Sie sind schwarz, rund und entscheiden in der Rallye-Weltmeisterschaft über Sieg und Niederlage: Damit die Schotter-, Eis- und Asphalt-Pneus mit den World Rally Cars zu einer siegfähigen Kombination werden, müssen die Reifen-Ingenieure von Michelin viel Know-how in die Konstruktion und Entwicklung investieren. Wir warfen einen Blick hinter die Kulissen des Werks C4, in dem der französische Reifenspezialist unter größter Geheimhaltung das "schwarze Gold" für seine sechs Partnerteams Citroën, Ford und Skoda backt.

Eine Besuchserlaubnis für das Reifenwerk von Cataroux ist ähnlich leicht zu erhalten wie ein Gastflug zum europäischen Weltraumlabor ISS: Jener unscheinbare Bau unweit des Stammwerkes in Clermont-Ferrand, in dem Michelin unter anderem die Rennpneus für die Formel 1 und die Rallye-Weltmeisterschaft produziert, gehört zu den geheimsten und geheimnisvollsten Einrichtungen des französischen Herstellers. Denn hier im Werk C4, wo die Rennreifen praktisch in Handarbeit zusammengefügt und gebacken werden, mündet das gesammelte Know-how von Michelin in einzigartige Technologieträger. Auch sie sind – wie fast jeder Reifen auf dieser Welt – schwarz und rund. Doch sie entscheiden über Sieg oder Niederlage und ermöglichen nicht selten Wettbewerbsvorteile von mehr als einer Sekunde pro Kilometer, während Modifikationen am Motor, dem Chassis oder der Aerodynamik eines WRC-Boliden allenfalls Verbesserungen im Zehntelbereich zulassen.

Das Erstaunliche jedoch ist: Auch wenn Serien-, Rallye-WM- und Formel 1-Pneus grundlegend unterschiedliche Anforderungen erfüllen müssen, so basieren sie nicht nur auf demselben Konstruktionsprinzip, sondern werden sogar auf vergleichbare Art und Weise hergestellt. Dies beginnt schon bei der Wahl der Ingredienzen: Mehr als 200 unterschiedliche Materialien und Substanzen sind notwendig, um einen Reifen herzustellen – darunter Öle, Stahl und Schwefelverbindungen; Kevlar, Polyester und bis zu 80 verschiedene Kautschuksorten; Aramide, Zink und Harz sowie eine gefällte Kieselsäure namens Silica. Da bei Wettbewerbsreifen jedes einzelne Gramm als Teil der rotierenden Massen extrem ins Gewicht fällt, besitzen die Rallye-Pneus von Michelin einen besonders hohen Anteil extra leichter Materialien wie Kevlarfasern als Stahlersatz oder auch textilen Werkstoffen. Egal ob natürlich oder synthetisch gewonnen: Die Quote des verbauten Kautschuks bleibt mit 79 Prozent praktisch identisch.

Erst in der Heizpresse erhält der Reifen seine typischen Eigenschaften

Riesige Maschinen vermengen den Kautschuk unter großer Hitze und enormem Druck sowie der Beigabe chemischer Zutaten zu diversen Grundgummimischungen für verschiedene Weiterverarbeitungsprozesse. So wird ein Teil der Vorprodukte nach dem Abkühlen gewalzt und zu Flachgummi geschnitten – zum Beispiel für die luftdichte Innenschicht, aber auch für die flexiblen Seitenwände des Reifens. Andere Gummisorten bilden mit darin eingebetteten Gewebelagen die eigentlichen Karkasslagen. Einzelne Teile in genau berechneter Form stammen aus Extrudern, die wie große Sahnespritzen endlose Profilgummis ausstoßen. Alle Bauteile werden dann auf ihre exakte Länge geschnitten und Teil für Teil auf einer rotierenden Trommel mit flexiblem Innenteil aufgelegt, wo sie die Radialkarkasse bilden. Dann schieben sich die Seiten der Rotationstrommel zusammen und der flexible Mittelteil wird mittels Luftdruck aufgeblasen – so erhält die Karkasse ihre typische Form.

Ohne den Gürtelverband aus mehreren in Gummi eingebetteten Gewebelagen mit genau berechneten Fadenwinkeln wäre die Radialkarkasse aber nicht fahrbar. Die Gürtellagen mit zusätzlichen Verstärkungen versteifen die Lauffläche und sorgen für besten Bodenkontakt unter allen Bedingungen. Unter anderem muss hier auch das so genannte Reifenwachstum – also die durch Fliehkraft bedingte Verformung der Reifenmitten bei hohen Geschwindigkeiten – mit einer sogenannten Null-Grad-Abdeckung bekämpft werden. Als letztes, weil oberstes Bauteil, kommt der Laufstreifen hinzu. Jetzt wandert das noch plastische Konglomerat in die Vulkanisation. In dieser Heizpresse erhalten Serienreifen wie Rallye-Pneus zwölf bis 25 Minuten lang unter hohem Wasserdruck und bei einer Temperatur von bis zu 300 Grad nicht nur ihr Profil, es findet auch eine chemische Reaktion statt: Die eingesetzten Materialien verändern sich aus einem plastischen in einen elastischen Zustand. Erst jetzt erhält der Reifen seine Eigenschaften.

Zwei Mannstunden pro Rennreifen

Verläuft die Produktion von Straßenpneus nahezu vollautomatisch, so werden die kleinen Serien von Rallye-Reifen praktisch in Handarbeit gefertigt. Zeitaufwand: rund zwei Mannstunden pro Pneu. Trotz des hohen Aufwands an Arbeitszeit und hochwertigsten Materialien wird jeder zweite von ihnen ungebraucht wieder vernichtet: Erfüllt eine Mischungs- und Konstruktionskombination auf der Strecke nicht die Erwartungen, wandert die komplette Baureihe in die Verbrennungsanlage – wo auch gebrauchte Pneus landen, damit sie nicht als Technologieträger in falsche Hände geraten. Den durchschnittlichen Wochenend-Bedarf eines World Rally Cars, also 64 bis 70 Satz Pneus, fertigen die Spezialisten von Michelin in gut zwei Tagen – sozusagen "à point". Dadurch kann der französische Hersteller innerhalb kürzester Zeit auf neue, zum Beispiel bei Testfahrten gewonnene Erkenntnisse reagieren.

Radiert der Reifen über den Asphalt, heizt er sich auf

Doch woher schöpft der Reifen seine Leistungsfähigkeit? Vereinfacht dargestellt, zeichnet die Laufflächenmischung ("Compound") ursächlich für den Grip auf der Strecke verantwortlich. Faustregel: je weicher, desto haftfähiger – aber auch umso verschleißfreudiger. Wobei die Abnutzung selbst nur zum Teil von der reinen Laufleistung abhängt: Parameter wie Fahrbahnoberfläche, Fahrweise und Fahrwerkseinstellungen bedingen die Dauerhaltbarkeit maßgeblich. Selbst ein so genannter "aggressiver" Straßenbelag, der mit einem hohen Grip-Level aufwartet, stellt für den Compound prinzipiell kein Problem dar. Schwierig wird es erst, wenn Schlupf auftritt: Sobald der Reifen über die raue Oberfläche radiert, heizt er sich auf und überhitzt im schlechtesten Falle.

Die Karkasse mit dem darüber liegenden Gürtelverband – deren jeweilige Konstruktionsdetails geheim gehalten werden wie die Rezeptur von Coca Cola – bestimmt nicht nur das Einlenkverhalten, sondern auch die Seitenstabilität und die Dauerhaltbarkeit des Pneus. Diese Grundstruktur trägt über die Zugfestigkeit der Karkass-Seile und in Verbindung mit dem Luftinnendruck das Gewicht des Autos. Ziel ist, die Kontaktfläche des Reifens unter allen Bedingungen – also auch bei extremer Beanspruchung in Querrichtung – so groß wie möglich zu halten und auch die Temperatur in der gesamten Lauffläche im optimalen Bereich zu haben. Dabei hängt die Auslegung der Karkasse nicht allein von der jeweiligen Radlast ab, sondern auch von den Leistungsreserven des Fahrzeugs: Mit zunehmender Power wächst die Nachfrage nach geschmeidigeren Karkassen.

Genau wie bei Straßenreifen kennt diese spezielle, als Radial-Prinzip bekannte Form des Reifenaufbaus bis heute keine Konkurrenz. Viele dieser Technologien wie zum Beispiel die "Null-Grad-Abdeckung" haben ihren Weg allerdings bereits in die Serie gefunden: So besitzt auch der Michelin Pilot diese besondere Lage aus zugfesten und besonders leichten Kevlar- und Rayon-Fasern, die den Gürtel in Laufrichtung überspannt und unter hohen Drehzahlen – also bei großen Fliehkräften – ein "Wachsen" des Pneus verhindert.