Mercedes-Pilot Nyck de Vries verpasst beim zweiten Lauf der Formel-E-Saison 2022 seinen zweiten Sieg. Trotz Pole-Position und langer Führung steht im zweiten Diriyah-Nachtrennen letztlich nur Platz zehn. Auslöser ist die zu späte Aktivierung des zweiten Attack Mode, nach einer Berührung wird der Mercedes-Pilot durchgereicht. Das sorgt für Frust beim 26-Jährigen.

Mit einem Sieg im ersten Rennen der Saison begann das Jahr 2022 für den amtierenden Formel-E-Weltmeister de Vries am Freitagabend in Saudi-Arabien bestens. Und nur einen Tag später hatte der Niederländer schon wieder Grund zur Freude: Im zweiten Qualifying der Saison schnappte er sich die Pole-Position. De Vries hatte in Diriyah zunächst seine Qualifikations-Gruppe A gewonnen, dann setzte er sich in den K.O.-Duellen auch noch gegen Jean-Eric-Vergne (DS Techeetah), Lucas di Grassi und schließlich Edoardo Mortara (beide Venturi) durch.

De Vries warnt nach Qualifying: Müssen clever fahren

"Ich bin sehr froh, dass es gereicht hat", meint der Niederländer nach Qualifikations-Ende. Nur fünf Tausendstel war de Vries schneller gewesen als Kontrahent Mortara. "Ich habe mich stark gefühlt, in Sektor zwei aber zu viel gepusht. Ich bin nicht zufrieden mit der Runde, aber froh, dass sie schnell genug war." Das zweite Nachtrennen in Saudi-Arabien sollte de Vries also von Startplatz eins aus in Angriff nehmen.

Nachdem er und Teamkollege Stoffel Vandoorne schon am Vortag aus ähnlicher Startposition zu einem dominanten Doppelsieg gefahren waren, deutete am Samstag alles auf einen weiteren Triumph des Niederländers hin. "Die Strategie wird die gleiche sein wie gestern, wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren. Der Sieg ist das Ziel", so die klare Botschaft de Vries', der den Fokus bereits voll die Mission Titelverteidigung gelegt hat: "Es ist wichtig, dass wir clever fahren. Das neue Qualifying-Format hat die Dinge verändert. Wir müssen sicherstellen, dass wir kontinuierlich viele Punkte einfahren."

Ob der Niederländer schon eine Vorahnung hatte? Genau das sollte wenige Stunden später nämlich nicht gelingen. Zunächst sah es noch gut aus für de Vries: Der 26-Jährige hatte seine Führung beim Start verteidigt und kontrollierte das Rennen in den ersten Minuten von der Spitze. Auch einen ersten Undercut-Versuch mittels Attack Mode durch den drittplatzierten Envision-Piloten Frijns nach acht Minuten konnte de Vries noch abwehren. Wenig später sollte es dann allerdings bergab gehen für den amtierenden Weltmeister.

Von P1 auf P10: de Vries wird in Diriyah durchgereicht

Denn zur Rennmitte unterlief de Vries und seinem Mercedes-Team ein folgenschwerer Fehler: Sie warteten deutlich zu lange mit der Aktivierung des zweiten Attack Mode. An der Spitze des Feldes hatte sich mittlerweile eine Vierergruppe gebildet, de Vries führte vor Mortara, Frijns und di Grassi. Letzter aktivierte 28 Minuten vor Schluss als erster Pilot des Führungsquartetts den zweiten Attack Mode. So konnte der Brasilianer auf Platz drei klettern und einen Umlauf später, als Teamkollege Mortara zur Aktivierung abbog, auf P2.

De Vries, noch immer ohne Zusatzpower unterwegs, geriet folglich unter großen Druck. Di Grassi attackierte - und presste sich mit einem harten Manöver inklusive leichtem Kontakt in Kurve 19 vorbei. Nur eine Runde später überholte auch Mortara den Niederländer. Als de Vries 18 Minuten vor dem Ende endlich seinen zweiten Attack Mode aktivierte, fiel er auch noch hinter Envision-Pilot Frijns auf P4 zurück - und konnte sich trotz Zusatzpower nicht wieder vorbeikämpfen. Denn de Vries musste Energie sparen, er hatte zuvor schlecht gemanagt und weniger Restenergie zur Verfügung als die Konkurrenz.

Durch die Positionskämpfe an der Spitze hatte auch das Verfolgerfeld wieder aufgeschlossen. Und so geriet de Vries plötzlich unter Druck durch den fünftplatzierten Vergne. Der Mercedes-Pilot musste sich verteidigen, bremste allerdings zu spät für Kurve 18. Vergne hatte nun die bessere Linie und zog in der Folgekurve außenherum vorbei. Dabei kam es zur Berührung, wodurch de Vries erneut einen schlechten Kurvenausgang erwischte. Andre Lotterer, direkt dahinter auf P6, nutzte seine Chance und zog vorbei. De Vries hatte nun völlig das Momentum verloren, in Kurve 21 gingen auch Andretti-Pilot Jake Dennis und Teamkollege Vandoorne vorbei. Auf Startziel verlor der Niederländer auch noch Platz acht an Oliver Rowland im Mahindra.

Sämtliche Resthoffnungen auf den zweiten Saisonsieg waren binnen Sekunden dahin - und es sollte noch schlimmer werden. Denn nur eine Runde später musste sich der Mercedes-Pilot auch noch Porsche-Werksfahrer Pascal Wehrlein geschlagen geben. Da wenig später das Safety-Car nach Abflug von Alexander Sims auf die Strecke kam und bis zum Ende draußen blieb, bot sich de Vries auch keine Gelegenheit mehr, nochmal zurückzuschlagen. Das Rennen endete mit einem enttäuschenden zehnten Platz.

De Vries frustriert: Waren nicht konkurrenzfähig

"Wir waren bei der Aktivierung des Attack Mode ein wenig zu spät dran und sind deswegen etwas zurückgefallen. Wenn man dann nicht die Pace hat, ist es schwierig", ärgert sich de Vries. Frustriert gesteht er: "Alles in allem waren wir heute nicht konkurrenzfähig genug." Dieser Ansicht ist auch Mercedes-Teamchef Ian James, die Rennpace sei nicht auf dem Niveau gewesen, um die Pole in einen Sieg ummünzen zu können: "Dadurch waren wir angreifbar und mussten uns gegen die starken Kontrahenten verteidigen."

Während auf der einen Seite der Mercedes-Garage also Frust nach einem enttäuschenden Rennen herrscht, gelang der anderen Seite immerhin Schadensbegrenzung. Vandoorne, gestern noch Polesitter und Zweitplatzierter im ersten Rennen, kam im zweiten Qualifying der Saison nicht über Startplatz 12 hinaus. Im Rennen konnte er sich jedoch bis auf P7 zurückkämpfen, außerdem gelang ihm die schnellste Rennrunde.

"Wir sind ein ordentliches Rennen gefahren", freut sich Vandoorne. "Heute war es mit Blick auf die Rennpace für uns vielleicht etwas schwieriger als gestern, aber alles in allem war es für mich und meine Crew ein gutes Rennen. Das war das Beste, was wir unter diesen Umständen herausholen konnten. Heute ging es um Schadensbegrenzung."

In der Teamwertung muss das Mercedes-Benz EQ Formula E Team die WM-Führung nach dem schlechten Ergebnis im zweiten Diriyah-Rennen an Kundenteam Venturi abgeben. Die Monegassen haben einen Punkt mehr auf dem Konto als die Silberpfeile (58 zu 57 Punkte). In der Fahrerwertung verliert de Vries die WM-Führung an Mortara, Vandoorne folgt direkt dahinter auf P3. Weiter geht es in zwei Wochen am 12. Februar mit dem Mexiko-City ePrix.