Turnschuhe, kurze Hose, T-Shirt, Trucker-Cap - rein äußerlich ist Valentino Rossi der Prototyp eines Motorradpiloten, definitiv aber nicht der eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Sieht man den Doktor an einem Rennwochenende oder in seiner Freizeit, deutet nicht viel darauf hin, dass Rossi neben seiner Karriere als Racer auch wirtschaftlich wahnsinnig erfolgreich ist. Er verdient mit seinen unzähligen Projekten jährlich Millionen von Euro - von bis zu 30 ist die Rede - und ist aus der Welt des Motorradsports auch deshalb nicht mehr wegzudenken. Daran wird sich nach dem Ende seiner aktiven Karriere, das frühestes Ende 2018 eintritt, nichts ändern. Über zu viele Fäden ist Rossi mit der MotoGP und den wichtigsten Unternehmen ihres Umfelds verstrickt, als dass er einfach in der Versenkung verschwinden könnte.

Rossis Imperium: Fanartikel für alle

Valentino Rossis Nr. 46 ist zum Markenzeichen geworden, Foto: Yamaha
Valentino Rossis Nr. 46 ist zum Markenzeichen geworden, Foto: Yamaha

Das Herzstück von Rossis Geschäftswelt ist das Label 'VR46 Racing Apparel'. Unter diesem Namen mit seinen Initialen und der Startnummer 46 verkauft der wohl beliebteste Motorradpilot der Geschichte Fanartikel an seine Millionen Anhänger weltweit, sowohl online als auch in diversen Läden. Die Merchandising-Palette reicht dabei von Kleidungsstücken wie T-Shirts, Jacken oder Kappen über Kaffeetassen bis hin zu Actionfiguren und Fahrrädern. Auch die Designvariationen gehen weit über den Standard hinaus. Kein Wunsch der 'Popolo Giallo', der gelben Menschen, wie Rossis Fans in Anlehnung an die Lieblingsfarbe ihres Idols genannt werden, bleibt unerfüllt. Das Besondere an Rossis Fanartikeln ist aber noch nicht einmal die unglaubliche Auswahl, sondern dass alle Produkte vom Unternehmen selbst designt und produziert werden. Die Zentrale inklusive hochmodernem Firmengebäude befindet sich in Rossis Heimatgemeinde Tavullia, wenige Kilometer südlich von Rimini. Von hier aus findet das Merchandising den Weg in die gesamte Welt.

Vom Verkauf seiner eigenen Fanartikel könnte der Superstar der MotoGP schon sehr gut leben, doch 'VR46 Racing Apparel' ist mittlerweile viel mehr als nur Valentino Rossi alleine. Der findige Geschäftsmann designt, produziert und vertreibt mit seinem Unternehmen auch das Merchandising für das halbe MotoGP-Feld, also teilweise auch seine direkten Konkurrenten. Zu Rossis Kunden zählen unter anderem Cal Crutchlow, Dani Pedrosa oder Maverick Vinales. Ein einzigartiges System in der Welt des Profisports, das aber funktioniert. Zumindest so lange, bis Rossi mit einem seiner Gegner trotz Geschäftspartnerschaft sportlich auf Kriegsfuß steht. So geschehen im Vorjahr mit Marc Marquez, dessen Fanartikel ebenfalls aus dem Hause VR46 stammten. Spekulationen über ein Ende der Zusammenarbeit gab es seit dem Saisonfinale 2015 immer wieder, vor allem nachdem Rossi in Valencia die Frage nach einer weiteren Zusammenarbeit mit Marquez nur mit einem saloppen "Was denkt ihr denn?" samt Augenzwinkern quittierte. Im Januar dieses Jahres passierte es dann schließlich: Die Kooperation zwischen Marquez und VR46 wurde beendet und Rossis neuer Lieblingsfeind wechselte zum Unternehmen von Maurizio Pritelli, einem ehemaligen Mitarbeiter von VR46.

Rossi kam somit, abgesehen von seiner eigenen Linie, der für ihn wertvollste Fahrer abhanden. Noch deutlich mehr Geld in seine Kassen wird aber in Zukunft ein Deal spülen, den Rossi bereits zuvor in der Winterpause bekannt geben konnte. VR46 wird, beginnend mit der Saison 2016, die Fanartikel für alle Aktivitäten seines Arbeitgebers Yamaha Factory Racing vertreiben. Das betrifft also nicht nur die MotoGP, sondern auch die Superbike-WM oder den Motocross- und Enduro-Sport. Ein gewaltiger Auftrag für Rossi und seine Mitarbeiter, der Yamaha für mindestens drei Jahre, vermutlich aber noch deutlich länger an VR46 bindet. "Wir freuen uns riesig über unsere Zusammenarbeit mit Yamaha", jubelte Rossis Freund und Geschäftsführer von 'VR46 Racing Apparel', Alberto Tebaldi. "Hoffentlich ist das der Beginn eines noch viel größeren Projektes mit diesem Partner. Der Deal mit Yamaha ist eine tolle Anerkennung für unsere Arbeit und eine schöne Bestätigung." Die Marke wächst rasant, was auch erste Engagements außerhalb des Motorradsports, etwa für den italienischen Fußball-Rekordmeister Juventus Turin, beweisen.

Rossis Imperium: Die Talentförderung

Valentino Rossi fördert mit seinem Team Talente, Foto: MotoGP.com
Valentino Rossi fördert mit seinem Team Talente, Foto: MotoGP.com

Rossis Kernkompetenz und somit auch die seines Unternehmens liegt aber natürlich nach wie vor auf zwei Rädern. Er ist Motorradnarr durch und durch, ein Fan seines Sports. Ein besonderes Anliegen ist dem mittlerweile 37-Jährigen daher die Förderung von Nachwuchspiloten aus seiner Heimat Italien. 2014 gründete er die 'VR46 Riders Academy', die den aufstrebenden Fahrern bei ihrem sportlichen Aufstieg in jeglicher Art und Weise unter die Arme greift. Davon profitieren Piloten wie Franco Morbidelli, Luca Marini, Andrea Migno, Romano Fenati oder Francesco Bagnaia. Teams finden sich in den großen nationalen Meisterschaften, die Spitze von Rossis Nachwuchsprojekt bildet sein eigener Rennstall in der Moto3-Weltmeisterschaft, den er zusammen mit dem Pay-TV-Anbieter Sky Italia als finanzstarkem Titelsponsor führt. Wie man dieses System ideal nützt, bewies zuletzt Nicolo Bulega, der sich 2015 für Rossis Team zum Moto3-Junioren-Champion krönte und nun mit nur 16 Jahren in der Weltmeisterschaft an den Start gehen darf.

Rossis Schützlinge werden in allen wichtigen Bereichen vom mentalen Sektor bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit geschult, ihnen steht ein eigenes Fitnesscenter zur Verfügung und sie haben regelmäßig die Chance, mit ihrem Mentor das Motorradfahren zu trainieren. Rossi hat zu diesem Zweck vor Jahren einen alten Bauernhof etwas außerhalb von Tavullia gekauft und dort einen Dirt-Track-Kurs angelegt, der in zahlreichen Varianten vom Oval bis zum komplexen Kurvengeschlängel gefahren werden kann und mit modernster Zeitnahme und ähnlichen Annehmlichkeiten ausgestattet ist. Auf seiner 'Ranch', wie Rossi die Anlage getauft hat, sind neben den Nachwuchsfahrern auch immer wieder internationale Stars der Szene zu Gast, vor allem wenn Rossi wieder einmal zu einem kleinen Rennen einlädt.

Rossis Imperium: Pizza und noch viel mehr

Auf eine Pizza zu Rossi? Kein Problem in Tavullia!, Foto: adrivo Sportpresse
Auf eine Pizza zu Rossi? Kein Problem in Tavullia!, Foto: adrivo Sportpresse

Im Anschluss an die Motorrad-Action auf der Ranch gibt es meist ein gemeinsames Abendessen für alle Protagonisten. Das findet, wie könnte es anders sein, in Rossis eigener Pizzeria statt. Direkt im Ortskern der 8.000-Einwohner-Gemeinde Tavullia befindet sich das 'da Rossi', wo nicht nur MotoGP-Stars, sondern jedermann Pizza, Pasta und Co. zu überraschend günstigen Preisen und mit klingenden Namen wie 'Rossini' genießen kann. Im Anschluss kann man sich in der angrenzenden und ebenfalls im Besitz von Rossi befindlichen Gelateria noch ein typisch italienisches Eis gönnen.

Generell scheint es Rossi das Thema Essen und Trinken angetan zu haben. Zusammen mit seinem langjährigen Kappensponsor Monster Energy, nach Red Bull die klare Nummer zwei in der Welt der Energy-Drinks und auch Titelsponsor der Grands Prix in Le Mans und Barcelona, hat er eine eigene Geschmacksrichtung kreiert, die in Dosen im Corporate Design Rossis abgefüllt wird. Eine ähnliche Zusammenarbeit gibt es auch zwischen Rossi und dem Kartoffelchip-Hersteller Pata. Auch hier wurde eine eigene Sorte nach dem Yamaha-Piloten benannt, die vor allem in Italien reißenden Absatz findet.

Ein echter Kassenschlager sind selbstverständlich auch an den Straßensport angepasste Versionen von Rossis Schutzausrüstung, also Helm, Lederkombi, Handschuhe und Stiefel. Seit dem Beginn seiner Weltmeisterschaftskarriere fährt er für die zusammengehörenden Marken Dainese und AGV, die sich seit Jahren über konstant hohe Verkaufszahlen der Replica-Modelle freuen dürfen. "Valentino ist definitiv einer unserer besten Werbeträger", bestätigt Daineses Marketing Manager Fabio Muner gegenüber Motorsport-Magazin.com.

Während man aber auch die Helme fast all seiner MotoGP-Konkurrenten im Handel kaufen kann, wird Rossi bald eine einzigartige Ehre zu Teil. Im Juni 2016 kommt ein Videospiel mit ihm in der Hauptrolle auf den Markt. In 'Valentino Rossi: The Game' können die Spieler seine gesamte Karriere nachstellen, von den Anfangszeiten in der 125ccm-Klasse Mitte der 90er Jahre bis zu seinen erfolgreichsten Jahren in der MotoGP zu Beginn dieses Jahrtausends. Auch Rossis Ausflüge in den Vierradsport, wie etwa zur Monza Rallye, die er bereits vier Mal gewinnen konnte, und seine Ranch werden Teil des Spiels sein.

Das zeichnet Rossis Imperium aus

Rossi trainiert auf seiner eigenen Motocross-Ranch, Foto: Yamaha
Rossi trainiert auf seiner eigenen Motocross-Ranch, Foto: Yamaha

Es bleibt die Frage, warum es gerade Rossi geschafft hat, die Motorrad-Weltmeisterschaft in den letzten zwei Jahrzehnten derart in seinen Bann zu ziehen, dass große Unternehmen bei ihm Schlange stehen, nur um Produkte nach ihm zu benennen oder Kooperationen mit ihm einzugehen. Einerseits überzeugte Rossi natürlich durch unglaubliche sportliche Erfolge. Neun Weltmeistertitel und 112 Grand-Prix-Siege sagen alles über seine einmalige Karriere aus. Das alleine hätte ihn aber nie in solche Sphären katapultiert, wäre nicht die Persönlichkeit Rossi ebenso einzigartig im MotoGP-Paddock wie der Pilot Rossi. Kein anderer Fahrer versteht es so gut wie Rossi, Menschen auf seine Seite zu ziehen und für ihn zu begeistern, ganz egal ob es sich nun um Fans oder Journalisten handelt. Seine Art zu sprechen, sein Humor, seine Gestik und Mimik kommen bei den Leuten einfach an. Somit ist Rossi ein absoluter Glücksgriff für jeden Sponsor oder jedes Unternehmen, das mit ihm zusammenarbeitet.

In den letzten Jahren bekam Rossis Bekanntheit durch die wachsende Popularität von Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram einen weiteren Schub. Auch hier übernahm er sofort die Vorreiterrolle und bespielt seither sämtliche Kanäle deutlich professioneller, als das dem restlichen MotoGP-Feld gelingt. Videoproduktionen, Live-Übertragungen und andere exklusive Inhalte stehen auf der Tagesordnung, über zwölf Millionen Fans danken es Rossi auf Facebook mit einem 'Gefällt mir'. Damit darf sich Rossi über mehr Zuspruch freuen als alle anderen 21 MotoGP-Piloten zusammen, die auf rund 30.000 Likes weniger kommen als der Mann mit der Nummer 46. Valentino Rossi ist die MotoGP. In jeglicher Hinsicht!