sicherheit auch gedacht, dass Perez es ebenso machen würde.

Es stellt sich die Frage, warum Schumacher nicht die gleiche Strategie wie Di Resta ausprobierte - immerhin hatte er die Wahl. Anders als Di Resta hatte Schumacher sogar noch mehr superweiche Reifen gespart und war mit drei aufeinanderfolgenden Stints auf den superweichen Reifen und einem letzten Stint auf der weichen Mischung auf der "schnellstmöglichen" Rennstrategie gewesen. Diese "Sprint-Strategie" zwang ihn aber dazu, sehr hart anzugreifen - wie sich zeigte, griff er ein bisschen zu hart an und traf in Runde 29 Perez, wodurch das Safety Car ausrücken musste.

Wem half das Safety Car?

Wann auch immer es ein Safety Car gibt, gibt es immer auch Gewinner und Verlierer. Lewis Hamilton half es, denn so konnte er, nachdem er auf Grund eines extra nötigen Stopps für den Wechsel seiner Nase und der Durchfahrtsstrafe viel Zeit verloren hatte, wieder aufschließen. In der 15. Runde war er bereits zum dritten Mal an der Box.

Jenson Button konnte hinter dem Safety Car wieder etwas auf Sebastian Vettel aufholen, Foto: Sutton
Jenson Button konnte hinter dem Safety Car wieder etwas auf Sebastian Vettel aufholen, Foto: Sutton

Auch den Führenden half das Safety Car, weil der langsame Verkehr ein echtes Problem war und das ganze Feld nach der halben Renndistanz so gebündelt wurde - die Top-Autos konnten sich also die Hälfte aller Überrundungen sparen, die sie sonst hätten machen müssen. Auch wenn Button dadurch geholfen wurde, weil so die 18 Sekunden Rückstand auf Vettel verschwanden, bedeuteten die neuen Regeln für überrundete Fahrzeuge, dass er beim Restart Trulli, Liuzzi und Kobayashi zwischen sich und dem Red-Bull-Fahrer hatte. Bis er an diesen vorbei war, war Vettel schon wieder zehn Sekunden vor ihm.

Und zum Abschluss eines Tages voller "reagierender Strategien", sahen wir, wie sich in den Schlussrunden des Rennens die Top-Teams gegenseitig mit einem zusätzlichen Boxenstopp für superweiche Reifen neutralisierten. Als der drittplatzierte Webber in Runde 47 hereinkam, konterte Button diese Entscheidung durch einen Stopp in Runde 48. Der in Führung liegende Vettel kam wiederum in Runde 49 an die Box.

Auch wenn er sich durch einen weiteren guten Start die Möglichkeit auf eine Podestplatzierung verschaffte, konnte Alonso in Sachen Strategie wenig ausrichten, weil der Ferrari auf beiden Reifenmischungen zu langsam war - anders als noch in Monaco und Ungarn, wo er auf den gleichen Mischungen ziemlich konkurrenzfähig war. Hier war der Reifenverschleiß für Ferrari aber schlimmer als erwartet, wodurch sie dazu gezwungen waren, nur im ersten Stint auf den superweichen Reifen zu fahren und die folgenden drei auf den weichen Pneus.