Die MotoGP war seit jeher ein Kampf zwischen unterschiedlichen Motorenkonzepten. Auf der einen Seite die V-Triebwerke, auf der anderen Seite die Reihenmotoren. In den vergangenen Jahren ging der Trend stark zum V4. 18 zu 6 stand es in der abgelaufenen Saison in diesem Duell, Yamaha mit Werks- und Kundenteam sowie Suzuki bildeten das Sextett der Reihenvierzylinder. 2023 kippt die Königsklasse aber durch den Ausstieg von Suzuki und den Wechsel des RNF Teams von Yamaha zu Aprilia endgültig in Richtung V4. 20 der 22 Maschinen in der Startaufstellung folgen dieser Philosophie - 8 Ducatis, 4 Hondas, 4 KTMs, 4 Aprilias. Nur die beiden Yamaha-Maschinen sind mit einem Reihenvierzylinder ausgestattet.

Befindet sich Yamaha also auf einem technischen Holzweg? Die ersten Testfahrten für die MotoGP-Saison 2023 legen das nahe. Sowohl Fabio Quartararo als auch Teamkollege Franco Morbidelli zeigten sich nach dem Testtag in Valencia im November enttäuscht vom neuen Triebwerk für das nächste Jahr. "Ich bin überrascht, denn dieser Motor sollte eigentlich stärker sein, als der, den wir in Barcelona (Anfang Juni) und Misano (Anfang September) getestet haben. Heute hat er sich aber genau gleich angefühlt wie der Motor, den ich am Sonntag im Rennen verwendet habe", seufzte Quartararo damals.

MotoGP-Testniederlage für Quartararo und Marquez: Die Analyse (05:37 Min.)

Die Erwartungen an den neuen Motor waren groß. Denn Yamaha hatte dafür sogar mit seiner Unternehmensphilosophie gebrochen. Der stolze japanische Hersteller wehrte sich bislang stets gegen externe Hilfe, etwaige Probleme wollte man intern in den Griff bekommen. Mit dieser Strategie scheiterte man in den vergangenen Jahren an der Motorfront aber immer wieder und so entschloss man sich zur Verpflichtung des ehemaligen Formel-1-Ingenieurs Luca Marmorini, der bereits Motoren für Ferrari und Toyota entwickelte.

"Uns ist klar geworden, dass wir unseren Zugang im Bereich Motorendesign und -entwicklung ändern müssen", gesteht Yamaha-Motorsportchef Lin Jarvis gegenüber 'Crash.net'. "Deshalb haben wir die Zusammenarbeit mit Luca Marmorini und seinem Team von italienischen Ingenieuren begonnen. Diese Gruppe haben wir in unsere japanische Organisation integriert. So wollen wir einen großen Schritt für nächstes Jahr machen."

Luca Marmorini bringt viel Erfahrung aus der Formel 1 mit, Foto: LAT Images
Luca Marmorini bringt viel Erfahrung aus der Formel 1 mit, Foto: LAT Images

Der Wille zur Veränderung findet bei der Konzeptauswahl aber ein Ende. "Wir haben uns dazu entschlossen, am Reihenvierzylinder festzuhalten", stellt Jarvis fest. "Nach dem Ausstieg von Suzuki sind wir der einzige Hersteller mit diesem Konzept, aber wir haben damit viel Erfahrung und unserer Meinung nach ist das Motorenkonzept nicht entscheidend. Natürlich hat jedes Konzept unterschiedliche Charakteristiken, aber der Reihenvierzylinder hat noch ziemlich viel Raum für Weiterentwicklung. Daran arbeiten wir momentan."

Jarvis ist überzeugt davon, dass auch in der aktuellen MotoGP-Ära noch Erfolge mit einem Reihenvierzylinder möglich sind: "Es geht darum, genau zu verstehen, was wir haben und dann in alle Bereiche zu blicken, unsere Expertise und unsere interne Sicht zu nutzen, um herauszufinden, wo wir uns noch verbessern können. Ich bin kein Ingenieur, aber ich weiß, dass wir viele Dinge machen können, um die größtmögliche Leistung aus unserem Motor herauszuholen."

Ob dem tatsächlich so ist, wird sich zeigen. Die Statistik der letzten fünf Jahre spricht jedenfalls gegen Yamaha. Zwölf der 15 möglichen Weltmeistertitel in den Wertungen für Fahrer, Teams und Hersteller gingen in diesem Zeitraum an das V4-Lager. Nach Rennsiegen steht es 63 zu 27.