Nick Wirth war von Kindesbeinen an von Technik und Autos fasziniert. Der Weg des 1966 geborenen Briten schien somit also vorgezeichnet. Dass Wirths Leidenschaft für schnelle Dinge, wie aus Chemikalien selbst gebastelte, aber hoch explosive Raketen oder das rechtswidrige Autofahren im zarten Alter von 14, ihn schon früh in Schwierigkeiten brachte, zieht sich jedoch ebenso durch die Vita des Ingenieurs. Trotzdem war Wirth auch Wunderkind und nach seinen Studium am University College London, der jüngste Absolvent des Royal Institute of Mechanical Engineers.

Die March-Boliden waren wie hier in Belgien 1988 gut unterwegs - verantwortlich für die positive Überraschung war neben Adrian Newey auch Nick Wirth, Foto: Sutton
Die March-Boliden waren wie hier in Belgien 1988 gut unterwegs - verantwortlich für die positive Überraschung war neben Adrian Newey auch Nick Wirth, Foto: Sutton

Dieser beeindruckende Start brachte ihn in die beste Ausgangsposition, um beruflich in die Vollgas-Branche einzusteigen. Wirth begann seine Laufbahn im Motorsport bei March, wo er in den späten 1980er-Jahren als Aerodynamiker anfing. Dort arbeitete er auch zusammen mit Adrian Newey, dem heute hoch angesehenen Star-Desiger von Red Bull Racing, dem scheinbar jedes Jahr ein neues Wunderauto zu gelingen scheint. Wirth war zusammen mit Newey bei March auch am Bau des 1988-er Boliden des Teams beteiligt, der bis heute als Meisterstück und seiner Zeit weit voraus gilt. Auch wenn das Auto ob der mangelnden finanziellen Ressourcen und fehlender Haltbarkeit keine großen Erfolge erzielen konnte, galt das Grundkonzept als revolutionär.

Ein Angebot als Chefdesigner bei Ligier schlug Wirth, der sich zu dieser Zeit bereits mit Konzepten der computergesteuerten Radaufhängung auseinandersetzte, noch aus. Doch anstatt Newey dauerhaft zu folgen und weiter an der Verbesserung der bahnbrechenden Ideen mitzuwirken, entschied sich Wirth für einen anderen Karriereweg. Der heute 45-Jährige wollte nicht im Schatten stehen und seinerseits immer weiter und höher hinaus. Bereits 1989 gründete er daher zusammen mit dem späteren FIA-Präsidenten Max Mosley die Motorsporttechnologiefirma Simtek Research, die auch auch die Einrichtung von Windkanälen zuständig war.

Der ganze Stolz - Präsentation des ersten Simtek Ende 1993, Foto: Sutton
Der ganze Stolz - Präsentation des ersten Simtek Ende 1993, Foto: Sutton

Ein Jahr später war er an einem Geheimprojekt von BMW beteiligt und hatte den Auftrag einen Formel-1-Boliden für die Münchner Autobauer zu entwerfen. Das Projekt wurde jedoch wieder eingestampft und somit musste Wirth etwas länger auf seine Rückkehr in die Königsklasse des Automobilrennsports warten. 1993 scheiterte ein erneuter Einstiegsversuch mit einem also Bravo F1 geplanten Team noch am plötzlichen Tod von Projektgründer Jean Mosnier. 1994 folgte daher als letzte Konsequenz dann endlich der Einstieg in die Formel-1-Weltmeisterschaft mit einem eigenen Rennstall unter dem Namen Simtek - doch dieser endete in einem Desaster.

Eigenes Projekt mit Simtek-Ford

Roland Ratzenberger kurz vor dem Imola-Unglück im Simtek-Ford - Wirths erster Eigenkonstruktion in der Formel 1, Foto: Sutton
Roland Ratzenberger kurz vor dem Imola-Unglück im Simtek-Ford - Wirths erster Eigenkonstruktion in der Formel 1, Foto: Sutton

Schon beim dritten Rennen der Saison verunglückte der Österreicher Roland Ratzenberger mit dem Simtek S941 im Qualifying zum Großen Preis von San Marino 1994 tödlich. Ganz plötzlich war Wirths Team im Zentrum des schwarzen Wochenendes von Imola, an dem auch der legendäre Ayrton Senna sein Leben verlor und ein Teil ganz dunkler Motorsportgeschichte. Dass bei Ratzenbergers tödlichem Unfall der wohl in der Runde zuvor leicht beschädigte Frontflügel brach, warf zudem kein gutes Licht auf das Team und auch die Bilder des Unglückswagens auf allen Gazetten halfen dem Team nicht gerade weiter, sondern waren für die Sponsoren um Hauptgeldgeber MTV eher ein Grund, sich wieder zurückzuziehen.

Nachdem es auch sportlich nicht gut für die Nachzügler-Mannschaft lief und Wirths Ideen auf der Strecke scheinbar nicht so einfach umzusetzen waren, ging Simtek schon bald das Geld aus. In der Folge musste Wirth, der als Teamchef und Technischer Direktor fungierte, im Juni 1995 mit seinem Rennstall Konkurs anmelden und das Formel-1-Engagement beenden. Doch der Brite wollte um jeden Preis in der Serie bleiben und schaffte den Absprung zu Benetton. Das Team wurde in den beiden Vorjahren Weltmeister - als Wirth 1996 jedoch als Chefdesigner bei Benetton andockte, war Michael Schumacher gerade in Richtung Ferrari verschwunden - und mit ihm scheinbar auch der Erfolg.

Auch der Benetton von 1997 stammte aus der Feder von Nick Wirth - Jean Alesi und Gerhard Berger konnten darin jedoch nicht an die großen Erfolge der Vorjahre anknüpfen, Foto: Sutton
Auch der Benetton von 1997 stammte aus der Feder von Nick Wirth - Jean Alesi und Gerhard Berger konnten darin jedoch nicht an die großen Erfolge der Vorjahre anknüpfen, Foto: Sutton

Zwar erholte sich das italienische Team 1997 wieder etwas und konnte einige Achtungserfolge verbuchen, allen voran Gerhard Bergers Sieg in Hockenheim - der stetige sportliche Abstieg war auf Dauer jedoch nicht mehr zu vermeiden und an die Glanzzeiten der Vorjahre konnte man nicht mehr anknüpfen. Wirth war zwar noch bis 1999 bei Benetton tätig, seinem Ansehen taten die schwächer werdenden Leistungen seiner Boliden jedoch nicht gerade gut. Nach dem Kapitel Benetton war für Wirth in der Königsklasse daher erst einmal Schluss.

Der Ingenieur wagte in der Folge einen großen Karrieresprung und arbeitete fortan erst einmal in der Robotertechnik. Dort entwarf er unter anderem Roboterhunde, was ihm bei seiner späteren Rückkehr in die Formel 1 natürlich viel Spott einbrachte. Doch die Königsklasse hatte dem Briten wohl einfach keine Ruhe gelassen - er wollte sich noch ein weiteres Mal beweisen. Schon 2003 hatte er seine Firma Wirth Design gegründet. Im Zentrum stand dabei seit jeher CFD (Computational Fluid Dynamics), ein neuartiges Computer-Programm zur virtuellen Veranschaulichung von Luftströmungen, das besonders gut für aerodynamisch optimale Konstruktionen geeignet ist.

Der CFG-Wing

Mit dieser neuen Technologie glaubte Wirth endlich den Durchbruch zu schaffen. Bereits Mitte des vergangenen Jahrzehnts war er daher mit seinen visionären Ideen bei der Motorsportbehörde FIA vorstellig geworden und stieß sogar auf Gehör. Den Verantwortlichen war damals scheinbar jedes Mittel Recht, um die durch die Schumacher-Dominanz eintönig und langweilig gewordene Formel 1 wieder spannender zu gestalten. Wirth sollte zeigen, wie sein Ansatz zur Problemlösung wäre und dieser ließ Spektakuläres folgen.

Der CDG-Flügel war der FIA am Ende dann doch etwas zu gewagt, Foto: FIA
Der CDG-Flügel war der FIA am Ende dann doch etwas zu gewagt, Foto: FIA

Der sogenannte CDG-Wing (Centreline Downwash Generating Wing) war ein zweigeteilter Heckflügel, der die als Dirty Air berüchtigten Turbulenzen hinter einem F1-Auto verringern und so Überholmanöver wieder salonfähig machen sollte. Für die Konzipierung des merkwürdig aussehenden Ansatzes setzte Wirth in Zusammenarbeit mit dem Computerchiphersteller AMD gänzlich auf CFD. Doch der FIA war die ganze Angelegenheit, besonders vor dem Hintergrund fehlender Praxiswerte und rein virtueller Erprobung am Ende doch zu heiß. Man ließ die Finger davon, wenngleich man den CDG-Wing als "interessante Idee" bezeichnete.

Der weitere Rückschlag tat der CFD-Begeisterung Wirths jedoch keinen Abbruch - ganz im Gegenteil. 2007 entwickelte seine Firma die Acura LMP1 und LMP2 Boliden für die American Le Mans Series und setzte dabei ausschließlich auf das System. Dieser Plan ging zur Überraschung aller Außenstehenden erstmals auf: Beide Boliden gewannen in der Saison 2009 ihre jeweilige Klasse, was Wirth bis heute als Beweis dafür anführt, dass sein virtueller Ansatz funktionieren würde. Die Konkurrenz war damals jedoch äußerst schwach, was den CFD-Guru allerdings nicht zu interessieren schien.

Mehr denn je von seiner Technologie überzeugt und beflügelt vom zwischenzeitlichen Erfolg stürzte er sich in das nächste Projekt: Ein erneuter Formel-1-Einsteig, diesmal unter tatkräftiger Mithilfe von Virgin-Milliadär und Unterstützer Richard Branson. Nach der Fusion mit dem britischen Rennstall Manor entstand daraus Virgin Racing-Cosworth, bei denen Wirth seit 2010 als Technischer Direktor tätig war. Erneut wollte er sich mit seinem revolutionären Konzept durchsetzen und vertraute auch in der F1 rein auf CFD.

CFD als einziger Weg

Weg mit der teuren, aufwändigen und langwierigen Windkanalarbeit, weg mit den ähnlich teuren, aufwändigen und langwierigen Testfahrten und her mit der kostengünstigen, aber trotzdem absolut zuverlässigen Fahrzeugkonstruktion am Computer, lautete der Ansatz. Der Technikchef wollte einen komplett virtuellen und anderen Weg als die Konkurrenz gehen. Grundsätzlich hat sich CFD im Formel-1-Design zwar schon längst durchgesetzt, allerdings als Grundlagenforschung und Rückversicherung für die Windkanalarbeit und nicht als Solo-Designkonzept der High-Tech-Boliden.

Vom Regen in die Traufe - wie schon sein Vorgänger konnte der Virgin-Bolide auch 2011 nicht das halten was er versprach, Foto: Sutton
Vom Regen in die Traufe - wie schon sein Vorgänger konnte der Virgin-Bolide auch 2011 nicht das halten was er versprach, Foto: Sutton

Und die Realität auf der Strecke gab aus Wirths Sicht leider der Konkurrenz Recht. Virgin erlebte eine äußerst schwache Premierensaison und wurde Letzter der Konstrukteurs-WM. Anstatt dieses Resultat jedoch als Warnung zu sehen, verrannte sich der Brite immer tiefer in den CFD-Wald und versprach, dass sich nach den anfänglichen Kinderkrankheiten nun alles zum Guten wenden würde. "Der Motor ist toll, die Fahrer sind toll, wo auch immer wir in der Startaufstellung landen, es liegt an mir", sagt Wirth und fügte an: "Jedes Problem wird an uns liegen, denn die Jungs werden ihre Leistung bringen. Wir müssen unser Bestes geben."

Solche mutigen Aussagen brachen Wirth am Ende das Genick, denn der ausbleibende Erfolg auf der Strecke sprach eine ganz andere Sprache, als das Bild und die Zahlen auf seinem Computer-Bildschirm. Erst vor der Saison hatte Virgin auf Weisung des Technikdirektors seine CFD-Kapazitäten verdoppeln lassen. "Die Steigerung der Produktivität und der Verarbeitungsmenge ist unglaublich und das neue Auto ist im Vergleich zum Vorjahresmodell ein echter Schritt nach vorne", glaubte Wirth noch kurz vor Saisonstart.

Dieser Schuss ging jedoch erneut nach hinten los und die sportliche Wahrheit sah bekanntlich anders aus, denn der Bolide war nahezu noch schlechter als sein Vorgänger und es hagelte massive Kritik, unter anderem auch vom eigenen Star-Piloten Timo Glock. Während Virgin nun am Ende des Feldes droht hinter Konkurrent HRT zu fallen und gänzlich ohne alternativen Lösungsansatz dasteht, zog man die Reißleine. Am 1. Juni 2011 setzte das Team Wirth mitsamt seiner Firma vor die Türe - wann der ambitionierte Ingenieur und Tüftler, der seiner Epoche wohl etwas zu weit voraus ist, erneut in die Formel 1 zurückkehrt, ist ob der bisherigen Vita des Briten aber wohl nur eine Frage der Zeit.