Mit britischer Höflichkeit tritt er auf, zuweilen etwas spitzbübisch: Jamie Green. Auch an Selbstbewusstsein scheint es dem Briten nicht zu mangeln; bereits vor seiner ersten Saison im Neuwagen der Mercedes-Speerspitze HWA setzte sich Green das Ziel seines ersten DTM-Titels. Jamie Green offenbart einen außerordentlich großen Ehrgeiz - möglicherweise einen zu großen?

In seiner Debütsaison war Green in den Genuss eines am Ende durchaus gerechtfertigten Vertrauensvorschusses gekommen, durfte er doch von Beginn an den einzigen Neuwagen des Persson-Teams pilotieren. Nach der üblichen Eingewöhungszeit stellte Green mehr und mehr seinen enormen Speed unter Beweis, der sich insbesondere im Qualifying offenbarte: Bei den neunten und elften Saisonläufen gelang ihm jeweils der Sprung auf die Pole Position. Weniger konstant ging es teilweise im Rennen zu, überdies fiel Green gelegentlich mit verbesserungswürdigen Starts und einem recht hitzköpfigen Zweikampfverhalten auf.

Green wusste sein Neuwagen-cockpit 2005 zu rechtfertigen, Foto: Sutton
Green wusste sein Neuwagen-cockpit 2005 zu rechtfertigen, Foto: Sutton

"Ich bin zuversichtlich, dass auch ich genauso stark verinnerlichen werde, was jeweils notwendig ist, um auf einer Runde und auch über 30 Runden schnell zu sein", spricht Jamie Green offen über die letztjährigen Eingewöhnungsprobleme während der Rennen, "mein Fahrstil war im vergangenen Jahr nicht optimal für das Rennen, aber umso besser für das Qualifying." Green hat dazugelernt: Mittlerweile kann der Brite auch über eine gesamte Renndistanz seinen Speed ausspielen und beweist Siegpotenzial - wären da nicht die beiden übrigen beiden Wermutstropfen:

"Green hat in Brands Hatch einen offensichtlichen und unnötigen Fehler gemacht, der ihn den Sieg auf der Hausstrecke kostete", stellt Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug mit Blick auf den vierten Saisonlauf in Brands Hatch fest, zeigt sich jedoch versöhnlich: "Solche Fehler gehören zum Lernprozess und werden ihm von mir nicht vorgehalten." Jamie Green schien nach dem Rennen mit sich selbst nicht im Reinen zu sein:

"Der zweite Platz ist wirklich enttäuschend - ausgerechnet beim Heimrennen nicht gewonnen zu haben...", resümierte der Meister der F3 Euroseries des Jahres 2004. Das Missgeschick, das ihm unter dem Druck des herannahenden Mattias Ekström unterlaufen war, schien ihn regelrecht peinlich zu berühren: "Ich möchte mich bei meinem Team dafür entschuldigen, dass ich die Chance verpasst habe, dieses Rennen zu gewinnen - sie sind wohl noch enttäuschter als ich."

Jamie Green scheint im Cockpit seiner Mercedes C-Klasse unter Hochspannung zu stehen - sein Ehrgeiz sowie der damit einhergehende Druck treiben ihn offenbar wiederholt in Fehler, die seinem eigentlichen unbestrittenen Talent nicht entsprechen: Die Serie der misslungenen Starts setzte sich in dieser Saison nahtlos fort. Nachdem Green auf dem EuroSpeedway Lausitz im Anschluss an den eigentlichen Start den Anbremspunkt der ersten Kurve verpasst hatte, verlor er in Oschersleben seinen zweiten Platz nach wenigen Metern an Teamkollege Bruno Spengler.

In Brands Hatch scheiterte Green am greifbaren Heimsieg, Foto: Sutton
In Brands Hatch scheiterte Green am greifbaren Heimsieg, Foto: Sutton

Auch im Zweikampfverhalten zeigen sich die möglicherweise übergroßen Ambitionen des 24-Jährigen weiterhin: Im Kampf um den dritten Platz riskierte Green gegen Teamkollege Mika Häkkinen ein hartes Manöver, das zur deutlichen Berührung der beiden C-Klassen führte. Norbert Haug rief Green kurz vor Schluss des Rennens folgerichtig auf Platz vier zurück. Eine harte, aber pädagogisch wertvolle Maßnahme, die zumindest in den beiden folgenden Rennen Wirkung zeigte.

"Gary [Paffett] beispielsweise war schon letztes Jahr sehr DTM-erfahren, er fuhr ein Jahr im Jahreswagen und zwei Jahre in einem aktuellen Auto, so dass er am Ende extrem stark war. Ich glaube, das gleiche zu können und ebenfalls in diese Richtung zu gehen", spricht Jamie Green über sein meisterschaftsgekröntes Vorbild, als dessen Missgeschicke bestenfalls versehentlich überfahrene weiße Linien am Boxenausgang in Erinnerung sind.

"Wir haben noch sechs Rennen übrig und ich bin Dritter der Meisterschaft mit elf Punkten Rückstand - vor diesem Wochenende waren es noch wesentlich mehr...", gab Green in Folge des Brands-Hatch-Rennens auch für diese Saison die Titelhoffnungen nicht auf. Er täte gut daran, sich am auch in der Anfangsphase seiner DTM-Karriere trotz allen Ehrgeizes stets ruhig und bedacht agierenden Paffett zu orientieren - würde ein Titel Jamie Greens doch gewiss nicht am eigentlichen Talent sowie dem enormen Speed in Qualifying und Rennen scheitern...