Ein Blick auf den Gesamtstand der MotoGP-WM 2022 genügt, um zu erkennen: Yamaha ist zurzeit ein Ein-Mann-Unternehmen in der Königsklasse des Motorradsportes. Fabio Quartararo hat allein etwa dreimal so viele Punkte gesammelt, wie die anderen drei Yamaha-Maschinen (von 4 Piloten gefahren) zusammen.

Nächstes Jahr werden nach dem Wechsel von RNF zu Aprilia-Material sogar nur noch die beiden Werksyamahas am Start stehen, sodass der Druck auf den zweiten Piloten, Franco Morbidelli, immer größer werden wird. Seit seinem Wechsel in das Werksteam geht der Vizeweltmeister von 2020 an der Seite von Quartararo vollkommen unter. Gerade einmal ein Top-10-Resultat, noch dazu beim Regenrennen in Indonesien, steht 2022 für den Italiener zu Buche.

2020 feierte Franco Morbidelli noch Siege, Foto: LAT Images
2020 feierte Franco Morbidelli noch Siege, Foto: LAT Images

Für Yamahas MotoGP-Urgestein Lin Jarvis war die Verpflichtung Morbidellis während der Saison 2021 als Ersatz für den geschassten Maverick Vinales noch logisch: "Morbidelli war eine vielversprechende Option für uns. 2020 war er in unserem Kundenteam WM-Zweiter mit drei GP-Siegen. Also haben wir uns für ihn entschieden." Die Ergebnisse sprechen seitdem jedoch eine andere Sprache: "Es hat bisher nicht zufriedenstellend funktioniert."

Jarvis: Razgatlioglu wollte vor MotoGP-Start Superbike-Weltmeister werden

Warum Morbidelli trotzdem gleich einen Vertrag bis Ende 2023 erhielt, muss Yamaha nun aber hinterfragen. Trotz des bestehenden Vertragswerkes gibt Jarvis nun zu, dass er im Nachhinein bereits 2021 einen anderen Piloten an die Seite von Quartararo gesetzt hätte: Toprak Razgatlioglu. Der Yamaha-Superbike-Pilot hatte damals aber noch andere Prioritäten: "Wir hätten Toprak den Platz im MotoGP-Werksteam im Juli 2021 anbieten sollen. Aber seine Zielsetzung war es, zuerst die Superbike-Weltmeisterschaft zu gewinnen, bevor er über andere Optionen und Alternativen nachdachte."

Lin Jarvis gibt zu die falsche Fahrerwahl getroffen zu haben., Foto: Ronny Lekl
Lin Jarvis gibt zu die falsche Fahrerwahl getroffen zu haben., Foto: Ronny Lekl

Der Türke konnte seinen Plan erfolgreich umsetzen und holte sich den Superbike-Titel 2021. 2022 hat er diesen an Alvaro Bautista und Ducati verloren, doch im Gegensatz zu Morbidelli ist Razgatlioglu weiterhin ein Spitzenpilot in seiner Meisterschaft, in welcher er regelmäßig mit Bautista und Rekordchampion Jonathan Rea um die Siege und Podestplätze kämpft.

Trotz der aktuell stark entgegengesetzten Formkurven der beiden Piloten warnt Jarvis jedoch auch: "Es gibt keine Garantie, dass Toprak in die MotoGP kommt und Franco Morbidelli oder irgendjemand anderen übertrifft." Dennoch ließ der Brite deutlich durchblicken, dass Razgatlioglu in Zukunft durchaus auch in der MotoGP für Yamaha an den Start gehen könnte: "Ich bin überzeugt, dass Toprak ein enormes Potenzial hat. Wir haben eine Menge Respekt vor ihm. Er hat unser MotoGP-Motorrad getestet, aber wir konnten es nicht sehr ausgiebig tun."

Razgatlioglu war beim MotoGP-Finale in Valencia zur Unterstützung seines Landsmanns Deniz Öncü zu Gast. Der Superbike-Weltmeister zeigte sich überrascht und erfreut über die Aussagen von Jarvis: "Ich habe das erst gestern erfahren. Das sind große Neuigkeiten für mich. Wir werden sehen was die Zukunft für mich bringt, ich habe noch einen Jahr Vertrag mit Yamaha. Bis jetzt habe ich noch nicht mit Lin gesprochen, ich habe ja gerade erst davon erfahren. Ich hoffe aber, bald wieder in diesem Paddock sein zu dürfen."