In den Tagen der Tour de France bedarf es kaum einer Erklärung, wie klassischer Teamsport und der gemeinsame Kampf für den Teamleader zu definieren sind. Mit Hingabe widmen sich so manche Radsportler während ihrer gesamten Karriere der Aufgabe, die Speerspitze des Teams taktisch geschickt im Kampf um den die Tour-Triumph zu unterstützen. Was Radsportbegeisterten keineswegs negativ auffällt, steht im Motorsport zuweilen in einem eher zweifelhaften Ruf...

"Bernd Schneider wurde abgeblockt und war ansonsten - wie jeder nachschauen kann - nach Kristensen zweitschnellster Mann im Feld, die Blockade hat ihn nach Kristensens Ausfall ohne Diskussion den Sieg gekostet", beklagte sich Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug im Dialog mit uns unerwartet offen über die taktischen - selbst in einer Pressemitteilung ebenfalls unerwartet offen zugegebenen - Schachzüge der Ingolstädter, die für Jahreswagenpilot Timo Scheider in Anbetracht des schneiderschen Mercedes im Rückspiegel einen weit hinausgezögerten zweiten Boxenstopp vorsahen.

Auch 2006 halten Jahreswagen als taktische Spielzeuge her, Foto: DTM
Auch 2006 halten Jahreswagen als taktische Spielzeuge her, Foto: DTM

Obgleich die Oschersleben-Bilder eines hinter den Mücke-Mercedes-Piloten festhängenden Tom Kristensen ebenso in recht frischer Erinnerung sind, hebt Haug eine lobenswerte Entscheidung der HWA-Mercedes-Mannschaft berechtigterweise hervor: "Und danach haben wir nicht einmal zwischen Green und Schneider gewechselt, um so zwei der vorher vier verlorenen Punkte zurückzuholen."

Nachdem sich der Meisterschaftskampf bereits recht früh zu einem Duell zwischen Tom Kristesen und Bernd Schneider entwickelt zu haben scheint, bewegen sich die Verantwortlichen von Audi und Mercedes auf einem schmalen Grat zwischen verrufener Teamorder und cleverem taktischem Kniff, zwischen fairer Geste und fahrlässigem Verschenken von Punkten: Die Grundstrategie der jeweils gegnerischen Marke ist undurchsichtig, durch entsprechende Irritationen hervorgerufene Schlangenlinien im Umgang mit taktischen Unterstützungsmaßnahmen für Kristensen und Schneider sind daher programmiert. Beim Zuschauer möchte man nicht in Verruf geraten, taktische Möglichkeiten aber auch nicht gänzlich ungenutzt lassen.

Auch Mattias Ekström ist sich ob der Eigenschaft seines Teamkollegen Kristensen als Alleinkämpfer oder Mannschaftskapitän nicht sicher. "Bei Mercedes fahren alle für Schneider, also müssen wir dasselbe für Tom tun", äußert der Schwede gegenüber motorsport aktuell, ist sich jedoch unsicher: "Anderseits muss jeder Einzelne erst mal schauen, dass er das Maximum für sich selbst herausholt." Schließlich kommt Ekström in seiner Argumentation wieder dort an, wo er bereits war: "Aber wenn wir in eine Situation kommen, in der Tom Hilfe benötigt, dann bekommt er sie auch."

So bleibt anzunehmen, dass die beiden Marken weiterhin mit Überraschungen - und wohl auch Widersprüchen - in ihren taktischen Vorgehensweisen im Kampf um den Fahrertitel aufwarten werden. Ob und wann die Neufahrzeuge taktisch unmittelbar einbezogen werden, ist ohnehin unklar - was Tom Kristensen zur folgenden Bewertung ekströmscher Hilfsankündigungen bewog: "Das sagt er nur, weil er ein netter Schwede ist..."