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Collins, Fangio, Moss & die WM 1956

Das Formel 1 Forum früherer Tage...
Beitrag Sonntag, 27. April 2003

Beiträge: 8060
Helft mir mal Leute, ein Problem beschäftigt mich schon seit ich mich für die Formel 1 begeistere:

In jedem Buch über die Formel 1 kann man über Collins angeblich großzügige Geste beim GP von Italien 1956 nachlesen, da er Fangio unaufgefordert sein Fahrzeug überließ und diesem quasi ermöglichte die WM zu verteidigen. Nun war 1956 ein (zumindest in meinen Augen) sehr verwirrende Saison. Die drei Fahrer die um die WM kämpften waren in Unmengen von Fahrzeugwechseln beteiligt (Fangio in Argentinien, Monaco & Italien - Moss in Belgien & Frankreich - Collins in Monaco, England, Deutschland & Italien), so dass es allein aus diesem Grund schon nicht leicht ist den Überblick zu behalten.

Hier aber nun mein Rechenexempel: Wenn man die simplen Zahlen addiert wäre Fangio nämlich bereits VOR Italien 1956 Weltmeister gewesen und Collins großzügige Geste somit völlig überflüssig.

So war der Punktestand VOR Italien 1956:

Fangio: 5 + 5,5 + 0 + 4 + 8 + 9 = 31,5
Moss: 0 + 8 + 3 + 1 + 1 + 6 = 19
Collins: 0 + 3 + 8 + 8 + 3 + 0 = 22

Wenn also für einen Sieg maximale 9 Punkte (8 für den Sieg selber, 1 für die schnellste Runde) zu vergeben wären, wie sollte dann Fangio noch einzuholen sein. Nur die besten fünf Ergebnisse kämen in die Wertung. Nur Collins hätte also noch die Möglichkeit gehabt maximal 9 Punkte einzufahren, käme also auf 31 Punkte, aber das hätte nicht gereicht um Fangio zu packen.

Ein Möglichkeit wäre, daß Fangio nur 1x in Monaco gewertet wird - er kam nämlich sowohl auf den 2. Platz (zusammen mit Collins) als auch auf den 4. Platz (zusammen mit Castellotti) ins Ziel - zudem fuhr er noch die schnellste Runde (aber mit welchem Fahrzeug? Ich glaube es war das Collins-Auto. Spielt das eine Rolle???). Wenn also Fangio bereits mit dem 4. Platz in Monaco ein Streichresultat hatte, dann sähe es so aus:

Fangio: 5 + 1,5/4 + 0 + 4 + 8 + 8 = 30

Folglich hätte Collins in Italien mit einem Sieg noch Chancen auf die WM gehabt.
Zuletzt geändert von Alfalfa am Montag, 28. April 2003, insgesamt 1-mal geändert.

Beitrag Montag, 28. April 2003
Tom Tom

Beiträge: 2713
>Fangio: 5 + 1,5/4 + 0 + 4 + 8 + 8 = 30
In Monaco nur einmal gewertet. Folglich hätte Collins in Italien mit einem Sieg noch Chancen auf die WM gehabt.

Genau, das ist auch meine Meinung. Collins benötigte also den Sieg und die schnellste Runde. Leider sind meine Angaben ohne Gewähr, da ich momentan nicht nachschlagen und vergleichen kann.

Beitrag Mittwoch, 30. April 2003

Beiträge: 5
Bevor ich mich mit Monza Rennen beschäftige, sollte ich mich für mein schlechtes Deutsch entschuldigen... :oops:

Bevor das Rennen, nur drei Fahrer hatten die Gelegenheit die Meisterschaft zu gewinnen- Fangio mit 30 Punkte (ich Glaube daß wenn ein Fahrer in meherere Fahrzeugen an Rennen teilgennomen hat, nur eine Plazierung, vermutlich die beste, war mit Punkten gewertet), Collins und Behra mit 22 Punkte. Moss hat keine Chance WM zu gewinnen, but spielte eine Rolle in Monza Rennen.

Zuerst Fangio half zu Collins indem er ihm signalisierte nicht zu schnell zu fahren, da er vermutete Engelbert Reifen würden nicht die Rennen an Monza (10km Strecke) durchstehen*. Nach Fangio aus dem Rennen ausschied, Musso, der mit Castelloti um Italienische Meisterschaft kämpfte, die Bitte um sein Ferrari zu Fangio zu überlassen ausschlug überlies ihm Collins sein (ohne gefragt danach zu sein, so viel ich weiß)- und damit aufgab seine *Chance* WM zu gewinnen- er brauchte mindestens Sieg.

*`die reifen von beider Castelloti und Musso haben nich das Rennen überstanden...

Es ist also interessant daß Moss brauchte 'Hilfe' zu Gewinnen da ihm Treibstoff ausging und wurde von Piotti (fuhr ein privates Maseratti) zum Pits geschoben.

P.S. Wenn Du Englisch sprichst, solltest Du dies lesen (darin ist auch die Diskussion über Monza Rennen): http://www.atlasf1.com/bb/showthread.ph ... adid=35072

Beitrag Mittwoch, 30. April 2003

Beiträge: 8060
@Wolf; no need to apologize - I know that German is not the easiest language to learn. Though not a member of TNF, I visit that forum frequently and I was sure there was a thread about Collins/Fangio and Monza '56 - but I was unable to find it. Thanks a lot.
By the way: welcome to our small (but fine) German forum. It's not TNF but it has a lot interesting things to offer anyway... :D)

Beitrag Mittwoch, 30. April 2003

Beiträge: 950
In Christopher Hiltons 'Grand Prix Showdown' gibt es einen recht langen Bericht über dieses Rennen und seine Zusammenhänge, den ich hier mal einfach in den Scanner gelagt habe und durch mein OCR-Programm gejagt habe - hoffe man kann es einigermaßen lesen. Obwohl ich Hiltons Buch nicht für besonders gelungen halte (zu viele bedeutungschwere Querverweise, Ahnungen und Vorwegnahmen) - den '56er Bericht halte ich für recht gut gemacht. Darum sei ihm auch hier ein Platz gewährt:

Grand Prix von Italien - 1956

Das Gespräch fand in aller Stille statt, da Fangio vermeiden wollte, dass die Konkurrenten etwas davon mitbekamen. Was ihn dazu antrieb, war vielleicht die Erinnerung an das Vorjahr, vielleicht auch reine Vorsicht. Wann und wo es genau stattfand, weiss man nicht, aber es muss irgendwann am 2. September irgendwo am Rande des Autodromo Nazionale von Monza gewesen sein. Der Ausstieg von Mercedes 1955 - Neubauer hatte ein weisses Tuch über einen der Silberpfeile gezogen wie über einen Toten, dann waren ihm die Tränen gekommen - hinterliess ein grosses Loch in der Formel 1. Lancia-Ferrari und Maserati beeilten sich, es auszufüllen. Ferrari nahm Fangio unter Vertrag und holte sich ausserdem noch einen jungen Engländer namens Peter Collins ins Team, dem somit insgesamt sieben Fahrer angehörten. Maserati verpflichtete Stirling Moss als Partner des Franzosen Jean Behra. Wenn man fünf Privatfahrer mit einrechnete, trat Maserati sogar mit acht Autos an. Auch drei britische Teams waren dabei, nämlich Vanwall, BRM und Connaught, aber sie kämpften mit allerlei Schwierigkeiten und rangierten nur unter ferner liefen. Connaught hatte Ende 1955 vorübergehend riesengrosse Erwartungen geweckt - aber diese Hoffnungen platzten schnell wie Seifenblasen. Ein Student namens Tony Brooks gewann nämlich - sogar für ihn selbst völlig überraschend - in einem Connaught ein Grand-Prix-Rennen in Syrakus (das nicht zur WM zählte), und das unter verblüffenden Umständen: Er hatte noch nie zuvor in einem Formel-1-Rennwagen gesessen und hatte erst als das Training bereits voll im Gang war Gelegenheit gehabt, die Strecke kennenzulernen. Da sein Auto immer noch nicht eingetroffen war, war er auf einem Motorroller den Kurs abgefahren. Als Brooks dann im Rennen als Erster durchs Ziel fuhr, war er der erste britische Rennfahrer seit 1924(!), der einen Grand Prix in einem britischen Auto gewonnen hatte.1956 wechselte er als Partner von Hawthorn zu BRM. Hawthorn schrieb über seine ersten Eindrücke von dem Auto: "Ich probierte es an einem regnerischen Tag aus und fand es regelrecht angsteinjagend. Bei hohem Tempo fing es an zu schlingem, und man musste das Lenkrad sehr fest im Griff halten, damit das Auto in einer geraden Spur blieb." Brooks äusserte sich ähnlich. Die britischen Fans würden sich ein weiteres Jahr gedulden müssen, das war bereits klar. Fangio gewann in Argentinien, Moss in Monaco, Collins in Belgien und Frankreich, Fangio in Silverstone und auf dem Nürburgdng. Moss war dabei konstant stark gefahren: Dritter in Belgien, Fünfter in Frankreich, Zweiter in Deutschland. Dann stand wieder Monza auf dem Programm, als letztes von acht Rennen. Fangio hatte 30 Punkte, aber aus fünf Rennen, und nur fünf Zieleinläufe wurden für jeden Fahrer gewertet. Um seinen Punktestand zu erhöhen, musste er mindestens Zweiter werden. Collins und Behra hatten 22 Punkte, Moss 19 aus fünf. Moss hatte somit keine Chance mehr auf den Titel. Selbst wenn er in Monza gewinnen und die schnellste Runde fahren, Fangio dagegen ausfallen würde, käme er auf nicht mehr als 27 Punkte. Bei Collins sah das schon anders aus: Für ihn würden Sieg und schnellste Runde 31 Punkte bedeuten. Falls Fangio nicht ins Ziel käme, hätte Collins ihn damit überflügelt. Fangio schrieb einmal über sich selbst: "Ich bin nie ein spektakulärer Rennfahrer gewesen. Ich war keiner, der in einer Art Flucht vor dem Leben dem Sieg auf Biegen und Brechen hinterherjagte. Natütlich habe ich schon immer versucht zu gewinnen, aber wenn so ein Verrückter daherkam, habe ich ihn lieber überholen lassen und habe dann versucht an ihm dran zu bleiben, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Oft hätten mich andere am Ende geschlagen, wenn sie zunächst hinter mir geblieben wären. Sie verloren, weil sie mich unbedingt so schnell wie möglich überholen wollten." Wenn man direkt vor Fangio fuhr, hatte man einen ganz schlechten Stand. Er wartete stets auf den richtigen Augenblick, und dann war er vorbei, ohne dass man etwas dagegen machen konnte. Fangios obige Worte zeugen von seiner taktisch klugen, kühl berechnenden Einstellung zum Rennfahren. Beim GP von Italien legte er diese Qualitäten eindrucksvoll an den Tag. Er wusste, dass die Lancia-Ferraris schnell waren (er fuhr von der Pole Position), stellte sich aber auf hohen Reifenverschleiss ein: "Ich befürchtete, dieses Problem könnte uns den Sieg in einem Rennen kosten, das ansonsten eigentlich leicht zu gewinnen war Deshalb sprach ich mit zwei meiner Kollegen bei Lancia-Ferrari, Eugenio Castellotti und Luigi Musso. 'Passt mal auf, sagte ich, 'ihr habt die Chance, dieses Rennen zu gewinnen, ohne alles auf eine Karte setzen zu müssen. Nach dem Start werde ich das Tempo bestimmen. Ihr bleibt an mir dran und verschleisst so Eure Reifen nicht zu stark Zehn Runden vor Schluss werde ich Platz machen und Ihr beide könnt den Sieg unter Euch ausmachen. Selbst wenn ich nur Dritter oder Vierter werde, bin ich immer noch neuer Weltmeister. [dies galt unter der Annahme, dass Castellotti oder Musso gewannen, nicht jedoch Collinsl Die beiden gingen zusammen weg, um es sich zu überlegen. Dann kamen sie zurück und meinten: 'Nein, wir fahren lieber alte unser eigenes Rennen.' Ich antwortete: 'Na gut, wie Ihr wollt.'" Dies war das am Anfang dieses Kapitels erwähnte Gespräch.

Das Ferrari-Trio Musso, Castellotti und Fangio bildete die erste Startreihe. Moss stand in der zweiten Reihe, Collins in der dritten. Die Lancia-Ferrari waren enorm schnell. Im Training hatten alle drei den alten Rundenrekord gebrochen. Fangio war, wie sein Manager Giambertone feststellte, völlig ruhig, sich seiner Sache sicher, als er seinen Platz hinter dem Lenkrad einnahm. 'In diesem Rennen werde ich auf die Reifen aufpassen müssen', sagte er. Das Startzeichen wurde gegeben, und Fangio setzte sich an die Spitze des Feldes. 'Ich war gerade dabei, das Tempo richtig zu dosieren, als sie mich auf der langen Geraden schon überholten, der eine links, der andere rechts. Sie fuhren schneller, als sie das hätten tun sollen.' Musso übemahm die Führung vor Castellotti, Fangio, Moss und Collins. Noch in der ersten Runde zog Castellotti an Musso vorbei, und das Duell der beiden wurde so verbissen, dass von der Ferrari-Box in heller Aufregung signalisiert wurde: 'Macht langsamer - macht langsamer.' Aber beide Fahrer ignorieren das. Hin-
ter ihnen gab es unter den Verfolgern Fangio, Moss, Harry Schell (Vanwall) und Collins kleinere Positionskämpfe. Schell ging an Moss, dann auch an Fangio vorbei. Man war ja erst in Runde 3 von 50.

Fangio konnte Castellotti und Musso getrost für den Ausgang des Rennens abschreiben. 'Ich sah, wie ihre Reifen bei jedem Bremsen rauchten. Ich vermutete, sie würden bald aus dem Rennen sein.' Bald war in diesem Fall sehr bald. Moss überholte derweil in einer gekonnten Attacke Schell und Fangio, und die drei begannen ein Windschattenrennen untereinander bei Abständen von wenigen Metern. In Runde 5 gingen sowohl Musso als auch Castellotti mit praktisch zerfetzten linken Hinterreifen an die Box. Damit ging Moss in Führung vor Fangio, der an Schell wieder vorbeigezogen war, obwohl er, wie er später meinte, 'einige Mühe hatte', den Amerikaner in Schach zu halten.

„Mein Auto gefiel mir in dieser Phase überhaupt nicht denn jedesmal wenn ich bremste, zog das rechte Vordertad nach aussen. Das registrierte ich mit äusserstem Unbehagen, denn ich dachte mir, das Rad müsse lose sein. Ich bremste vorsichtig, als ich im Steilkurventeil fuhr, um zu sehen, wie das Auto sich verhalten würde. Dabei merkte ich, wie das Auto ausbrechen wollte. Ich nahm den Fuss vom Gas und schaute, dass ich an die Box kam."

Das war in Runde 19. Fangio hatte seine Reifen bis dahin ausgesprochen geschont Andere, die das nicht getan hatten, konnten von Glück reden, dass sie noch lebten. Alfonso de Portago (ebenfall Lancia-Ferrari) kam mit heiler Haut davon, als sich eine Lauffläche komplett löste und das Auto bei ca. 275 km/h in der Steilkurve in wilde Kreiselbewegungen überging. Irgendwie brachte er das schwer mitgenommene Auto an die Boxen zurück, aber das Rennen war für ihn zu Ende. Castellotti platzte ein Reifen, das Auto wirbelte quer über die Piste und kam im Gras zum Stehen. Zum Glück fuhr gerade niemand hinter dem Italiener. Collins hatte sich auf den vierten Platz vorgearbeitet, als auch beim sich die Lauffläche von einem Reifen löste. Durch den Boxenstopp fiel er auf Rang 9 zurück Und dann kam die Runde 19, in der Fangio an die Boxen fuhr: "Das Rad hatte sich fast vollständig gelöst Eine Steuerstange war gebrochen. Man hatte sie ausgebohrt, um sie leichter zu machen, und jetzt war sie auf einer Seite geknickt. Unter der Belastung des Bremsens hatte sie nachgegeben."

Der Schaden war zwar zu reparieren, aber das würde dauern. Fangio stand da und verfolgte, wie Musso - inzwischen wieder Dritter - aufgefordert wurde, an die Box zu kommen und ihm sein Auto zu überlassen. Musso zeigte, was er von dieser Idee hielt, indem er in hohem Tempo vorbeibrauste. Giambertone erinnert sich, wie er hilflos an der Box stand: 'Fangios Mechaniker konnte das unbedingt benötigte Ersatzteil nicht gleich finden, also musste er das aus Portagos Auto nehmen. Dann musste auch noch die Zündung durchgecheckt werden, bevor Fangios Auto wieder auf die Strecke gehen konnte. Vier Runden waren inzwischen verstrichen, deshalb übernahm es Castellotti.' Natürlich hatte es keinen Sinn mehr, Fangio in seinem Auto weiterfahren zu lassen. Er hätte vier Runden aufholen müssen, um zu gewinnen. Ob Castellotti dies schaffte oder nicht, war für den Ausgang der Weltmeisterschaft ohne Bedeutung. Fangio stand nun ohne Auto da, und natürlich hatte er schwer daran zu kauen, zuzusehen, wie seine Träume von einem vierten WM-Titel sich in Luft auflösten. Ich ging zu Sculati, Ferraris technischem Leiter, und versuchte ihn davon zu überzeugen, dass Fangio ein anderes Auto bekommen müsse, um das Rennen fortsetzen zu können. Es kam zu einem Streit, den Sculati abbrach, indem er die Box verliess und zur Pressetribüne hinüberging.

Musso kam zum Reifenstopp herein und weigerte sich erneut, Fangio sein Auto zu überlassen. Fangio empfand keinerlei böse Gefühle deswegen: 'Musso hatte keine Veranlassung, mir sein Auto zu übergeben. Das Auto, das ich vereinbarungsgemäss hätte übernehmen sollen, falls etwas passierte, war das von de Portago (dasjenige, das nach dem Dreher beschädigt war). Ich stand mehr als 15 Runden lang an der Box und musste zusehen, wie mir die Felle quasi davonschwammen...'

Giambertone schildert, was dann vor sich ging: Nachdem Sculati gegangen war, übemahm ich praktisch das Kommando in der Ferrari-Box. Die Minuten verstrichen, und Moss baute seine Führung stetig aus. Als der Moment gekommen war, gab ich Anweisung, Peter Collins beim Vorbeifahren ein neues Rad hinzuhalten. Das war eine kategorische Anweisung, in der nächsten Runde zum Reifenwechsei an die Boxen zu kommen. Das war dringend nötig an seinem Auto. Während alle vier Räder gewechselt wurden, ging ich zu ihm hin. 'Peter, fragte ich, 'würdest du Fangio dein Auto überlassen?' Ohne auch nur eine Sekunde zu zögem, sprang der Engländer aus dem Cockpit. Keinen Gedanken verschwendete er daran, dass er immerhin im Falle, dass der führende Moss ausfallen sollte, die Chance hatte, Weltmeister zu werden. Dies war eine echte Geste des feinen Anstandes. Fangio war überwältigt: 'Meine Niedergeschlagenheit war wie weggeblasen. Ich war so erleichtert, dass ich meine Arme um Collins schlang und ihn küsste, bevor ich in das Auto stieg.' 'Fangio war so bewegt, dass seine Augen glänzten, als er losfuhr', erinert sich Giambertone.

Fangio übernahm mit dem Auto natürlich den dritten Platz von Collins. Moss hatte eine halbe Runde Vorsprung vor Musso. Fangio startete eine, wie Giambertone es schildert, 'leidenschaftliche, verrückte Aufholjagd'. In Runde 46 wurde Moss plötzlich langsamer, immer langsamer, so langsam, dass Musso mühelos herankommen und überholen konnte. 'Das Benzin ging mir aus', so Moss. 'Mit einem Mal bekam der Maserati weiche Knie und brach im Steilwandteil endgültig unter mir zusammen. Auf der zurückführenden Geraden war das. Aus, kein Benzin mehr! 'Ich sah Luigi Piotti, einen italienischen Privatfahrer bei Maserati, von hinten herankommen, und ich ruderte und gestikulierte heftig, er solle doch hinten an mich heranfahren und mich bis zu den Boxen schieben. Irgendwie verstand er sogar, was ich meinte. Ich hatte wohl noch so um die 190 km/h drauf, aber es gelang ihm, sozusagen sanft anzukoppeln. Er knallte nicht etwa in mich rein. Wenn es bei mir 190 km/h waren, dann waren es wohl bei ihm 193 oder so. Während er mich schob, fuhren wir nur noch um die 160 km/h. Das mag viel erscheinen, aber für einen Rennfahrer, der ganz andere Geschwindigkeiten gewohnt ist, ist das so viel auch wieder nicht. Und so schob Piotti mich die ganze Gerade hinunter bis in die Kurve hinein. Als wir halb durch die Kurve durch waren, liess er mich sausen und fuhr davon. Er hatte mir genug Schwung gegeben, um bis zu den Boxen auszurollen.' Moss liess 20 l Sprit einfüllen, was für die letzten fünf Runden ausreichen würde. Aber der Abstand zwischen ihm und Fangio war auf gerade noch 10 Sekunden zusammengeschrumpft. Sehr, sehr schnell kam Moss wieder aus den Boxen heraus.

Musso, das schien klar, würde das Rennen gewinnen, was eigentlich weder verdient war noch ihm viel nutzte. Er hatte gerademal vier Punkte auf dem Konto, und zwar aus dem ersten Saisonrennen in Argentinien. Er hatte Fangios Rat in den Wind geschlagen, was die Taktik für dieses Rennen betraf. Und er hatte die Schilder geflissentlich übersehen, die ihn aufforderten, sein Auto an Fangio zu übergeben. In Runde 47 lag plötzlich Moss vorne, gefolgt von Fangio. Wo war Musso? Da kam er langsam in Richtung der Boxen geschlichen, mit gebrochener Lenksäule und böse verbogenem Vorderrad. Was immer dieses Rennen ihm Besonderes bedeutet haben mochte, in diesem Moment war es für ihn zu Ende. Und Fangio machte weiter Tempo. In der Maserati-Box herrschte atemlose Spannung. Die Mechaniker konnten sehen, dass die Reifen von Moss stark verschlissen waren. Jeden Moment konnte es ganz aus sein. Inständig hofften, beteten sie, die Reifen mögen noch eine Weile durchhalten. Und Fangio machte weiter Tempo. Es war ein isoliertes Rennen zweier Männer gegeneinander geworden. Fangio hätte diesen Grand Prix eigentlich locker ausklingen lassen können, wenn er gewollt hätte. Moss hätte Fangio eigentlich vorbeiziehen lassen können, wenn er gewollt hätte. Die Weltmeisterschaft war entschieden. Sie war in dem Moment entschieden worden, als Collins sein grosses persönliches Opfer brachte. Aber es waren eben beides Rennfahrer durch und durch, die da am Steuer sassen. Und man fuhr in Monza.

Und Fangio machte weiter Tempo. Moss antwortete mit einem neuen Rundenrekord, einer Zeit von 2 Minuten 45,5 Sekunden, entsprechend einem Durchschnitt von rund 218 km/h. Dadurch fiel Fangio zurück, aber nur ein kleines bisschen, und nun, in der allerletzten Runde musste Moss langsamer machen, weil seine Reifen praktisch glatt waren. Er fuhr 5,7 Sekunden vor Fangio über die Ziellinie. Der Argentinier hierzu: "Diese Burschen (Castellotti und Musso) verloren das Rennen, und man kann mit gewissem Recht sagen, es lag an ihnen, dass auch ich es verlor Ich war eindeutig dafür gewesen, das Rennen auf der sicheren Seite durchzuziehen, ohne uns auf einen solchen Kampf einzulassen. Moss hätte, als ihm das Benzin ausging, die Boxen nicht erreicht, wenn Piotti ihn nicht ein Stück geschoben hätte. Ausgerechnet Piotti, Maserati-Privatfahrer, der mir später einmal seinen Sportwagen für ein Rennen in Portugal auslieh, das ich dann auch gewann! Aber ich muss doch sagen, wenn ich den Grossen Preis von Italien gewonnen hätte, wäre das unverdient gewesen. Moss war ein äusserst kluges Rennen gefahren, nicht nur schnell, sondern auch gut durchdacht Er war ein Rennfahrer allererster Klasse."

Und was sagte Moss? 'Nach dem Rennen kamen ein paar Funktionäre auf mich zu und sagten, ich sei disqualifiziert, weil ich mich hatte schieben lassen. Ich antwortete: 'Aber Piotti ist doch mein Teamkollege; er darf mich doch schieben. 'Genau genommen war Piotti eigentlich nicht mein Teamkollege, obwohl wir beide Maseratis fuhren, denn er war ja Privatfahrer. Dennoch meinten die Funktionäre: 'Ach so, na ja, dann ist das okay.' Und genau aus diesem Grund wird Stirling Moss heute in allen Nachschlagewerken als Gewinner des GP von Italien vom 2. September 1956 geführt. Längst kann niemand mehr daran rütteln. Seine Leistung ist in den Chroniken folgendermassen festgehalten: 50 Runden, 2 Stunden 23 Minuten 41,3 Sekunden, Durchschnittstempo 208,787 km/h.

Einige Zeit nach jenem Renntag besuchten Fangio und Giambertone einen New Yorker Night-Club namens EI Morocco, dessen Besitzer Johnny Perona ein ehemaliger Rennfahrer war Giambertone erinnerte sich später: 'Ein paar von uns blieben bis in die frühen Morgenstunden. Es kam eine grössete Gesprächsrunde mit Bekannten zusammen, und die Leute fingen an, Juan tiefschürfende Fragen zu stellen. Bald schon philosophisch wurde es, als ein paar feine Ladies wissen wollten, was im Kopf eines Rennfahrers während eines Rennens so vor sich gehe. Fangio schaute in die Runde, als ob er ansetzen wollte, ausführlich darauf einzugehen. Dann aber wurde ihm wohl klar, dass man einem Aussenstehenden nie eine Vorstellung vermitteln kann, wie es ist, wenn man stundenlang ein Auto mit Geschwindigkeiten an der Grenze des Möglichen steuert, immer in Gefahr, den Bereich des Unmöglichen zu betreten. Für einen Moment huschte ein Ausdruck von Resignation über sein Gesicht, dann lächelte er und antwortete: Während ich Rennen fahre, singe ich. Ja, ich summe alte Melodien, alte Lieder vor mich hin.'


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